RTL-Show "Erwachsen auf Probe":Auf dem schmalen Wickeltisch

Muss alles gezeigt werden, was erlaubt ist? RTL stellt die umstrittene Babysitting-Show "Erwachsen auf Probe" vor. Harmlos ist das Programm nicht.

Hans Hoff

Wenn man sich in diesen Tagen mit Sprechern deutscher Privatsender unterhält, macht man fast immer eine Erfahrung: So begeistert die PR-Verkäufer des Kommerzfernsehens über ihre bunten Produkte reden, so schweigsam werden sie, wenn sich ein Begriff wie Moral in die Unterhaltung mischt. Manchmal nicken sie dann beiläufig, manchmal tun sie aber auch so, als hätten sie das Wort überhört und plaudern weiter darüber, wie dufte ihre Produkte, also Shows, Serien und Filme, doch sind. Fernsehen funktioniert in diesem Moment wie eine Parallelwelt, die sich von gesellschaftlichen Entwicklungen abgekoppelt hat und die eigenen vorantreibt.

RTL-Show "Erwachsen auf Probe": Würden Sie diesen jungen Menschen freundlicherweise Ihre Kinder zu Übungszwecken leihen? Anji (v.li.), Mario, Nadine, Sebastian, Basti, Lila, Elvir, Tamara sind zwischen 16 und 19 Jahren alt und möchten in einem Probemonat herausfinden, ob sie familienreif sind.

Würden Sie diesen jungen Menschen freundlicherweise Ihre Kinder zu Übungszwecken leihen? Anji (v.li.), Mario, Nadine, Sebastian, Basti, Lila, Elvir, Tamara sind zwischen 16 und 19 Jahren alt und möchten in einem Probemonat herausfinden, ob sie familienreif sind.

(Foto: Foto: RTL)

Sehr schön kann man das am Beispiel der geplanten Ausstrahlung der neuen Doku-Soap Erwachsen auf Probe erkennen, gegen die Politiker, Wissenschaftler, Mediziner und Verbände Einwände erheben oder gleich protestieren. Von 3.Juni an wird Erwachsen auf Probe bei RTL (Superstar, Dschungelshow) zu sehen sein. Es geht darin auch um junge Paare, die sich ein Kind wünschen und denen echte Säuglinge zur Pflege überstellt werden, während die echten Mütter im Nachbarhaus oder auch direkt am Set alles kontrollieren. Mit Vorhaltungen, ob aus ärztlicher oder kinderpsychologischer Sicht kann der Sender wenig oder nichts anfangen. Es gilt das Prinzip: Was gesendet werden darf, kann nicht infrage gestellt werden, schon gar nicht durch den gesunden Menschenverstand.

So besteht RTL darauf, dass die Sicherheit bei den Aufnahmen "mehrfach höher" gelegen habe als beim durchaus üblichen Babysitting. Die Mütter seien oft nur wenige Meter von ihren Kindern entfernt postiert worden, oft standen sie direkt hinter dem Kameramann, auch hätten Eltern ihre Kinder über Nacht zu sich genommen.

RTL-Unterhaltungschef Tom Sänger verwies darauf, dass die Serie von der BBC entwickelt worden sei, einem der angesehensten Sender der Welt, wie er sagte. Der Blick sei auf Schwangerschaften von Minderjährigen gerichtet. Die Zahl der Teenager-Mütter nehme auch in Deutschland kontinuierlich zu. "Immer mehr Mädchen wählen eine Schwangerschaft als Lebensmodell, als Alternative zu Hartz IV." Die Sendung sei ein Eignungstest für Jugendliche mit Kinderwunsch, bei dem sie Familienkompetenz erlernen könnten.Außerdem habe bisher keiner der Kritiker die Sendung gesehen.

Zum Thema Kinder gäbe es viel Grundsätzliches zu sagen. So forderte zum Beispiel die Bundeskanzlerin Staat und Bürger schon Ende 2007 zu mehr Wachsamkeit auf. "Wir brauchen eine Kultur des Hinsehens, nicht des Wegschauens", forderte Angela Merkel damals in ihrer Neujahrsansprache bei ARD und ZDF.

Die Kultur des Hinsehens darf vor dem Fernsehprogramm nicht Halt machen. Kann es ein Argument sein darauf zu verweisen, dass juristisch gegen Erwachsen auf Probe nichts auszurichten ist und dass die Sendung nicht zensiert werden kann? Muss alles, was erlaubt ist - zumal unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes - gezeigt werden? Auch wenn die Mütter und die Väter in der Nähe standen, müsste einem doch klar sein, dass ein Drehtermin mit Ausleuchten, Ton, Kamera sowie den vielen anderen handwerklichen Abläufen am Set nicht die natürliche Umgebung von Babys und Kleinkindern ist. Säuglinge gegen Honorar zu instrumentalisieren ist nichts, was erlaubt sein muss . Es verbietet sich einfach, unabhängig davon, wie großartig die pädagogischen Ziele sind, die das Fernsehen mit seinen stilistischen Mitteln erreichen möchte - im übrigen auch unabhängig davon, ob es den Kindern nicht schadet.

Zu lange sich selbst überlassen

Bei der ersten öffentlichen Vorführung an diesem Freitag zeigte sich, dass die Sendung auch nicht so harmlos ist, wie der Sender glauben möchte. Im Bild sind überforderte Teenager und Babys, die nicht sehr glücklich wirken. "Keines der Kinder hat gelächelt", sagt eine Kritikerin und wird eingeladen, sich das Schnittmaterial und weitere Folgen anzusehen. In einer Szene lässt ein Teenager "sein" Kind allein auf dem Wickeltisch, woraufhin eine Betreuerin eingreift. "Unsere Kleine kann sich das Genick brechen bei den Sachen, die du machst", sagt der herbei geeilte Vater und nimmt sein Kind mit. Über weite Strecken wirkt Erwachsen auf Probe nicht wie ein ambitioniertes Aufklärungs-, sondern eher wie ein durchschnittliches Unterhaltungsprogramm.

RTL-Managern wie Tom Sänger muss die Entrüstung trotzdem seltsam vorgekommen sein. Der Deutsche Kinderschutzbund und die Kinderkommission des Deutschen Bundestages hatten die Absetzung gefordert. Dabei läuft mit der Super Nanny seit Jahren eine Sendung bei RTL, die zwar gelegentlich kritisiert wird, ansonsten aber weitgehend unbeanstandet läuft, sogar Preise gewann. In der Super Nanny kann man beobachten, wie Kinder geschlagen werden.

Die Erregungswelle in diesen Tagen schwappt höher als zu Big-Brother-Zeiten. Über die Container-Schau regt sich heute niemand mehr auf. Wenige Kilometer von der RTL-Zentrale in Köln entfernt sind seit Monaten wieder erlesene Kandidaten kaserniert und füllen mit ihrem Gequatsche und ihren Aktionen das tägliche Programm des Schwesterkanals RTL2. Kein Hahn kräht mehr nach Big Brother, vor zehn Jahren galt die Fernsehhaft als Skandal. So haben sich die Maßstäbe verschoben.

Möglicherweise beschreiben die Proteste gegen Erwachsen auf Probe eine Trendwende. Im Schatten der Wirtschaftskrise, die auch von denen ausgelöst wurde, die jahrelang als normal predigten, was nun nicht mehr funktioniert, könnte sich beim Privatfernsehen etwas ändern. Vielleicht ist der Punkt erreicht, an dem der Zuschauer seine Freude verliert an der seriellen, vielfältigen Verbreitung von Intimität und privatem Elend.

Norbert Schneider, Chef der nordrhein-westfälischen Landesmedienanstalt, spricht im Zusammenhang mit Erwachsen auf Probe von einer Kultur des Zuschauers, die man genauso untersuchen müsse wie die Kultur der kommerziellen Sender. Vielleicht werden aber auch nur alle feststellen, dass die Klientel kommerzieller Fernsehveranstalter zu lange sich selbst überlassen war.

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