Rosa von Praunheim zum 70. Geburtstag:Voyeur seiner selbst

Wo er auftrat, war der Skandal garantiert - nun wird Rosa von Praunheim siebzig. Mit tabubrechender Offenheit kämpfte er für die gesellschaftliche Akzeptanz der Homosexualität und inszenierte sich dabei permanent selbst. Ein Blick zurück auf das Leben des Filmemachers und Wegbereiters der modernen Schwulenbewegung in Deutschland.

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Regisseurs Rosa von Praunheim wird 70

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Wo er auftrat, war der Skandal garantiert - nun wird Rosa von Praunheim siebzig. Mit tabubrechender Offenheit kämpfte er für die gesellschaftliche Akzeptanz der Homosexualität und inszenierte sich dabei permanent selbst. Ein Blick zurück auf das Leben des Filmemachers und Wegbereiters der modernen Schwulenbewegung in Deutschland.

Auch im Rentenalter steht Rosa von Praunheim auf knallige Hüte. Schließlich war der Schwulenaktivist und Filmemacher, der an diesem Sonntag seinen siebzigsten Geburtstag feiert, sein Leben lang ein bunter Vogel.

So groß wie seine Hutsammlung ist offenbar auch von Praunheims Altersvitalität: Er habe inzwischen mehr Energie als vor 30 Jahren, beteuert er. Er werde immer heiterer und friedlicher.

Das klingt interessant, denn als Meister der permanenten Selbstinszenierung war von Praunheim Zeit seines Lebens alles andere als ein harmoniebedürftiger Mensch. Man könnte sogar sagen, dass ...

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Quelle: imago stock&people

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... kaum einer so provokant war wie er. Noch keine 30 Jahre war er alt - da schockte der Low-Budget-Filmer 1971 die Nation mit seiner Doku "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt".

Der Film machte ihn über Nacht berühmt, denn sein Thema war ungewöhnlich in einer Zeit, in der die öffentliche Akzeptanz der Homosexualität noch sehr gering ausgebildet war. Der Bayerische Rundfunk blendete sich aus der Ausstrahlung aus. Er habe damals Morddrohungen erhalten, berichtete von Praunheim im Rückblick auf die damaligen Ereignisse und sogar die Schwulen selbst seien sauer auf ihn gewesen, weil er sie aus dem Versteck geholt habe.

Rosa von Praunheim Anfang der 1990er Jahre

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Einen noch größeren Eklat verursachte Rosa von Praunheim 20 Jahre später bei der RTLplus-Sendung "Der heiße Stuhl", als er die Homosexualität Alfred Bioleks und Hape Kerkelings gegen deren Willen öffentlich machte.

Von Praunheim, der sich im Zuge der Aids-Epidemie stark für Safer Sex engagierte, begründete das Fremd-Outing mit der verzweifelten Lage, in der er sich damals befunden habe. Viele seiner Freunde seien damals an Aids gestorben und er habe die Solidarität von einflussreichen Prominenten gebraucht, um für sichere Sexualpraktiken zu werben. Heute würde er aber nicht noch einmal jemanden outen, sagt der inzwischen altersmilde Aktivist.

Rosa von Praunheim 1992

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Sein skandalöses Leben erklärt sich Rosa von Praunheim damit, dass er im Knast geboren wurde. Tatsächlich ist die Geschichte seiner Herkunft so spektakulär, dass ihm niemand verdenken kann, dass er ein Leben lang nach Ungeheuerlichkeiten gierte.

Ungewöhnlich ist schon Rosa von Praunheims Geburtsort Riga in Lettland. Dort kam er als Holger Radtke während der deutschen Besatzung im Zentralgefängnis zur Welt und verbrachte das erste Lebensjahr in einem dortigen Waisenhaus, bevor ihn das aus Ostpreußen stammende Ehepaar Mischwitzky adoptierte. Das erklärt von Praunheims bürgerlichen Namen: Holger Bernhard Bruno Mischwitzky.

Der Adoptivvater, der als AEG-Ingenieur im Auftrag der Nationalsozialisten nach Lettland gekommen war, verließ bei Kriegsende das Land mit seiner Frau Gertrud und seinem Adoptivsohn. Erst im Jahr 2000 offenbarte die 94-jährige Adoptivmutter ihrem Filius seine bislang geheim gehaltene Herkunft. Sie habe nicht mit einer Lüge sterben wollen, erklärt von Praunheim heute das späte Geständnis Gertrud Mischwitzkys.

Für seine Kinodokumentation "Meine Mütter - Spurensuche in Riga" sollte sich Praunheim 2008 auf die Suche nach seiner leiblichen Mutter machen. Dabei stieß er in Riga auf seine familiären Wurzeln, doch vieles blieb auch Spekulation, so wie etwa die wahre Identität seines leiblichen Vaters.

