Ruhrtriennale:Psycholabyrinth

Ruhrtriennale

Maskierte (Susanne Kennedy, Suzan Boogae) im Essener "Orfeo".

(Foto: Julian Roeder/Ruhrtriennale)

Susanne Kennedy inszeniert Claudio Monteverdis "Orfeo" in der Zeche Zollverein in Essen als langen Seelenweg für jeweils sieben Besucher durch ein Bunkerlabyrinth.

Von Egbert Tholl

Bereits bevor man die eigentliche Aufführung betritt, beginnt man zu ahnen, dass einem hier nicht einfach so Claudio Monteverdis Oper "Orfeo" begegnen wird. Man steht in einem Turm inmitten des Geländes der Zeche Zollverein in Essen, von dem aus man mit einem rumpelnden Bähnchen hinauf in die Mischanlage der Kokerei fahren wird. Zunächst aber umhüllen einen seltsame Klänge, ein Sirren und Surren, aus dem man, hört man lange genug hin, extrem gedehnte Modulationen heraushören kann. Man hört Monteverdis Oper, von Harpo 't Hart und Ole Brolin auf das 230-fache gedehnt - wird die Produktion bei der Ruhrtriennale nach 18 Tagen abgespielt sein, wird auch seine Variante der Oper zu ihrem Ende gekommen sein.

Was bringt das? Was bringt es, eine Oper in einer Version zu hören, in der man sie nicht erkennt? Nun, ähnlich wie man später in der Aufführung immer wieder von einem Dröhnen an- und weitergetrieben wird, sickern die Klänge ins Unbewusste ein, und man wird sie, aber nicht sie allein, lange mit sich herumtragen, da ist die Aufführung schon längst zu Ende. Susanne Kennedy, die von 2017 an als einzig gelernte Theaterfrau zum Team von Chris Dercon an der Berliner Volksbühne gehören wird, hat zusammen mit Suzan Boogaerdt und Bianca van der Schoot Monteverdis "Orfeo" eingerichtet als Parcour durch den Betonbunker der Kokerei. Und auch wenn das Solistenensemble Kaleidoskop Monteverdis Musik hier spielt - ohne Bläser, ohne Pauken -, auch wenn Hubert Wild Arien des Orfeo singt, meist als Counter, manchmal auch als Bariton, auch wenn hier bis zu neun Stunden am Tag musiziert wird: Man erlebt hier den "Orfeo" nicht als die erste erhaltene Oper der Musikgeschichte, sondern als Soundtrack eines beklemmenden, todtraurigen Gangs durch die eigene Psyche.

Kennedy hat an den Münchner Kammerspielen Playback und Masken für sich entdeckt. In ihren zum Berliner Theatertreffen eingeladenen Inszenierungen von "Fegefeuer in Ingolstadt" und "Warum läuft Herr R. Amok" waren die Schauspieler nur noch Avatare des Textes, der vom Band kam, entindividualisiert durch Latexmasken. Nun geht man hier in diesem Betonbunker von Raum zu Raum, mit sieben weiteren Zuschauern, und trifft in jedem auf Eurydice. Manchmal gibt es zwei davon, manchmal drei, immer tragen sie helle Kleidung in Pastelltönen, eine Maske, blonde Perücken und sehen einen an. Leidend, verzweifelt, traurig, stumm. Aus einer ausgefinkelten Soundanlage oder einfach aus der Mitte dieses Raumlabyrinths, von dort, wo die Musiker sitzen, hört man die Musik, wie von weit her. Wie ein Echo oder eine Verheißung. Und wäre man allein mit diesen verlorenen Kreaturen in ihren eklig glatten Wohnumgebungen, so allein wie man war, als Bernhard Mikeska am Münchner Residenztheater "Eurydice: Noir Désir" als Gang in die Unterwelt inszenierte, das Erlebnis von Kennedys Parcour fräße sich in die Tiefen der eigenen Seele.

So aber kann man die oft ratlosen Mitzuschauer betrachten, und erst wenn man ganz am Ende allein dem singenden, auch maskierten Orfeo gegenübersteht, weiß man, dass jedes intellektuelle Verstehen dieser Produktion Mumpitz ist. Dieses Teil wirkt viel tiefer.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: