Roman "Im falschen Bett" von Jens Jessen:War sie denn hübsch?

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Der Journalist Jens Jessen hat einen gut gelaunten Gesellschaftsroman geschrieben. Es geht um die Neunzigerjahre, das Fernsehen und um München als Lebensform. Das gibt einiges her, im Gegensatz zur harmlosen Berliner Republik.

Christoph Bartmann

Heiterkeit ist, wie man weiß, ein knappes Gut im Gegenwartsroman, erst recht die Heiterkeit, die einen Überschuss an Geist, Witz und Weltkenntnis zum Ausdruck bringt und nicht einfach nur gute Laune verrät. Wo gibt es so etwas? Sicher nicht bei Rainald Goetz, manchmal etwa bei Martin Mosebach und, neuerdings, bei Jens Jessen. Mit "Im Falschen Bett" hat Jessen einen eleganten, gut gelaunten Gesellschaftsroman vorgelegt, der seine Leser von Anfang bis Ende bestens unterhält, ohne dass wir seinen Themen irgendeine Dringlichkeit ablauschen könnten. Es geht um München, Fernsehen, die Neunzigerjahre, um Themen, Orte, Zeiten, die keineswegs um verschärfte Gegenwartsrelevanz buhlen.

Die Eingangsfrage des Romans lautet denn auch unüberbietbar relevanzfern: "War sie eigentlich hübsch?" Sie, Christina, ein Münchner "Unglücksmädchen", das durch widrige Umstände erst in der "Unglücksshow" und dann auch im Bett eines öffentlich-rechtlichen Fernsehproduzenten landet. War sie denn hübsch? In Beantwortung dieser Frage zeigt sich Jessens stilistisches Vermögen: "Während die anderen Mädchen mit breitem Pinsel getuscht waren", heißt es, "war sie mit spitzer Feder auf hartem Karton gezeichnet. Sie hatte etwas Präzises, Ausformuliertes." Wollte man Jessen ein etwas zweischneidiges Kompliment machen, könnte man sagen: Er kann formulieren. Er hat die Welt, jedenfalls die des Romans, formulierend im Griff. Oder anders: Er ist nicht regelrecht um Worte verlegen.

Solche Typen hat es bestimmt gegeben

Der Roman kreist um München als Lebensform, oder genauer: um ein kulturell vermitteltes, heute etwas verjährt wirkendes Bild von München als Hauptstadt der Frivolität, der Heuchelei und des schönen Scheins. Schön wäre es, möchte man sagen, wenn es in München jemals so frivol zugegangen wäre. Eine tragende Rolle bei der Produktion des schönen Scheins in München spielt, zumindest bei Jessen, das Fernsehen. Nicht das private, das doch in jenen Jahren in München blühte, sondern das öffentliche, in dem ein meist als "Bonze" (die gibt es beim Privatfernsehen nicht) bezeichneter Produzent die Rolle des Bösewichts und Verführers spielt. Solche Typen hat es bestimmt gegeben, oder es gibt sie noch heute, aber würde man ihnen heute noch eine Satire widmen, worin sie dann als Säulen der Gesellschaft figurierten?

Vielleicht hat Jessen aber auch gar keine Satire geschrieben, sondern vielmehr ein bestimmtes Modell von Gesellschaft und Geselligkeit reanimiert, das dem heutigen kaum mehr ähnelt, insofern nämlich Klatsch, Infamie und Boshaftigkeit seine treibenden Kräfte waren. Über solche Verhältnisse lässt sich, wenn man die Sprache und den Witz dazu hat, trefflich schreiben; über die harmlose Berliner Republik dagegen nicht. Jessen hat die Sprache und den Witz, und vielleicht liegt die eigentliche Leistung des Romans darin, uns an Zeiten zu erinnern, in denen sich die Investition von Sprache und Witz in die Beschreibung der Gesellschaft noch lohnte.

Grundklima der Heuchelei und der Halbwahrheiten

Christina also, und der Produzent. Er wird sie, seinem Berufs- und sonstigen Instinkt folgend, ohne großen Widerstand ins Bett zerren, und beobachtet wird das Geschehen von einem Ich-Erzähler, der als Praktikant in den Studios des besagten Senders arbeitet und der mit seinen Wohngemeinschaftskolleginnen und -kollegen das erotische Geschehen süffisant kommentiert. Die Handlung, auch wenn sie später dann - fast erwartbar - Verbrechen und Verbrechern auf die Spur gerät, ist nicht umwerfend originell, was aber immer wieder entzückt, ist Jessens Kunst der Zeichnung ("mit spitzer Feder auf harten Karton"). Am Vater der neuen Freundin etwa stechen die "hellblau leuchtenden, murmelrunden, unter schweren Lidern hervorquellenden Augen" heraus, "die nicht durchsichtig waren, aber stark glänzten und darum an Porzellan denken ließen, an eine starke Lasur über blassem Fondblau".

Ähnlich subtil trifft Jessen die Tonarten des Münchner Wetters, das mal heiß und mal kalt, mal schwül und mal eisig über diesen Roman hinweggeht. Die Tendenz geht zum Unwetter, schon weil sich hier etwas Übles zusammenbraut, weil sich das Münchner Grundklima der Heuchelei und der Halbwahrheiten zusehends erhitzt. Ein "zweites München" voller übler Machenschaften tut sich auf, in das die Fernsehgewaltigen (auch das ein Wort aus der Vorzeit), Rundfunkräte und sonstigen Würdenträger aufs unanständigste verstrickt sind.

"Der Zersetzungsprozess in der Umgebung des Bonzen lief weiter, auch ohne dass von außen toxisches Material zugeführt wurde" - im Sender, der pars pro toto für das ganze verruchte München steht, ist die Hölle los. Man scheut sich, diesen Roman als "wichtig" zu bezeichnen, nennen wir ihn lieber beschwingt, leicht und böse, so wie man es von einer guten Operette erwartet. Viel amüsantere Lektüren als Jessens unzeitgemäße München-Operette sind jedenfalls derzeit nicht zu erwarten.

Jens Jessen: "Im falschen Bett". Roman, Carl Hanser Verlag, München 2012. 224 Seiten, 17,90 Euro.

© SZ vom 12.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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