Rolle der Medien:Anregendes Begehren

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Der Filmregisseur Hans-Jürgen Syberberg sollte in der Berliner Volksbühne mit dem Essayisten Boris Groys über das "Gesamtkunstwerk" sprechen: Aber Syberberg fand die Nachrichten vom Terror in Paris so "anregend", dass es dazu nicht kam.

Von Tobias Lehmkuhl

Am Wochenende ist der Filmemacher Hans-Jürgen Syberberg beim Lissaboner Filmfest für sein Lebenswerk ausgezeichnet worden, und in wenigen Wochen wird er seinen 80. Geburtstag feiern. Dazwischen war nun Zeit, sich im Roten Salon der Volksbühne vor ihm zu verbeugen. Dramaturg Carl Hegemann wenigstens sprach davon, dass Syberbergs Filme eine der ganz wenigen ungeheuren Erfahrungen in seinem Leben gewesen seien: Man könne mit ihr eigentlich nur umgehen, indem man sie verdränge.

So hat es denn in den letzten dreißig Jahren auch der Kulturbetrieb gehalten, wobei nicht ganz klar ist inwieweit sich Syberberg womöglich selbst aus dem Spiel geworfen hat. Die Verbindung seiner Begeisterung für Wagner mit seiner Faszination durch Hitler hatte ihn immer schon verdächtig gemacht, und wenn er 1988 im Interview mit André Müller über den müden, billigen Pluralismus herzog, der für alles eine Ecke habe, dann war das karrieretechnisch sicher nicht förderlich. Hitler und seine Leute hätten immerhin etwas gewollt. Heute gebe es nur noch Menschen, die nichts mehr wollten und nichts als frech seien. Die Demokratie sei unser Untergang, sagte er damals.

Aus der Öffentlichkeit war Syberberg fast verschwunden

Diese Freude an der Polemik führte nun am Dienstagabend auch dazu, dass der Abend einen gewissen Kitzel bereit hielt. Wobei Carl Hegemann durchaus Unbehagen zu beschleichen schien, als Syberberg mit leuchtenden Augen davon zu schwärmen begann, dass die Vorkommnisse in Paris geistig ausgesprochen anregend seien. Da frage man sich: Was treibe die um? Das sei doch faszinierend!

Der Kunstphilosoph Boris Groys, der neben Hegemann und Syberberg auf dem Podium saß, versuchte darauf eine Antwort zu geben. Mit auf den russisch-französischen Philosophen Alexandre Kojève meinte er, die Kämpfer des IS wollten begehrt und geliebt werden, deshalb sei ihnen die Darstellung ihrer Taten, die öffentliche Wahrnehmung so wichtig. Allerdings liege in ihrer Abhängigkeit von den westlichen Medien zugleich schon ihr künftiger Untergang begründet. Ökonomisch, ethisch, gesellschaftspolitisch böten sie keine Alternativen. Es ginge ihnen einzig darum, sich in der Wahrnehmung der Welt einen Platz zu verschaffen.

Der Platz, den sich Hans-Jürgen Syberberg in den letzten 15 Jahren verschafft hat, heißt Nossendorf. Dort, im nordöstlichen Mecklenburg-Vorpommern, hat er das Gut seiner Familie zurückgekauft und den Wiederaufbau zu seinem auch im Internet dokumentierten Großprojekt gemacht, einschließlich der Wiedererrichtung des örtlichen Kirchturms und der Marktfassaden im 1945 völlig vernichteten Nachbarort Demmin (das Flammeninferno hat der damals neunjährige Syberberg noch heute deutlich vor Augen).

Für Boris Groys handelt es sich bei diesem Projekt klar um einen Fall von Kunst: Habe man Kunst lange Zeit als einen klaren Gegensatz zum Faktischen aufgefasst, löse sich dieser in jüngerer Zeit immer stärker auf. In seiner "dritten Heimat", den Vereinigten Staaten, , so der Deutsch-Russe, spreche man gerne von "artistic research".

Der Wohnsitz sei ein Gesamtkunstwerk, bei dem der Künstler im eigenen Bild verschwinde, meinte Carl Hegemann, denn um den Begriff des Gesamtkunstwerks hatte es ursprünglich gehen sollen an diesem Abend. Darauf allerdings wollte Syberberg sich dann doch nicht einlassen, denn Hitler sei der größte Gesamtkunstwerker aller Zeiten gewesen, und das habe schließlich auch zu nichts geführt.

Da erhob Boris Groys ein letztes Mal Einspruch: Es gehe nicht um das Weiterführen. Nichts führe weiter. Die Welt sei endlich. Was wir auch täten, wir würden zwangsläufig scheitern. Darum sei Scheitern kein Beweis. Wer wollte da also ein Urteil fällen?

© SZ vom 19.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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