Ruhrtriennale:Die Revolution fällt aus

Ein seltsam leerer Abend ohne jede Leichtigkeit - trotz einer Menge an bedeutungsschwangeren Details: Teodor Currentzis und Johan Simons scheitern bei der Ruhrtriennale an Wagners "Rheingold" in der Bochumer Jahrhunderthalle.

Von Michael Stallknecht

"Ich war noch nie bei einem richtigen Skandal dabei", sagt die Dame eine Reihe weiter hinten. So ein richtiger Kunstaufreger, das wäre doch mal was. Wahrscheinlich ist sie nicht ganz zufällig an diesem Abend in die Bochumer Jahrhunderthalle gekommen, wo Regisseur Johan Simons und Dirigent Teodor Currentzis sich beide zum ersten Mal ein Werk Richard Wagners vorgenommen haben. Eine revolutionäre Deutung des "Rheingold" haben sie versprochen, die mit den künstlerischen wie gesellschaftspolitischen Anliegen Wagners ernst machen soll. Ein "Rheingold" für die Ruhrtriennale, das die Industriegeschichte des Ruhrgebiets einbindet und bei dem die Schranken zwischen Publikum und Darstellern fallen. Eine Aufführung, in der sogar Wagners Partitur selbst über den Haufen geworfen wird - mit eingelegten Industrial-Klängen des finnischen Elektropioniers Mika Vainio.

Das klingt auf dem Papier mindestens logisch. Wagner hat seinen "Ring des Nibelungen" um das Jahr 1848 herum entworfen, als er selbst in Dresden auf den Barrikaden stand. Er las Proudhon und Feuerbach, war befreundet mit dem radikalen Revolutionär Michail Bakunin. Mit Schriften wie "Die Kunst und die Revolution" wurde Wagner zum Geburtshelfer auch des gegenwärtigen Kunstbegriffs: Kunst avanciert zum Vorbild für gesellschaftliche Veränderungen und vice versa. Zumal der "Ring des Nibelungen" in weiten Teilen Kapitalismuskritik ist, was vor allem auch für den Vorabend gilt. Der Verfall der Welt beginnt, indem Alberich das Gold raubt, sprich: das Geld in die Welt bringt. Doch indem die Götter als Herren der Welt ihm das Gold entreißen, erweisen sie sich als die wahren Ausbeuter.

Der Prollrevolutionär Alberich avanciert denn beim neuen Ruhrtriennale-Chef Simons auch zum heimlichen Zentrum der Aufführung, während sein geschundener Bruder Mime diesmal sehr lyrisch klagen darf. Mit vollem Körpereinsatz wird im Brackwasser des Rheines gerobbt, das zu Füßen der Zuschauer schwappt. Das Orchester ist ins Bühnenbild (Bettina Pommer) integriert, die Götterburg Walhall ist eine Industriellenvilla. Doch bleibt das alles so harmlos und klassizistisch wie die gesamte Inszenierung. Sogar die Industrial-Klänge beschränken sich weitgehend auf ein undefiniertes Wummern zu einem knappen Text von Elfriede Jelinek, den der Schauspieler Stefan Hunstein zwischen dem zweiten und dem dritten Bild brüllen darf. Dafür verlieren sich die (mit Mikrofonen verstärkten) Sänger in dem übergroßen Raum. Für einen großen Theatermoment sorgt nur die Altistin Jane Henschel, die die Erda nicht als allwissende Übermutter, sondern als tief verstörte Großmutter gibt.

Und auch das Dirigat lässt immerhin mit revolutionärer Attitüde aufhorchen. Seit Teodor Currentzis im russischen Nowosibirsk sein Ensemble MusicAeterna gegründet und anschließend mit nach Perm genommen hat, gilt er als großes Versprechen eines radikal expressiven Musizierens. Für seinen ersten szenischen Wagner verzichtet er auf Mischklang und stellt mit MusicAeterna die Klangfarben in hochtransparenter Auflösung hintereinander. Currentzis treibt immer wieder harte Akzente in die Musik, zieht beim Tempo und oft auch bei der Lautstärke konsequent die Regler hoch. Doch dabei verliert er leider die großen Bögen aus dem Blick, kommt nie ins Erzählen. Der konstante Überdruck sorgt dafür, dass sich Currentzis in bedeutungsschwangeren Details verliert. Revolutionäre sind nicht für ihren Humor bekannt (was übrigens auch für die Inszenierung von Johan Simons gilt). Hier aber treibt Currentzis dem "Rheingold" alle Leichtigkeit aus, die Dirigenten dort in den jüngsten Jahren entdeckt haben.

So bleibt am Ende allenfalls ein seltsam leerer Abend. Die Dame in der Reihe weiter hinten hat auch diesmal vergeblich gewartet.

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