"Roman in Fragen" von US-Autor Padgett Powell:"Sind ihre Gefühle rein?"

Der US-Schriftsteller Padgett Powell hat ein Buch geschrieben, das nur aus Fragen besteht, ohne Handlung, ohne Zusammenhang und ohne Erzähler. Was wie eine Zumutung erscheint, ist ein tolles Leseabenteuer, das offenbar sogar Beziehungen verändern kann. Darüber wiederum ist der Autor selbst ein wenig erschrocken.

Jörg Magenau

Und das soll also ein Roman sein? Ein Buch, das aus nichts als mehr oder weniger zusammenhängenden Fragesätzen besteht? Der amerikanische Originaltitel "The Interrogative Mood. A Novel?" enthält immerhin ein Fragezeichen, das auch die Gattungsbezeichnung unter Vorbehalt stellt. Er passt deshalb besser als das im Deutschen allzu apodiktisch geratene "Roman in Fragen". Der Autor Padgett Powell selbst wäre nie so vermessen gewesen, dieses Werk als Roman zu bezeichnen. Daran habe er nie und nimmer gedacht, sagte er in einem Interview. Vielmehr habe ihn das narrative Erzählen der traditionellen "Fiction" einfach gelangweilt. Er wollte etwas anderes machen. Schreiben, ohne zu erzählen. Ein Versuch.

Fragezeichen

Die Fragen in Padgett Powells Roman "The Interrogative Mood. A Novel?" sind mal witzig, mal albern, mal klug und auch mal fies.

(Foto: iStock)

Bedauerlich ist das insofern, weil der 1952 in Gainesville (Florida) geborene Padgett Powell sich in seinen wenigen Romanen als äußerst lebendiger, origineller Erzähler erwiesen hat. Sein Debüt "Edisto" aus dem Jahr 1984 wurde nicht zu Unrecht mit Mark Twain, Tennessee Williams und, wie jeder Adoleszenzroman, natürlich auch mit J. D. Salingers "Fänger im Roggen" verglichen.

Noch besser war die darauf folgende Road-Novel "Eine Frau mit Namen Drown" - wie alle Bücher Powells eine Erkundung des amerikanischen Südens als einer Welt exzentrischer Einzelgänger. Weniger Erfolg hatten dann die beiden folgenden Romane, einschließlich der Fortsetzung "Edisto revisited".

Seit 1984 ist Powell Professor an der University of Florida, wo er Studenten in die Geheimnisse des Schreibens einweist. In diesem Zusammenhang entstand auch der "Roman in Fragen". Weil es ihm zunehmend auf die Nerven ging, wenn wissbegierige Studenten von ihm wissen wollten: Wie soll ich das interpretieren? Was meint der Dichter damit? -, entschloss er sich, ab sofort zurückzufragen. Und so legte er los: "Sind Ihre Gefühle rein? Sind Ihre Nerven anpassungsfähig? Wie stehen Sie zur Kartoffel?" Damit beginnt sein Buch, und weil er merkte, wie viel Spaß ihm das machte, hörte er mit dem Fragen gar nicht mehr auf. In der deutschen Übersetzung von Harry Rowohlt geht das so 184 Seiten lang.

Prozess der Selbstprüfung

Ein Buch ohne Handlung, ohne Zusammenhang und ohne Erzähler ist natürlich eine Zumutung. Immerhin ist hinter dem Fragestellenden ein Mann in nicht mehr jugendlichem Alter zu erahnen, der eine gewisse Neigung zu sentimentalen Erinnerungen hat, ohne sich Sentimentalität genehmigen zu wollen. Seine Fragen zielen auf die Konsistenz von Unterhosengummis ebenso wie auf die Größe des Universums. Sie rufen enzyklopädisches Wissen ab ("Wie heißen die verschiedenen Teile eines Schuhs?"), bieten Gelegenheit zu ästhetischen Debatten ("Wer ist der beste Gitarrist der Welt, ihrer Ansicht nach?"), sind aber vor allem eine fortgesetzte Aufforderung zur Selbstbefragung. "Betrachten Sie sich als Menschen, der Geld hat, als Menschen, der Geld haben wird, oder als Menschen, der kein Geld hat und, falls nicht etwas dazwischenkommt, nie Geld haben wird?"

Die Fragen sind mal witzig, mal albern, mal klug, mal fies. Hervorgetrieben werden sie allesamt durch die Erkenntnis, dass es nicht so sehr auf Antworten und Meinungen ankommt, weil es davon sowieso viel zu viele gibt. Erst die an den richtigen Stellen angesetzten Bohrungen setzen das Denken in Bewegung.

Nimmt man Powells Fragegewitter ernst, kommt ein Prozess der Selbstprüfung in Gang, in dem auch das Selbstverständliche ins Wanken gerät, einschließlich der Gewissheiten, was ein Roman ist und zu sein hat. Dieses Buch ist ja nicht fertig, nur weil es gedruckt vorliegt. Es ist vielmehr eine Herausforderung an jeden Leser, daraus etwas Eigenes zu machen und seine eigenen Positionen zu entwickeln, zu überprüfen, zurückzuziehen.

Lesen wird dabei zu einem Akt, das Leben neu durchzubuchstabieren und über Dinge nachzudenken, über die nachzudenken man längst aufgehört hat. Das lässt sich nicht über allzu viele Bücher sagen.

Was der Fragemodus bewirken kann, erfuhr Powell aus der Zuschrift eines Lesers. Er habe, schrieb dieser Mann, das Buch seiner Freundin vorgelesen und sie alle Fragen beantworten lassen. Jetzt wisse er sehr viel mehr über sie, und dafür wolle er dem Autor danken. Da war Powell dann doch ein wenig erschrocken darüber, was er angerichtet hatte.

PADGETT POWELL: Roman in Fragen. Aus dem Englischen von Harry Rowohlt. Berlin Verlag, Berlin 2012. 192 Seiten, 17,90 Euro

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