Roman: "Die Zunge Europas":Humor ist mein Gemüse

Sieben belanglose Tage eines unattraktiven Witzautors: Heinz Strunk erkundet die Grundlagen seines Humors.

Paul-Philipp Hanske

Mathias Halfpape hat sich in den letzten Jahren zu einem veritablen Star entwickelt, obwohl sein Name kaum bekannt ist. Seine Lesungen - meist vor jungem, popaffinem Publikum - sind meist ausverkauft. Sein Roman "Fleisch ist mein Gemüse" verkaufte sich hunderttausendfach und wurde auch prompt verfilmt.

Roman: "Die Zunge Europas": Hat seinen zweiten schriftstellerischen Streich veröffentlicht: Komiker Heinz Strunk.

Hat seinen zweiten schriftstellerischen Streich veröffentlicht: Komiker Heinz Strunk.

(Foto: Screenshot: www.heinzstrunk.de)

Das Pseudonym, unter dem er veröffentlicht wurde, Heinz Strunk, ist nur eine von mehreren Rollen, in die der Komiker schlüpft. Seit über fünfzehn Jahren tritt Halfpape in verschiedenen Konstellationen auf, mal als Heinz Strunk, mal als Jürgen Dose, mal als Teil des genialen Hamburger Telefonstreich-Trios "Studio Braun".

Der gewaltige Erfolg seines Debüts darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Humor von Heinz Strunk zunächst einmal als Performance funktioniert. Strunks humoristischer Trick besteht darin, dass er es offenhält, worüber man lachen soll: über seine Witze oder über ihn, der diese Witze mit einer jämmerlich quiekenden Stimme auf so seltsam stolpernde und verkorkste Art vorträgt. Das Lachen über Heinz Strunk ist nie unschuldig, es ist immer auch ein Auslachen der haspelnden Witzfigur Heinz Strunk - oder gar der realen Person Mathias Halfpape.

Erbärmliche Jugend

Die Frage ist freilich, wie sich dieser autoaggressive Zug von Strunks Komik, für den Halfpape mit seinem Körper einsteht, in einen Text überführen lässt. In Heinz Strunks Debüt, der autobiographischen Erzählung "Fleisch ist mein Gemüse", löste er dieses Problem auf der Inhaltsebene, indem er schonungslos seine erbärmliche Jugend (und damit, wie kolportiert wird, auch die erbärmliche Jugend Halfpapes) beschrieb.

Strunk erzählte aus der zugleich todtraurigen und lächerlichen Welt der Mucker, jener bemitleidenswerten Musikerspezies, die von Autohauseinweihung zu Altenheimfest tingelt, um Fetenkracher vergangener Dekaden zum Besten zu geben. Das war schon deshalb lesenswert, weil es die immer noch vom Authentizitätsmythos des "Sex, Drugs & Rock'n'Roll" vernebelte Popwelt mit einem Gegenprogramm konfrontierte: mit pickeligen Saxophonisten, schäbigen Dorffesten und lauwarmem Bier. Auch das ist Pop.

Während die Kurzweil in "Fleisch ist mein Gemüse" den Anekdoten geschuldet war, funktioniert Strunks Nachfolgewerk "Die Zunge Europas" anders. Protagonist ist nicht mehr Heinz Strunk, sondern der Komiker Markus Erdmann - die Distanzierung vom realen Autor Halfpape wird also noch weiter getrieben. Erdmann fristet aber freilich ein ähnlich tristes Dasein wie der Mucker in "Fleisch ist mein Gemüse".

Wo es aber aus dessen Alltag eine Menge Skurriles zu berichten gab, so wird in "Die Zunge Europas" fast nichts erzählt - oder besser: die Nichtigkeit selbst. Sieben belanglose Tage eines verzweifelten, unattraktiven, in einer toten Beziehung lebenden Witzeautors ziehen in bleierner Monotonie vorüber. Eine Affäre deutet sich an, verläuft sich aber wieder, ein Buchprojekt wird skizziert - selbstverständlich aber nicht ausgeführt und die einzige Handlungssimulation ist ein undramatisches Beziehungsende zum Schluss der Erzählung.

Und zu all dem läuft das Verkaufsfernsehen. Dieses beschädigte Leben aber bildet nur die Kulisse für das eigentliche Thema, das Strunk verhandelt, und das ist ein poetologisches: er stellt die Grundlagen seiner Komik aus.

Haspelnde Mitleidsfigur

Der Protagonist Markus Erdmann verdingt sich als Pointenschreiber für einen abgetakelten Comedian, den er eigentlich verachtet. Er selbst möchte mit dumpfem Reflexhumor nichts zu tun haben und sieht sich stattdessen in der hehren Tradition der "Neuen Frankfurter Schule". Er verzweifelt manchmal an seinen Schreibhemmungen, findet sich oft aber auch schlicht genial.

Der Leser wird Zeuge dieser Genialität, denn immer wieder wird der träge Strom der Erzählung unterbrochen durch Einschübe aus Erdmanns Arbeitsmappe. Und da wird es schwierig. Zum Teil sind diese Texte in der Tat gut - etwa wenn ein überfülltes Freibad als apokalyptisches Szenario geschildert wird.

Dann aber wieder, wenn Erdmann seine Umschrift von "Sind so kleine Hände" des "Trauerkloßes" Bettina Wegner präsentiert: "Sind so kleine Kerlkes, mit Köpke, Arm und Bein / musst sie immer lieb ham, Kerlkes tun sonst schrein /sind so kleine Kerlkes, mit Augen, Ohr und Nas / musst sie immer streicheln, verfallen sonst dem Hass", ist der Humor ein ganz andrer.

Die eigentliche Pointe ist hier die holprige und erbärmliche Sprache, mit der die Betroffenheits-Schnulze aus den siebziger Jahren parodiert werden soll. Was Halfpape/Strunk hier macht, ist etwas ziemlich Vertracktes: er überträgt das Prinzip seiner Auftritte auf den Text und setzt es stilistisch um. Bei seinen Performances weiß man nicht, ob er die haspelnde Mitleidsfigur bloß spielt oder vielleicht doch ist.

Genau so ist man sich in "Die Zunge Europas" nicht sicher, ob der Sprachgebrauch künstlich lächerlich ist oder vielleicht doch unfreiwillig. Der feste Bezugspunkt, den Ironie immer braucht, um als solche erkennbar zu sein, er geht im potenzierten Rollenspiel verloren. Genau daher rührt der zutiefst verunsichernde Effekt Heinz Strunks - genau so wie sein unheimlicher Reiz.

Heinz Strunk: Die Zunge Europas. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 320 Seiten, 19,90 Euro.

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