Rosa von Praunheim 1993

PFUI ROSA! - EIN SELBSTPORTRÄT

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Auch nach der Rückkehr der Familie ins Nachkriegsdeutschland blieb es nicht lange ruhig: Zunächst wuchs Holger Mischwitzky am Rande Ost-Berlins in Teltow auf, doch bereits 1953 flohen seine Adoptiveltern aus der DDR nach Frankfurt am Main, um sich dort im Stadtteil Praunheim niederzulassen.

Das Pseudonym "Rosa von Praunheim" sollte Holger Mischwitzky Anfang der 1960er Jahre in Erinnerung an den "Rosa Winkel" annehmen, den Homosexuelle unter den Nationalsozialisten im Konzentrationslager tragen mussten, und an den Stadtteil seiner Frankfurter Kindheit.

Rosa von Praunheim auf einem Pressefoto zu einer Arte-Sendung aus Anlass seines 60. Geburtstages im November 2002

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Nichts deutete in Frankfurt zunächst auf die spätere Karriere von Praunheims als Bürgerschreck hin. Er besuchte in der Bankenmetropole das humanistische Wöhlergymnasium, von dem er allerdings noch vor der mittleren Reife abging, um eine Lehre im Bereich Messebau und Werbegrafik zu beginnen. Auch diese brach von Praunheim ab, um  schließlich im Alter von 19 Jahren auf die Werkkunstschule in Offenbach zu wechseln. Seine Leistungen reichten für eine Aufnahme an der Hochschule für bildende Künste (Abteilung Malerei) in West-Berlin aus, sodass er hier bis 1967 (ohne Abschluss) studierte.

Im selben Jahr entstand sein erster Kurzfilm "Von Rosa von Praunheim" über die soziale Situation eines Dienstmädchens, den er an den Hessischen Rundfunk verkaufen konnte. Diesem erfolgreichen Debüt folgten einige kleinere Werke und 1970 schließlich sein erster größerer Spielfilm "Die Bettwurst", in dem er einer von ihm geliebten Tante ein Denkmal setzte. Er erzählt in diesem zum Kultfilm avancierten Streifen die Liebesgeschichte zwischen Luzi, dem einsamen ältlichen Mädchen, und Dietmar, einem Jungen aus dem Milieu. Als Fortsetzung dieses Erfolgs entstand drei Jahre später die "Berliner Bettwurst" (1973).

Rosa von Praunheim anlässlich der Verleihung des Deutschen Filmpreises 2007 in Berlin

LOTTI HUBER

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Neben dem Thema Homosexualität interessierten Rosa von Praunheim immer wieder vitale ältere und exzentrische Frauenfiguren, die er ins Zentrum seiner Filme rückte. Seine Doku "Tally Brown, New York", über das Schicksal einer Nachtclub-Diseuse, wurde bereits 1979 mit dem Filmband in Silber ausgezeichnet. Der Schauspielerin, Sängerin, Tänzerin und avantgardistische Künstlerin Lotti Huber (hier im Bild im Jahr 1997) setzte er 1990 mit der grellen Hommage "Affengeil" ein Denkmal.

Ältere Frauen, die lebenslustig und sexuell aktiv sind, seien früher verachtet worden. Das hätten sie mit den Schwulen gemeinsam gehabt, so von Praunheim über seine Hinwendung zum anderen Geschlecht.

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Berüchtigt ist Rosa von Praunheim auch für seine rigorose und tabubrechende Offenheit in Bezug auf sein eigenes Leben - in seiner Autobiographie "Fünfzig Jahre pervers" habe er sich als "perfekter Voyeur seiner selbst" erwiesen, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung 1993, als das Buch veröffentlicht wurde.

Rosa von Praunheim auf einer Protestdemo in Berlin gegen den Besuch von Papst Benedikt XVI im September 2011

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Quelle: imago stock&people

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Der Mann an der Seite von Rosa von Praunheim heißt seit fünf Jahren Oliver Sechting. Der Filmschaffende, Autor und Sozialpädagoge ist mit 37 Jahren nur circa halb so alt wie sein prominenter Partner. Er möge keine Gewalt beim Sex, sagt Rosa von Praunheim. Zum Glück habe er immer liebevolle Partner gehabt.

Rosa von Praunheim (rechts) und Oliver Sechting auf der Berlinale 2010

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Quelle: imago stock&people

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So wie er lebten etwa fünfzig Prozent der Schwulen in einer Beziehung, schätzt Rosa von Praunheim. Das bedeute keine Monogamie - Schwule nähmen sich die Freiheit zum Wechsel der Sexualpartner, was gut sei. Denn, so von Praunheim zur Bild-Zeitung: "Heterosexuelle Beziehungen sind oft verlogener, weil Fremdgehen meist verboten ist."

Liebt rosa Tüll: Rosa von Praunheim mit Freund Oliver Sechting bei der Verleihung der First Steps Awards 2012 in Berlin.

© Süddeutsche.de/pak/ihe/holz
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