Rockwell-Gemälde bei Sotheby's:Kitsch oder Kunst? Kino!

Saying Grace Norman Rockwell Auktion Sotheby's

Das Bild "Saying Grace" von Norman Rockwell brachte bei einer Auktion 46 Millionen Dollar ein.

(Foto: dpa)

Norman Rockwells "Saying Grace" erzielt einen neuen Rekordpreis. Man könnte das Werk als reaktionäres Weltbild in Öl auf Leinwand sehen. Aber dann würde man dem Illustrator nicht gerecht, zu dessen größten Fans Steven Spielberg und George Lucas zählen.

Von Peter Richter, New York

46 Millionen Dollar! Für eine Illustration, für ein Zeitschriften-Cover, für etwas, das man üblicherweise als Gebrauchsgrafik bezeichnet und nicht als Blue Chip-Kunst für den Secondary Market: Norman Rockwells "Saying Grace" von 1951 ist bei Sotheby's in New York für eine Summe versteigert worden, die fast schon in Sichtweite zu dem letzten Auktionsrekord für ein ungefähr gleichaltriges Gemälde von Jackson Pollock bei Christie's liegt, das waren 52 Millionen.

Damit hat Amerika jetzt wieder auf der Frage herumzukauen, ob das beides tatsächlich vergleichbar ist. Ob also Rockwells Arbeiten in den Kanon der hohen Kunst gehören. Oder ob sie talentiert hergestellter Kitsch sind. Die Gesamtbevölkerung der USA ist über dieser Frage seit jeher zweigeteilt, geeint wird sie nur dadurch, dass absolut jeder diese Bilder seit seiner Kindheit kennt.

"The Problem We All Live With"

Jahrzehntelang, von 1916 bis 1963, malte Rockwell die Titelblätter der Saturday Evening Post, einem konservativen Familienblatt, und all die bei der Arbeit eingeschlafenen Weihnachtsmänner, aufgeregten Pfadfinder, froh um Thanksgiving-Truthähne versammelten Großfamilien und eben auch die jetzt 46 Millionen Dollar schwere Oma, die von Halbstarken bestaunt ihrem Enkel im Diner ein Tischgebet murmelt, haben sich tief im nationalen Bildergedächtnis eingenistet. Die heile Welt der neuenglischen Kleinstadt voller weißer, angelsächsischer Protestanten = reaktionäres Weltbild in Öl auf Leinwand; so ließ sich das natürlich sehen.

Aber ganz so einfach war das nicht. Rockwell engagierte sich gegen den Vietnamkrieg, und von Rockwell stammt "The Problem We All Live With": Es zeigt ein schwarzes Mädchen, das 1960 in New Orleans auf ihrem Weg in eine bisher rein weiße Schule von U.S. Deputy Marshalls vor Rassisten beschützt werden musste. Barack Obama hatte das Bild 2011 ins Weiße Haus hängen lassen. Schließlich ist es so, dass auch die Linke in den USA durchaus den Traum von den gesunden Dimensionen der amerikanischen Kleinstadt teilt.

Als Rockwell 1978 starb, war es beinahe schon eine Mode geworden, ihn als vollgültigen Künstler zu verehren. John Updike machte sich für ihn stark, Andy Warhol kaufte sein Porträt von Jacky Kennedy, und seit dem Siegeszug des Fotorealismus in den frühen Siebzigern rückten Qualitäten von Rockwells Bildern in den Fokus, die vorher von den anekdotischen Drolligkeiten überblendet waren: ein Hyperrealismus, in dem, als hätte es da schon digitale Bildbearbeitungstricks gegeben, mächtig an den Farbkontrasten geschraubt worden war. Oder die elliptischen Leerstellen. Oder die Anleihen bei Rembrandt.

Und einen Pollock hat Rockwell dann ja sogar tatsächlich auch mal gemalt, und davor einen kahlköpfigen "Connaiseur" von hinten. In einer soeben erschienenen Rockwell-Biografie von Deborah Solomon steht, dass Willem de Kooning den dort dargestellten Pollock für besser als die Pollocks von Pollock selber gehalten haben soll, was eine Unfreundlichkeit unter abstrakten Expressionisten war, aber eben nicht nur.

Homosexuelle, gar pädophile Neigungen?

Das Problem war: Rockwell bekam für seine Titelbilder 3500 Dollar, fühlte sich damit angemessen bezahlt und überließ die Originale dem Art Direktor der Saturday Evening Post. Dessen zerstrittene Erben haben etliche davon jetzt an den Markt gebracht und können sich über ein Auktionsergebnis von insgesamt fast 58 Millionen Dollar freuen, mit "Saying Grace" als größtem Posten. Die Nachfahren von Norman Rockwell hingegen dürfen sich mit Salomon pünktlich zum Auktionsrekord in den Läden stehender Biografie herumärgern, gegen die sie jetzt Protest eingelegt haben: Die Kunsthistorikerin unterstelle Rockwell unterdrückte homosexuelle, gar pädophile Neigungen. Salomon gab bekannt, dass sie dies Rockwell als Person keineswegs unterstelle, aus seinen Bildern (musizierende Männer beim Friseur, Pfadfinder) aber trotzdem herauslesen könne.

Ob diese Aufregung etwas zu dem stolzen Auktionsergebnis beigetragen ist, ist natürlich unbekannt. Genauso unbekannt sind nämlich die Käufer. Man kann nur spekulieren, ob Steven Spielberg da vielleicht zugeschlagen hat oder vielleicht sein Kollege George Lucas. Die beiden gelten als die größten Rockwell-Sammler des Landes. Aber das beantwortet wenigstens die Frage, ob diese Bilder Kunst oder Kitsch sind. Sie sind natürlich Kino.

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