Rückkehr des Pulp-Sängers:Einmal noch töten

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Oder doch nicht? Jarvis Cocker, Ex-Gott des Britpop, besingt auf seiner Platte "Jarvis" die Widersprüche einer Generation

Tobias Kniebe

Kein Zweifel, Jarvis Cocker macht spannende Sachen. Das kennen wir. Das setzen wir lieber mal in Anführungszeichen. Jarvis Cocker ist also ein Popstar, 43 Jahre alt, der "spannende Sachen macht". Anders ausgedrückt: Er kann nicht klagen, ihm stehen alle Türen offen, er hat Ideen und Pläne, danke sehr.

Hier ist einer ziemlich verwöhnt, unruhig, möglicherweise verzweifelt: Jarvis Cocker. (Foto: Foto: Sanctuary Records)

Er darf zum Beispiel mit einer Phantasie-Band kurz in einem Harry-Potter-Film auftreten und dafür ein paar Songs schreiben. Er darf unter dem Namen "Relaxed Muscle" in einem Skelett-Kostüm auftreten, rumbrüllen und elektronischen Lärm machen.

Er darf bei Hommage-Projekten für Leonard Cohen, Scott Walker und Serge Gainsbourg mitmachen, das sind ja nun wirklich Helden. Und er darf philosophische Songtexte für Gainsbourgs Tochter Charlotte schreiben: Was wohl die Definition eines Traumjobs ist, wenn man in Frankreich lebt, einmal ein Gott des Britpop war - und ansonsten nichts zu tun hat.

Man könnte diese Aktivitäten natürlich auch anders deuten und bemerken, dass hier einer ziemlich verwöhnt, aber doch noch unruhig und möglicherweise verzweifelt ist; dass er sich ohne seine Band Pulp irgendwie verloren fühlt, obwohl Pulp eigentlich nie etwas anderes als er selbst war; dass späte Vaterschaft und frühes Rentnertum am Ende keine Alternativen sind.

Hang zur Trägheit

Man könnte die These entwickeln, dass statt vieler Teilzeit-Beschäftigungen dringend ein neuer Vollzeit-Größenwahn vonnöten ist - also zum Beispiel der Plan, noch mal einen Song wie "Common People" zu schreiben: Einen Welthit, der mit Cockers patentiertem Sarkasmus und seiner tödlichen Beobachtungsgabe beginnen müsste, dann saukomisch würde und sich schließlich in die Wut eines zertifizierten Underdogs hineinsteigerte.

Das wäre was. Anlässe gäbe es genug. Und wenn die Soloplatte "Jarvis", die diese Woche erscheint, das nicht mehr leisten kann - was dann?

Es beginnt mit Hörnern, Trommeln und Gitarren und einem hübschen Song, den er vor zwei Jahren für Nancy Sinatra geschrieben hat, "Don't Let Him Waste Your Time" - eine Zweitverwertung. Da merkt man schon, wohin der Hase läuft. Von Vollzeit-Wahnsinn kann keine Rede sein.

Aber der Hang zur Trägheit, dieses hornbebrillte Durchwursteln, das war schon immer das Markenzeichen Jarvis Cockers. Seine größten Auftritte kamen unverhofft, nach fünfzehn Jahren Erfolglosigkeit, als auch er selbst das Warten längst aufgegeben hatte. Bei so einem ist immer alles drin.

Wobei "Black Magic", mit einer geklauten und nicht sehr zündenden Sixties-Schleife, und das lustlose "Heavy Weather" dann doch kurz den Verdacht nähren, der Mann könnte vielleicht nichts mehr zu sagen haben.

Dann aber kommt "I Will Kill Again", der Song, in dem sich das ganze Dilemma des Mittvierzigers, der seine größte Zeit vielleicht schon hinter sich hat, perfekt verdichtet.

Es geht um Nestbaugefühle, um Familienglück, um klassische Musik und die Freuden des Kaninchenzüchtens, um Plattenkäufe im Internet und die halbe Flasche Rotwein, die der Mann in mittleren Jahren beim Surfen auf Pornoseiten konsumiert.

Widersprüche in drastischen Worten

Die Melodie ist sanft, das Ganze klingt wie ein Liebeslied, aber dann schleichen sich dunkle Harmoniewechsel ein - und der geheime Wunsch, noch einmal zu töten, es allen zu zeigen, den Arsch noch mal hochzubekommen. Darum geht es, klar.

Aber es bleibt ein vergeblicher Traum - ein Track von der erhofften Energie ist auf "Jarvis" am Ende doch nicht zu finden. Aber was heißt das schon? Genauso nötig ist es vielleicht, die eigenen widersprüchlichen Emotionen in drastische Worte zu kleiden.

Da geht es um Gefahren in einer verwahrlosten Gesellschaft ("Fat Children"), um die Natur des Bösen "von Auschwitz bis Ipswich", um den Untergang des Abendlands und eine Vision von Glück, die nur in einem Paralleluniversum denkbar ist ("Quantum Theory").

Ratlosigkeit mit Niveau

Man könnte die Stimmungslage resignativ nennen, hätte nicht der Bonustrack "Running The World" gerade das platte revolutionäre Mitgrölpotential, dem sich die guten Pulp-Songs immer verweigert haben.

Das Stück, sagt Jarvis Cocker, habe er als Reaktion auf "Live 8" verfasst, als Antwort auf die Bono-Strategie, dass man schon mit den Mächtigen ins Bett steigen müsse, um die Welt zu verbessern. Ausgeschlossen, heißt diese Antwort. Und Cocker hat natürlich recht.

Auch wenn ihm der große Gegenentwurf hier nicht gelingt. Die Ratlosigkeit, die Suche der Britpop-Generation, der er seit jeher ein paar Schritte vorausgeht - die erfährt man hier auf höchstem Niveau.

Jarvis Cocker: Jarvis. 17. November, Rough Trade.

© SZ vom 16.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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