Roms Filmstadt Cinecittà wird erweitert:Mussolinis Traumfabrik

Ob Fellini oder Scorsese: In der italienischen Filmstadt Cinecittà schufen Regie-Könige Kinogeschichte. 1937 von Mussolini als Komödien- und Propaganda-Werkstatt eingeweiht, soll die Kulissenstadt mit der bizarren Vergangenheit nun zu einer Art Disneyland werden.

Stefan Ulrich

Cinecittà - Da lümmeln sie an einem alten Kleiderständer, der rote Schal und das Pepita-Hütchen, die der Meister gerne trug. An den Wänden hängen Stoffservietten, auf denen er Körper und Gesichter festgehalten hat, in den Trattorien jenseits des Tibers, mit flüchtigem Stift, Szenenmaterial für seine nächsten Filme. Auf dem Schreibtisch wartet, in stoischer Vergeblichkeit, ein Kalender. 1993 ist darauf gedruckt, das Todesjahr.

Roms Filmstadt Cinecittà wird erweitert: "La Dolce Vita": Anita Ekberg und Marcello Mastroianni küssen sich nicht im echten Trevi-Brunnen, sondern in einer Kulisse der Cinecittà.

"La Dolce Vita": Anita Ekberg und Marcello Mastroianni küssen sich nicht im echten Trevi-Brunnen, sondern in einer Kulisse der Cinecittà.

(Foto: Foto: dpa)

Daneben stehen bunte Filzstifte in einem Becher, in peinlich anmutender Ordnung aufgefächert. Ein Psychologe könnte auf allerlei schließen. Doch was wäre ein großer Künstler ohne Neurosen. Und ein Großer war Federico Fellini, der Besitzer dieser Gegenstände. Wahrscheinlich der Größte überhaupt in Cinecittà, der Kinostadt vor den Mauern Roms, die nun, mit 70 Jahren, fast so alt ist wie der Regisseur bei seinem Tod.

Nichts und niemand hat Cinecittà so geprägt in all der Zeit wie dieser Mann aus Rimini. Bis heute ist er auf dem 40 Hektar weiten Studioareal an der Via Tuscolana 1055 so gegenwärtig wie ein guter Geist - und das nicht nur in dem Museum, das sein einstiges Büro enthält. Der Meister erinnert die 250 Angestellten, die hier fest arbeiten, und die vielen fremden Filmemacher, Fernsehproduzenten, Fotografen und Werbedesigner an das, was Kino bewegen kann.

Fellini und seinen Kollegen ist es in Cinecittà gelungen, den Rom-Mythos neu zu begründen und die in Provinzialität entschlafene Kapitale aufzuwecken. Sie haben mit ihren Filmen und Schauspielern die Stadt wieder zum Mittelpunkt der Erde gemacht, für all jene zumindest, die ihr süßes Leben über den Abgründen der Geschichte zelebrieren wollten.

Anita Ekbergs Geheimnis

Fellini hat diese mal rauschhafte, mal dekadente römische Renaissance der fünfziger Jahre zum Film verdichtet. "La Dolce Vita" heißt das Werk. Die blühend-blonde Schwedin Anita Ekberg in der barocken Fontana di Trevi wurde zum Symbol einer Ära. Nur: Bis auf die letzte Einstellung ist die Szene nicht im echten Trevibrunnen im Zentrum Roms gedreht, sondern in einer Nachbildung draußen in Cinecittà. "Wussten Sie das?", fragt Catherine Lowing belustigt, die für die Marketing-Abteilung der Kinostadt arbeitet. Der Besucher wusste es nicht. Leider sei der Imitat-Brunnen bei einer Ausleihe kaputtgegangen, sagt Lowing.

Schnitt. Die Ankunft mit der Metro vor Cinecittà ist enttäuschend: Zwischen Trabantenstädten, Tankstellen und Einkaufszentren stehen umbrafarbene, mit Stacheldraht gekrönte Mauern, die die Traumstadt vor der banalen Außenwelt schützen. Kubische Torbauten im schmucklosen, rationalen Stil des italienischen Faschismus säumen den Eingang.

Vorne hui und hinten: Gerüste

Dahinter wachen gelangweilt-freundliche Kustoden. Dann, drinnen, empfängt den Besucher eine lauschige Gartenlandschaft mit Schirmpinien, Palmen, gepflegten Wiesen, Brunnen und den terracottafarbenen Verwaltungsgebäuden und Studios. "3000 Filme wurden hier gedreht, 47 Oscars für sie vergeben", sagt Catherine Lowing stolz, während sie durch diese melancholisch stimmende Melange aus Park, Museum, Werkshof und Studiogelände führt.

"Bis heute kommen die großen Regisseure hierher", versichert Lowing und deutet auf einen Straßenzug, der das New York des 19. Jahrhunderts widerspiegelt. Hier drehte Martin Scorsese sein Epos "Gangs of New York". Neun Häuserblocks ließ er nachbauen, verblüffend lebensecht wirkende Attrappen von Lagerhäusern, Kneipen, Shops und einem Hotel, vorne hui und hinten gestützt von Gerüsten aus rostigen Eisenstangen.

