Neuer Roman "Hier bin ich":Sexting in der Midlife-Crisis

Author Jonathan Safran Foer

Elf Jahre hat Jonathan Safran Foer keinen Roman veröffentlicht.

(Foto: Natan Dvir/Polaris/laif)

Ehekrise, Affäre, Schreibblockade: Jonathan Safran Foer, einst Jungstar des amerikanischen Literaturbetriebs, hat den Protagonisten seines neuen Romans nach eigenen Erfahrungen geformt.

Buchkritik von Jörg Häntzschel

Auch literarische Wunderkinder werden älter. Ihr Ruhm ist gewachsen, aber ihre Testosteronwerte sind gesunken. Sie haben inzwischen selbst Kinder bekommen, aber Haare verloren. Und weil sie ihren einst angehimmelten Ehefrauen immer weniger zu sagen haben, legen sie sich Zweithandys zu, zum Sexting mit ihren Freundinnen. Nein, die Rede ist nicht von Jonathan Safran Foer, sondern von Jacob Bloch, dem Helden in Foers neuem Roman "Hier bin ich", dem ersten seit elf Jahren. Doch weil die ehemaligen Jungen auch notorisch vergesslich sind, lassen sie diese Handys gerne irgendwo liegen, und dann machen diese Handys vibrierend auf sich und neue Sex-Botschaften aufmerksam und fallen Ehefrauen in die Hände, und der ganze Betrug fliegt auf.

Genau das passiert Jacob Bloch, einem früher sehr ambitionierten, wenn auch wenig gelesenen Autor, der heute Skripts für eine Fernsehserie mit vier Millionen Zuschauern schreibt. Er heiratete die Architektin Julia, sie bekamen drei Söhne, kauften einen Saab, einen Volvo und ein üppiges Haus im Washingtoner Viertel Cleveland Park, in dem sie geschickt Mid-Century-Klassiker und Ikea-Möbel kombinieren. Doch das reichte nicht, um das Glück zu erhalten, das sie früher zusammen hatten. Es verflüchtigte sich. "Wie hatte aus all der Anwesenheit Abwesenheit werden können?", fragt sich Jacob.

Mit Ben Stiller arbeitete er an einer Serie für HBO, das Projekt scheiterte

Seine Affäre ist also nur der Auslöser einer offenen Ehekrise, die unter der Oberfläche des Bilderbuch-Familienlebens schon seit Jahren wuchert wie ein Pilz. Foer umschleicht dieses Myze,l als sei es ein einzigartiges und geheimnisvolles Phänomen, doch der Leser möchte mehr als einmal während dieser 700 Seiten rufen: Habt ihr noch nie etwas von Midlife-Crisis gehört? Und davon, dass das Liebesleben in vielen Ehen nach 16 Jahren nicht mehr so aufregend ist wie im ersten? Klar, Julia, es war vielleicht ein Fehler, dass du deine Karriere den Kindern geopfert hast. Jetzt ist es schwer, wieder einzusteigen. Und Jacob, ja, in deinem Leben wird "nichts größer", Du kämpfst nur noch darum, "dass nichts kleiner" wird. Aber so geht es doch allen! Ihr fürchtet "die Leere, die ohne die Kinder eintrat"? Willkommen im Klub!

So altbekannt die Untiefen des mittleren Alters sind, so detailliert und authentisch sind sie hier beschrieben. Das alles hört sich so erlebt und erlitten an, dass man kaum anders kann, als dies nicht nur Foers Erzähltalent zuzuschreiben. Der Verdacht drängt sich auf, er erzähle seine eigene Geschichte. Auch Foer, der jetzt 39 ist, hat ja als Jungstar begonnen. 2002, mit 25, schrieb er den Weltbestseller "Alles ist erleuchtet". 2005 folgte "Extrem laut und unglaublich nah", eines der wenigen erfolgreichen 9/11-Bücher. Statt in Cleveland Park, dem Washingtoner Viertel für Familien, die ihre Hipness in die Bürgerlichkeit hinüberretten wollen, wohnt er im Brooklyner Pendant Park Slope. Auch er hat Kinder. Und auch bei ihm gab es privat Ärger. Seine in zahllosen Homestorys verklärte Glamour-Ehe mit der Schriftstellerin Nicole Krauss ging 2014 - über einer E-Mail-Affäre mit Natalie Portman - in die Brüche.

