Roman "Götterdämmerung":In meiner Badewanne bin ich noch mondän

Lesezeit: 3 min

Giftmord und Gewitter: Élémir Bourges' Roman "Götterdämmerung" aus dem Jahr 1884 frönt dem dekadenten Wagnerismus. In Deutschland ist das Buch kaum rezipiert worden, und dafür gibt es gute Gründe. Nun erscheint eine erste deutsche Übersetzung.

Von Stephan Speicher

Ein Giftmord ist vorbereitet. Giulia Belcredi - man beachte den sprechenden Namen! - will den Herzog von Blankenburg, dessen Favoritin sie ist, töten. Der Herzog badet in seiner Malachit-Wanne, die Eisen für die Bartpflege werden in der Glut von Olivenkernen erhitzt, ein Gewitter naht, da fliegt der Plan auf. Otto, Sohn des Herzogs, Liebhaber der väterlichen Favoritin und Mittäter ihres Verbrechens, zieht die Pistole, er verfehlt den Vater, wird aber selbst am Kopf getroffen und den Rest seines Lebens in der Irrenanstalt verbringen. Die Giftmischerin setzt den Flakon mit der verbliebenen Blausäure an ihre Lippen, und "im selben Augenblick schien ein so gleißender Blitz, dass er wie ein langer Pfeil durch die Läden drang".

Mehr kann man wirklich nicht erwarten. In seinem Roman "Götterdämmerung" hat Élémir Bourges keinen Effekt ausgelassen. Der Leser wird durch Szenerien geführt, wie von Makart gemalt, alles ist reich, farbig, schwer und üppig, reif und sündig. Der Roman erschien 1884, ein Jahr nach Richard Wagners Tod, und auf sein Werk bezieht sich Bourges. Zehn Jahre umfasst die Handlung. Sie setzt ein mit dem Geburtstagsfest des Herzogs in seiner niedersächsischen Residenz 1866. Gerade ist der Deutsche Krieg ausgebrochen, das soll die Feierlichkeiten nicht stören. Höhepunkt ist eine Aufführung des ersten Akts der "Walküre", der Komponist selbst dirigiert. Doch in die große Liebesszene platzt die Nachricht vom Einmarsch der preußischen Truppen. Das ist das Ende der herzoglichen Macht; er flieht nach Paris, wo er in unerschöpflichem Reichtum müßig seine Tage verbringt.

Zum Einzug in sein neues Palais (vormals das der Lola Montez) wird ein neuer Versuch mit der "Walküre" unternommen. Giulia Belcredi, die Sängerin der Sieglinde 1866, will ihre Macht über den Herzog ausbauen, indem sie zwei seiner Kinder aus dem Weg räumt, Geschwister, die sich innig lieben. Die beiden, musikalisch hoch begabt, übernehmen auf Drängen der Belcredi die Rollen Siegmunds und Sieglindes. Unter dem Eindruck ihrer Partien kommt es zum Inzest, der Sohn erschießt sich, die Tochter wird ins Kloster gehen.

Handlung mit Hilfe wüster Intrigen

Und zuletzt dann die "Götterdämmerung". Der Herzog besucht die Uraufführung 1876 in Bayreuth und hat ein eigenes Erlebnis vom Ende. Er sieht sich um im Festspielhaus und muss eine neue Welt zur Kenntnis nehmen, die der Industriellen, Juristen, Literaten. Der deutsche Kaiser grüßt zwei jüdische Bankiers im Publikum. "Ja! Die Juden standen heute in höherem Ansehen als Könige." Und dann die Amerikaner mit ihrem unverschämten Benehmen, "die reichsten Leute der Welt", aber offenbar "dem einfachsten Volk, dem Pöbel" entstammend. Im Trauermarsch auf Siegfrieds Tod liegt für Karl II. "die Trauer über alles, was er gekannt und geliebt hatte". Ins Hotel zurückgekehrt, trifft ihn Stunden später der Schlag.

In Deutschland ist Bourges' "Götterdämmerung" kaum zur Kenntnis genommen worden, gerade dass die Spezialisten des "dekadenten Wagnerismus" ihn lasen. Die gerade erschienene deutsche Übersetzung ist die erste. Muss man dem Manesse-Verlag dankbar sein? Ein großes Kunstwerk ist diese "Götterdämmerung" kaum. Die Handlung bewegt sich mit Hilfe wüster Intrigen vorwärts, die Figuren sind schlicht bis zur Klischeehaftigkeit gezeichnet: Wer nicht aus Verfeinerung zu schwach zu leben ist, ist gemein und hemmungslos, von nichts als Habgier, Lüsternheit, Geltungssucht geführt. Von "Lasterhaftigkeit" aus Gewohnheit ist einmal die Rede, das trifft auch etwas an diesem Buch mit seinem routinierten Schwelgen in Verworfenheiten.

Doch wer den Roman kritisch liest, stößt bei der Lektüre auf historische Auskünfte. Niemand würde bezweifeln, dass Wagner der Ausdruck der Moderne ist. Kann man das auch von der "Götterdämmerung" des Élémir Bourges sagen? Der Roman ist weit konservativer, nicht nur in der künstlerischen Technik. In Stoff und Gedankenwelt nimmt er von dem, was seine Epoche ausmacht, wenig Notiz. Die Handlung und ihr Personal sind höfischer Art, sie könnten einer klischeehaften Renaissance so gut entstammen wie dem Rokoko. Und tatsächlich hat Bourges sich stark der Memoirenliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts bedient.

Antisemitischen Ressentiments

Mit dem Titel "Götterdämmerung" wird Modernität annonciert, ästhetisch durch Bezug auf Wagner, politisch durch das aufziehende Ende der alten Mächte. Aber da stimmt etwas nicht, und das zeigt nicht zuletzt die Deutung, die die Wagnersche "Götterdämmerung" erfährt. Der Trauermarsch auf Siegfrieds Tod, Ausdruck der gescheiterten Hoffnung auf das revolutionär Neue, wird vom Herzog gehört als Trauer um das Ancien Regime. Und weil er in diesem Augenblick sich des eigenen Versagens schonungslos bewusst wird, erhält seine Sicht doch ein gewisses Gewicht für den Roman.

Im Übrigen lassen Äußerungen des Autors in anderen Zusammenhängen, so Albert Gier im Nachwort, annehmen, dass er die antisemitischen Ressentiments des Herzogs, auf die alles hinausläuft, durchaus teilte. Wagners Götterdämmerung, die Vernichtung der unheilvollen alten Welt mit der Utopie einer restitutio in integrum - sie fügt sich eben gerade nicht umstandslos in die Welt der Décadence.

Élémir Bourges: Götterdämmerung. Roman. Aus dem Französischen von Alexandra Beilharz. Nachwort von Albert Gier. Manesse Verlag, Zürich 2013. 474 Seiten. 24,95 Euro.

© SZ vom 27.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: