Rock'n'Roll:Wurscht, es sind die Stones

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Tapsiger Schelm, opihafter: Gemessen am Auftrittsapplaus ist Keith Richards noch beliebter bei den Münchnern als sein ewiger Nebenbuhler Mick Jagger. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Trotz teurer Tickets: Die Band um Mick Jagger und Keith Richards begeistert im Olympiastadion die Fans - zum Beispiel Wolfgang Niedecken

Von Michael Zirnstein

Ein Konzert der Rolling Stones dauert in München nicht zweieinhalb Stunden, es geht schon mit seiner Ankündigung Monate zuvor los: Da erfasst ein Virus die Stadt, der bei jedem Besuch der weltgrößten Rock'n'Roll-Band ausbricht, die diese Stadt mitgeprägt hat. Und - so wünschen sich's die Münchner - auch umkehrt ein bisschen. Wie im Fieber trumpft dann auf, wer mal bei einem legendären Konzert dabei war, am meisten sticht natürlich der Circus Krone 1965 oder 2003. Und man fabuliert Anekdoten zusammen, jeder kennt ja jemanden, der irgendwo mal auf Mick Jaggers Schoß gesessen hat.

Der Begehrteste erlebt seine Rückkehr wohl nicht anders. Mit Freunden von hier geht er Torte essen und zum Italiener und stellt Bilder vom Spaziergang im Englischen Garten ins Internet. Ja, es sei toll, wieder da zu sein. Fast wie früher. Auch auf der Bühne fängt er immer wieder damit an. Er erinnere sich gut an die Aufnahmen zum Album "Black And Blue" hier, sagt er, und das neunte Konzert in diesem Stadion sei doch "ein olympischer Rekord", und "Servus, mitanand, Munich". Diese Kumpelei kontrastiert damit, dass er im roten Bühnenwabern mehr als früher noch den Teufel im wespengelben Satinhemd gibt, den Trickser mit Worten und den mit Hüften und Armen schlängelnden Verführer: "Sympathy For The Devil". Hach, und wie sich da alle gleich erotisiert gruseln beim Auftakt. "Huh-huh!"

Wenn er nicht gerade mit Kolibri-Armen auf seinem Laufsteg die Menge aufscheucht, buhlt der Rastlose immer wieder auf Bairisch um die Sympathien, die er eh auf seiner Seite hat - sein ewiger Nebenbuhler Keith Richards aber, gemessen am Auftrittsapplaus, noch weit mehr, allein durch seine schelmische Tapsigkeit, die mit 73 noch viel lässiger, opihafter herauskommt. Jetzt sind wir schon mittendrin im Spiel. Das ja alle bestaunen wollen. Aber den einen waren dann Durchschnittspreise von 250 Euro doch zu teuer, und die schrieben dann im Internet, dass man von dem Geld eine Woche Mallorca-Urlaub machen könne oder ein Jahr lang jeden Monat auf ein Konzert gehen könne, das wohl besser als das der Stones sei. Die anderen antworteten: "Wurscht, es sind die Stones."

Zur zweiten Fraktion gehört einer, der auf der überdachten Tribüne beim ersten Lied aufspringt, so wie es ihn schon bei zig Stones-Konzerten gepackt hat. "Natürlich sind sie es wert. Weiß der Teufel, wie oft wir die noch erleben können", sagt Wolfgang Niedecken, der seine Promotion-Termine zur neuen Platte extra so gelegt hat, dass er die Band sehen kann, die ihn zwar nicht zur Musik gebracht hat (das waren die Beatles), die ihm aber "den richtigen Umgang mit vermeintlichen Autoritäten beigebracht haben". Keith und Co. waren immer die wahren Eltern-Schrecker, die Fäuste ballenden Halbstarken ("Street Fighting Man" kommt später), die Frauenflachleger ("Honky Tonk Women" kommt auch), die Versauten ("Brown Sugar" - "Da legst di nieda", wird Jagger das noch süffisant kommentieren). Mehr als über die Hits freut sich Niedecken, der mit BAP 1982 zweimal Vorgruppe der Stones in Köln war, aber über den Blues. Zu dem haben die britischen Rocker auf "Blue And Lonesome" 2016 zurückgefunden. Wohl, weil sie ein richtiges Studioalbum nicht zustande gebracht haben. Aber das war gut so. Blues kann auch noch glaubwürdig machen, wer aussieht wie aus einem rissigen Holzklotz geschnitzt. Und so kantig und grob behauen prügeln sich Richards und der Gitarren-Clown Ron Wood auch ihre Licks um die Ohren. Nicht nur bei den Blues-Covers von Jimmy Reed ("Ride 'Em Down") und Buddy Johnson ("Just Your Fool"), sondern auch, wenn die anderen unter Mithilfe der Granaten-Stimme Sasha Allen und dem Saxofonisten Tim Ries einen gospel-geilen R'n'B-Rausch zelebrieren, etwa bei "Miss You".

Man könnte sagen, dass Richards bei seinem Solo-Part gesanglich und gitarristisch herumeiert. Gerade Keithologen sehen in diesem "Slipping Away" aber den Höhepunkt, so wie Niedecken, dem die Tränen in den Augen stehen: "Der alte Mann, dem das Leben entrinnt - das ist sein Ist-Zustand." Nach einem Konzert fragte Richards seinen Bewunderer Niedecken einmal "als Kollegen", wie er denn was und wie und warum gefunden habe. An diesem Abend im Olympiastadion hat er kaum etwas zu meckern. Niedecken wundert sich nur, dass tausendfach gespielte Stücke wie "Happy" eben doch in einem "Akkordkuddelmuddel" enden und es selbst der Schlagzeug-Feingeist Charlie Watts, der Bass-Dompteur Darryl Jones und der Keyboard-Direktor Chuck Leavell nicht schaffen, den Haufen Exzentriker zu bändigen. "Aber das geht wohl als Rock'n'Roll durch." Man könnte noch stänkern, dass Jagger am Ende ein Shirt vom eigenen Merchandise trägt wie eine Thermomix-Party-Gastgeberin, die sagt: "Es ist gut, ich benutze es selbst." Aber das ist eben auch Rock'n'Roll, gerade bei den Rolling Stones, die immer vorne dabei waren, wenn es darum ging, das letzte herauszupressen. Da das auch für diese vier Mit-Siebziger selbst gilt, macht dieses grandiose Aufbäumen gegen Tod und Teufel den Münchnern Hoffnung, dass es nicht das letzte gewesen ist.

© SZ vom 14.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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