Doch die Parallelen gehen noch weiter. 2012 berichtete der Hollywood Reporter, Jonathan Safran Foer und der Schauspieler Ben Stiller planten für HBO eine Serie rund um die "täglichen und lebensverändernden Dramen einer jüdischen Familie in Washington". Bald darauf wurde das Projekt mit dem Titel "All Talk" eingestellt. Jetzt weiß man, was daraus wurde: Die Serie lebt in "Hier bin ich" weiter und sie handelt von Jacobs eigener Familie. Schon seit Jahren strickt er an dieser Langzeitchronik, mit der er hofft, den Sprung vom Lohnschreiber zum Auteur zu schaffen. Foers Roman wiederum liest sich über weite Strecken wie ein Drehbuch. Das Skript der nie realisierten Serie? "All Talk" wäre jedenfalls auch ein guter Titel für den Roman gewesen: Die Pingpong-Dialoge ziehen sich seitenlang hin. Und man hört beim Lesen fast, wie Foers Sentenzen - "Beschämung ist die Mutter aller Gefühle" - aus dem Off gesprochen werden.

Diesen Eindruck verstärkt die Übersetzung noch, die über weite Strecken den bekannten Sound von lieblos synchronisierten Sitcoms hat, in denen Menschen immer "Ich schätze" sagen. Doch schlimmer sind die Stilblüten und offensichtlichen Fehler: Mit dem schon im Original verqueren Satz "You're lonely and I look like a Band-Aid" ist etwas gemeint wie: Du bist einsam, und ich erscheine dir wie der Ausweg aus dieser Einsamkeit. Daraus wird hier, gnadenlos wörtlich übersetzt, das sinnfreie: "Du bist einsam, und ich sehe aus wie ein Heftpflaster". "It isn't rocket science" heißt nicht "Ist doch keine Raketentechnik", sondern "Ist doch nicht so kompliziert!" Und eine "kneejerk reaction" ist keine "kniereflexartige Antwort", sondern eine übereilte, unüberlegte Reaktion. Maryland hat keine "Stadtverwaltung", weil es ein Bundesstaat ist, und der "Mac Arthur Award" ist kein "Orden", sondern der wichtigste Preis für Künstler und Wissenschaftler in den USA.

Foers erste beide Bücher waren aus der Sicht von Kindern erzählt, Kunstkindern allerdings, die mehr sahen und zu sagen hatten als alle Erwachsenen. Foer hatte ein geschicktes Konstrukt erfunden: Er konnte mittels dieser Kinderperspektive seinen Hang zum Sentimentalen ausleben, sorgte aber mit allerlei postmodernen Tricks dafür, dass sich Kitschvorwürfe halbwegs entkräften ließen. In "Hier bin ich", wo Foer erstmals aus der Sicht eines Erwachsenen erzählt, fehlt diese Differenz. Ego und Alter kommen zur Deckung, und statt der funkelnden Fantasie eines Kinderhirns erleben wir die allzu vertraute Larmoyanz eines Desillusionierten. Hier und dort bringt Foer noch die charmanten Ideen unter, für die er berühmt ist. Die Blochs sammeln Dinge, die innen größer sind als außen. Jacob hat sich als Kind nicht nur zum Spaß taub gestellt, sondern auch noch die Gehörlosensprache gelernt. Aber diese Ideen gehen zunehmend unter im Alltagseinerlei.

Doch wie immer bei Foer steht das Private auch hier im Schatten des Weltgeschehens. Jacob quält nicht nur seine zerbrechende Ehe, sondern auch sein ungeklärtes Verhältnis zum Judentum, eine permanente Quelle des schlechten Gewissens. Sein Urgroßvater Isaac verlor fast alle Angehörigen im Holocaust. Und auch in dieser Frage muss er sich nun bekennen: Es beginnt mit der Bar-Mizwa seines ältesten Sohns Sam, die nun vielleicht abgesagt wird, weil er mit rassistischen Sprüchen in der Schule auffiel. Dann kommt sein Cousin Tamir zu Besuch nach Washington und verlangt Loyalitätssignale für Israel.

Und weil das nicht reicht, greift Foer zum bewährten Theatertrick, dem deus ex machina. Er lässt in Israel die Erde beben, macht 20 Millionen Menschen zu Flüchtlingen und beschwört - hart an der Grenze zur Geschmacklosigkeit - einen apokalyptischen Konflikt herauf, gegen den sich der Syrienkrieg ausnimmt wie eine Wirtshausschlägerei. Jacob sieht in der drohenden Apokalypse vor allem die willkommene Gelegenheit, sich endlich als Mann und Jude zu beweisen. Nicht nur Julia verliert hier die Geduld mit ihm.

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