"Scorsese wollte es so authentisch wie möglich", sagt Lowing. Wer weiß, wie viele Regisseure sich so etwas in Zeiten der Simulationskunst noch leisten werden. "Marty, warum hast Du keinen Computer benutzt?", fragte der amerikanische Produzent und Regisseur George Lucas seinen Kollegen Scorsese mit Blick auf diese aufwendigen Attrappen.

Auf der nächsten Seite erfahren Sie, warum Fellini mit der italienischen Filmstadt so eng verbunden war.

Mussolinis Traumfabrik

Nun ist in den Straßen New Yorks ein Hämmern und Bohren zu hören. Arbeiter schleppen Spanplatten heran - Rohmaterial für neue Kulissen, für ein romantisches Venedig oder ein glitzerndes Las Vegas, wie es den Regisseuren gerade gefällt. Ein paar Schritte weiter erheben sich die maroden Kulissen eines holländischen Dorfes. Dahinter taucht ein mittelalterliches Städtchen auf mit Mauern, Häusern und Kirchen aus unverputztem Naturstein. "Das sieht ja aus wie Assisi", ruft der Besucher verblüfft. Catherine Lowing kichert: "Das ist Assisi. Unsere Leute haben es in zwei Wochen erbaut, für eine Fernsehinszenierung über den Heiligen Franziskus."

Erst Mussolinis Hollywood, dann ein Flüchtlingslager

In zwei Wochen? Das erscheint kaum glaublich. Erst wenn man ganz nahe herangeht und mit der Hand die lederdünnen Fassaden umfasst, merkt man, dass alles aus Tand gebaut ist. "Unsere römischen Handwerker, Schreiner, Schmiede und Kostümbildner sind einmalig", meint Catherine Lowing. "Außerdem haben wir dieses Wetter, diese Sonne!"

Sie zeigt auf den sattblauen Januarhimmel, der durch die Schirmpinien lugt. Das alles mache Cinecittà zur attraktiven Konkurrenz für andere europäische Studios. Gewiss, in Osteuropa lasse sich billiger drehen. Aber das sehe man den Filmen auch an. Die Kulissen wirkten gekünstelt. Cinecittà dagegen setze auf Qualität und Authentizität. Italien sei eben anders.

Rückblende: Auf die Italianità baute schon der Duce, als er am 27. April 1937 Cinecittà einweihte. Seine Kinostadt sollte Hollywood Konkurrenz und Rom Ehre machen. Natürlich wurden da in den Anfangsjahren Propaganda- und Kriegsfilme gedreht. Am häufigsten aber entstanden Komödien. Nach dem Krieg und der deutschen Besatzung diente die Filmstadt dann als Flüchtlingslager. Gina Lollobrigida lernte im Hospital einen Arzt, ihren erster Ehemann kennen.

Dann kamen die italienischen Neo-Realisten wie Vittorio De Sica und Roberto Rossellini, und bald fielen auch die Amerikaner mit "Sandalenfilmen" wie "Quo Vadis" und "Ben Hur" ein. Cinecittà wurde zum "Hollywood am Tiber". Regisseure und Diven aus Übersee brachten die Dolce Vita nach Rom. Liz Taylor und Richard Burton, Audrey Hepburn und Gregory Peck ließen die römischen Nächte glänzen. Fellini und Luchino Visconti konterten mit der subtileren Filmkunst der alten Welt, mit "La Strada" und "Il Gattopardo".

Sieg des kleinen Formats

Der Siegeszug des Fernsehens veränderte später auch die Kinostadt. Die qualitätsvollen Produktionen nahmen ab. Immer mehr wurde fürs kleine Format produziert. Daran hat sich bis heute nichts geändert, auch wenn Cinecittà die Krise der achtziger und neunziger Jahre bewältigt hat. Die Filmstadt wurde privatisiert, modernisiert. Sie kann den Regisseuren heute vom Dreh an virtuos nachgebauten Schauplätzen bis hin zur Bearbeitung des Filmmaterials alles in italienischer Qualität bieten. Doch ohne Fernsehproduktionen und Werbespots könnte Cinecittà kaum überleben. Im legendären Studio fünf, in dem einst Fellini über das Reich der bewegten Bilder herrschte, werden gerade die Kulissen für eine TV-Show namens "Amici" gezimmert.

"Jedes Mal, wenn ich hier ankomme, erschüttert mich ein Erdbeben der Emotionen", sagte Sophia Loren bei den Feiern zum 70. Geburtstag der Filmstadt. Doch Cinecittà muss nicht im Blues versinken. Die Bertreibergesellschaft kaufte in letzter Zeit Studios in Rom, Umbrien und Marokko hinzu. Zugleich wird "Cinecittà World" geplant, eine Art Disneyland des Kinos, das bald drei Millionen Besucher im Jahr empfangen soll.

Zudem lenkt das frisch gegründete Kinofestival Roms neue Aufmerksamkeit auf die alte Cinecittà. Vielleicht finden sich ja auch noch Zeit und Geld, um nun, nach 70 Jahren, einen eigenen Streifen über die Filmstadt zu drehen. Den gebe es längst, meint Catherine Lowing. Richtig. Der Film heißt "Intervista" - und Regisseur ist Federico Fellini.

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