Roman: Der Ministerpräsident:Schwatzwaldklinik

Lesezeit: 3 min

Ministerpräsident Urspring hat nach einem Unfall sein Gedächtnis verloren, kann sich weder an seine Frau noch an seinen Beruf erinnern: eine gute, kurzweilige Satire.

Tobias Lehmkuhl

Natürlich denkt man sofort an Dieter Althaus, seinen Skiunfall und die Wochen danach. Gut möglich, dass der damals so seltsam apathisch wirkende Ministerpräsident des Freistaats Thüringen den Tübinger Schriftsteller Joachim Zelter zu seinem neuen Roman inspiriert hat, ihn zumindest auf die Idee brachte, Claus Urspring, seinen "Ministerpräsidenten" einer komplexen Persönlichkeit zu entheben und ihn eher einem ferngesteuerten Roboter ähneln zu lassen.

Um sein unfallbedingtes Humpeln zu kaschieren, setzt sein Berater den Ministerpräsidenten auf ein Rennrad: Urspring gelobt nicht eher von seinem Rad zu steigen, als bis der CO2-Ausstoß um 20 Prozent gesenkt ist. Das Bild zeigt den niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister - ohne Amnesie, aber auch auf dem Fahrrad. (Foto: ddp)

Auf diese Weise ist es Zelter gelungen, einen Ich-Erzähler zu erschaffen, der sich selbst einigermaßen fremd ist und darum seine eigene Geschichte mit Distanz erzählen kann. Seit einem Autounfall nämlich leidet oder besser: erfreut sich Urspring einer Form der Amnesie, die ihn seine Umgebung wie einen Film erleben lässt, in dem er selbst wie ein Statist auftritt, und nicht in der Hauptrolle, die einem Ministerpräsidenten, nach gängiger Ansicht, zugedacht ist.

Doch ist es allein Ursprings Aufgabe, wie einem beim Lesen dieses temporeichen und für den deutschen Buchpreis nominierten Romans schnell bewusst wird, einem Amt sein Gesicht zu leihen, nicht, es mit Ideen oder gar seiner individuellen Persönlichkeit auszustatten. Er ist dazu da, bestimmte Funktionen zu erfüllen, unter anderem die, seine Partei an der Regierung und einzelne Personen an der Macht zu halten. Und da gerade die nächste Landtagswahl vor der Tür steht, dringt Julius März, sein Berater, sein Adlatus - was für eine Funktion nun diese zwielichtige Person ausfüllt, erfährt man nicht - dringt Julius März gegen den Rat der Ärzte darauf, die Rekonvaleszenz zu verkürzen, am besten ganz abzubrechen und gleich weiterzumachen mit Bodenseefahrten, Schwarzwaldwanderungen, Bierzeltreden.

Dabei kann sich Claus Urspring nicht einmal an seine Frau erinnern: "Der Gedanke war mir fern. Verheiratet zu sein. Eine Frau zu haben. Von einer Frau gehabt zu werden. Ob das überhaupt notwendig sei?" Julius März schiebt solche Bedenklichkeiten Ursprings schnell beiseite: "Es sei gut und richtig", teilt er Urspring mit, als wolle er ihm das Einmaleins der Politik erklären, "wenn ein Ministerpräsident eine Frau hat."

Da auf einen solch grüblerischen und zugleich ahnungslosen Politiker wie Urspring freilich kein Verlass ist, kommt März auf die Idee, den Ministerpräsidenten allerlei Worte, Worthülsen und Versatzstücke einsprechen zu lassen und daraus dann die dem jeweiligen Anlass entsprechende Rede zusammenzuschneiden. Zu diesem Zweck engagiert der die begnadete Tontechnikerin Hannah, und gemeinsam mit ihr installiert er sich ganz in der Nähe des ministerpräsidentialen Krankenzimmers.

Joachim Zelter hat keine Scheu, dieses Krankenzimmer wie überhaupt den Wirkungskreis seiner Hauptfigur in Baden- Württemberg anzusiedeln, mehr noch, er lässt sogar den ganz realen Philosophen Peter Sloterdijk auftreten und dem Ministerpräsidenten ein paar Fragen stellen. Sollte diese lustige Einlage nicht mit Sloterdijk abgesprochen sein, so braucht sich dieser keineswegs zu ärgern: Zelters Roman ist von Anfang bis Ende Satire, und zwar eine sehr gute. Sie zielt nicht darauf, einzelne Personen bloßzustellen, sondern bestimmte Typen.

Sich selbst ins Vergessen gerissen

Die eigentliche Hauptrolle in der "Ministerpräsident" spielt nämlich der Typ des intriganten Ränkeschmieds. Hier heißt er Julius März, und dieser März entblödet sich nicht, seinen Ministerpräsidenten auf ein Rennrad zu setzen, um dessen unfallbedingtes Humpeln zu kaschieren. Und so radelt Urspring auf die Wahlkampfbühnen Baden-Württembergs und gelobt nicht eher von seinem Rad zu steigen, als bis der CO2-Ausstoß um 20 Prozent gesenkt ist.

Auch deswegen hat der Fall Urspring wenig mit dem Fall Althaus zu tun: Urspring hat niemanden in den Tod, nur sich selbst ins Vergessen gerissen. Dadurch wird er selbst nach und nach zum Opfer, zum Spielball politischer Macht. Erwartet man anfangs noch, dass die Tontechnikerin Hannah seine Rettung sein könnte, so lässt sich Zelter auf ein solch billiges Happy End nicht ein. Auch Hannah schließlich instrumentalisiert Urspring für ihre eigenen, ganz unpolitischen Zwecke. Worauf sich Zelter hingegen verlässt, ist die Sogwirkung von Konjunktiv und indirekter Rede, ist die Eingängigkeit kurzer Sätze. Vorwerfen darf man ihm das keineswegs. Denn "Der Ministerpräsident" will nicht mehr sein, als er ist: eine gute, eine kurzweilige Satire eben.

JOACHIM ZELTER: Der Ministerpräsident. Roman. Verlag Klöpfer und Meyer, Tübingen 2010. 192 Seiten, 18,90 Euro.

© SZ vom 27.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: