Roman aus Mexiko:Gute und nicht ganz so gute Menschen

In "Das dritte Leben" eröffnet der mexikanische Autor Juan Villoro ein Schreckenshotel für gelangweilte, wohlhabende Touristen, die sich mal entführen lassen wollen. Es könnte Wirklichkeit werden.

Von RALPH HAMMERTHALER

Der Mexikaner Juan Villoro ist bei uns noch nahezu unbekannt. Das könnte sich jetzt ändern, da sein Roman "Das dritte Leben" erschienen ist. In seiner Heimat hingegen schätzen sie den 1956 geborenen Autor längst als einen Intellektuellen, der üble Verhältnisse anprangert. Allerdings zeigt auch er sich zunehmend ratlos. Drogenmafia, Gewalt und staatliches Unvermögen scheinen für ihn nur noch mit Zynismus und einem Sinn fürs Absurde zu bewältigen zu sein. "Einem Land kann es sehr schlecht gehen", sagte Villoro kürzlich in einem Interview, "aber solange die Menschen an die Zukunft glauben, ertragen sie alles Übrige leichter. Gegenwärtig erleben wir jedoch den Niedergang der Hoffnung."

Trotzdem lässt Juan Villoro am Ende seines neuen Romans ein wenig Hoffnung aufblitzen. Der Erzähler Tony Góngora wird mit der kleinen Tochter seines Freundes und einer wunderschönen, aber brutal misshandelten Frau in ein Flugzeug steigen, um in eine ungewisse Zukunft zu fliegen - in sein drittes Leben. Das erste Leben war laut und wild jede Nacht, ohne dass er an ein Morgen gedacht hätte.

Zehn Jahre lang spielte Tony als Bassist in der Rockband Los Extraditables: Die Auslieferbaren. Er wollte so gut sein wie Jaco Pastorius, der Bassist von Weather Report, und manchmal war er sogar ganz nah dran. Er fühlte sich gut, nahm Drogen und fühlte sich dann doppelt so gut. Dabei glich er einem durchscheinenden Gecko an der Mauer.

Im Hotel werden Geschäfte mit der Angst gemacht. Gelangweilte Touristen lassen sich entführen

Und obwohl ein halluzinierender Junkie Angst hat vor allem, was kriecht und krabbelt, liebte er Echsen, weil sie im Dunkeln glänzen. "Damals hatte ich wenige Ideen, doch die Echsen (flink, blau, gelb, grün) gaukelten mir vor, dass ich welche hätte." Wegen des exzessiven Drogenkonsums sind Tonys Erinnerungen an diese Zeit nur noch bruchstückhaft vorhanden. Er muss sich erzählen lassen, wer er mal war.

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(Foto: Hanser)

Bloß an Luciana erinnert er sich genau, wenngleich sie nichts von einem Gecko hatte, nicht blau, nicht gelb, nicht grün, sondern schwarz. Schwarz lackierte Fingernägel, schwarze Kleider, zu "einem schönen Weltuntergangsgesicht". Doch sie konnte ihn nicht retten. Jahre später, nachdem es die Rockband längst nicht mehr gibt, bekommt er die Chance für ein zweites Leben. Mario, sein Jugendfreund, einst Sänger der Band, holt ihn nach Kukulcán in die Karibik, wo er ein gläsernes Hotel, die Pyramide, leitet.

In diesem Hotel werden Geschäfte mit der Angst gemacht, vor allem mit gelangweilten Europäern und US-Amerikanern. Man inszeniert ihre Entführung. Und der Laden läuft gut. Mal agieren Schauspieler, die Guerilleros mimen, mal sind es gewöhnliche Kriminelle. Gäste, die sich von ihnen verschleppen lassen, haben, wenn sie wieder daheim sind, dann viel zu erzählen. Verbrämt therapeutisch lautet das Motto: "Wenn du an einer Schreckenssafari in Mexiko teilnimmst, misshandelst du keine Katzen in London."

Tony, der Musiker und Ex-Junkie, vertont hier die Bewegungen der Fische im Aquarium. Und wie jeder, der keine echte Funktion hat, aber trotzdem immer da ist, wird er für einige Gäste zum Vertrauten.

Mexiko sei so barock und surrealistisch, dass Literatur vor der Herausforderung stehe, einen halbwegs wahrscheinlichen Rahmen zu schaffen, hat Villoro in einem Gespräch mit mexikanischen Journalisten gesagt. So habe Literatur Dinge anzusprechen, die, wenn sie auch noch nicht geschehen sind, doch so geschehen könnten.

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Roman Das dritte Leben stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Einem der im Hotel angestellten Taucher wird mit einer Harpune in den Rücken geschossen. Ein echter Toter aber ist das Letzte, was ein Schreckensparadies für Touristen brauchen kann. Ginger, der Taucher, war der Route der Drogenschmuggler auf die Spur gekommen, und er hatte auch schon angefangen, seine Entdeckung preiszugeben, der Staatsanwaltschaft, dem amerikanischen Konsulat, den Anti-Drogen-Kämpfern der DEA. Denn Ginger, ein schwuler Schönling, wollte nicht mehr sein als ein guter Mensch, doch sein Verrat drohte alle ins Verderben zu stürzen. Mit ihm verhält es sich also so, wie es der Philosoph Martin Seel mit seinem Humphrey-Bogart-Theorem einmal gesagt hat: Der gute Mensch ist nicht ganz so gut wie der nicht ganz so gute Mensch.

Villoros Roman ist raffiniert gebaut, mit Aufmerksamkeit selbst für Randfiguren. Mit der Frage: "Wer hat denn nun den schönen Ginger umgebracht?" hält er seine Geschichte in Schwung. Dass er seinen Tony schließlich in eine unwahrscheinliche, quasi familiäre Konstellation und damit in ein drittes Leben entlässt, spricht für sein Vertrauen in die Kraft der Familie.

Tony wuchs bei seiner Mutter auf, hörte ihre Schritte und das Klirren von Geschirr, aber es gab keine Gespräche. War er aber bei Mario, seinem späteren Gönner, spitzte er die Ohren: "Nur in Marios Haus hatte es diese Gespräche ohne Inhalt gegeben, die nichts weiter waren als menschliche Luft, die Spur redender Menschen, eine diffuse Gegenwart, das größte Glück meiner Kindheit."

Juan Villoro: Das dritte Leben. Roman. Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Carl Hanser Verlag. München 2016. 288 Seiten, 19,90 Euro. E-Book 15,99 Euro.

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