Rockfestival:Ein wenig Trotz bleibt

Bei "Rock im Park" beweisen die alten Herren des Rock'n'Roll Aufrichtigkeit und Haltung

Von Dirk Wagner

Seit Heinos Auftritt vor zwei Jahren auf dem Rockfestival in Wacken muss man Marilyn Manson wohl recht geben, wenn er auf dem diesjährigen "Rock im Park" singt: "Rock is deader than dead", toter also als tot. Aber wann lebte Rock überhaupt? 1985 etwa, als 75 000 Besucher des ersten "Rock am Ring"-Festivals in der Eifel einen Bedarf an solchen Großveranstaltungen bestätigten? Dort spielte auch Chris de Burgh, mit dem man nun wirklich keinen Rocker von der Harley schubst. Oder pulsierte der Rock, als zehn Jahre später in München ein Zwillingsfestival mit identischem Line-up erstmals als "Rock im Park" stattfand? Damals trat dort Otto auf, der für die Rockmusik so bedeutend ist wie Fips Asmussen für die Beatmusik. Eine Verschlagerung von Rock, der einst das protestierende Gegenmodell zum angepassten Schlager sein wollte, hat es also schon immer gegeben.

Umso erstaunlicher ist es, wenn "Rock im Park" zum 20. Jubiläum in Nürnberg auch mit Bands punktet, die sich der Vereinnahmung durch die gewinnorientierte Musikindustrie entziehen. Die Kölner Popband AnnenMayKantereit zum Beispiel, der es auch ohne großer Plattenfirma gelingt, größere Clubs auszuverkaufen. Dem Internet sei dank finanzierten die Jungs die Produktionskosten ihrer jüngsten EP über ein Crowdfunding. Entsprechend voll ist die Frankenhalle, die abgesehen vom Clubtent die kleinste von drei Bühnen beim Festival bietet, als der Sänger von AnnenMayKantereit mit seiner stimmlichen Nähe zu Rio Reiser singt: "Und du bist 21, 22, 23. Und du kannst noch gar nicht wissen, was du willst. Und du bist 24, 25, 26. Und du tanzt nicht mehr wie früher." Wenige Stunden später rocken die Kölner am selben Tag noch ein anderes Festival in Augsburg, während man sich in Nürnberg, wo "Rock im Park" seit 1997 beheimatet ist, entscheiden muss, ob man das zweieinhalbstündige Konzert der Foo Fighters erleben mag, das sämtliche Hits der 20-jährigen Bandgeschichte auffährt, oder die gleichzeitig spielenden Motörhead, die mit ähnlichen Hit-Attacken ihr vierzigjähriges Bandbestehen begießen. Egal aber, welches der beiden Konzerte man gesehen hat, man hat garantiert das beste Konzert des Festivals erlebt. Allerdings bietet das Foo-Fighters-Konzert mit Coverversionen wie "Stay with me" von The Faces, "Let There Be Rock" von AC/DC oder "Under Pressure" von Queen mit David Bowie deutlich mehr Überraschungen.

Rockfestival: "Parkway Drive" fordern mit brachialem Verhau in Klang und Bild.

"Parkway Drive" fordern mit brachialem Verhau in Klang und Bild.

(Foto: Chris Bellaj)

Aber welcher Motörhead-Fan mag schon Überraschungen? Motörhead-Konzerte sind schließlich die einzige Konstante in einer sich permanent verändernden Welt. Während andere Musiker auf solche Veränderungen mit neuen Musikrichtungen und Untergruppierungen bestehender Genres reagieren, betont Lemmy Kilmister von Motörhead seit vier Jahrzehnten: "Wir spielen Rock'n'Roll." Mögen die Zuschauer sich bei anderen Konzerten kollektiv hinsetzen, um dann mit allen anderen Zuschauern gemeinsam wieder aufzustehen, mögen sie ruhig auf Kommando hüpfen, rempeln oder wie Karussellpferde in einem wachsenden Zuschauerkreis rennen, sollen sie also ruhig auf anderen Konzerten des Festivals jene Gruppenspiele spielen, die früher in Jugendfreizeiten und Zeltlagern die Gemeinschaft schürten, solches Herumkasperln wäre bei Motörhead so fehlplatziert wie Skateboard-Fahren in der Christmette. Hier steht die Musik einmal für sich und braucht weder Luftschlangen noch Konfetti-Kanonen. Lediglich die Übertragung des Konzerts in schnell geschnittenen Bildern auf den die Bühne rahmenden LED-Wänden lassen Motörhead zu, weil sonst die hinteren Zuschauerreihen nichts mehr sehen würden.

Weil die rasanten Schnitte der Videoübertragung aber so aufmerksamkeitsheischend sind, dass Konzerte in solcher Größenordnung fast schon wie ein kollektives Fernsehgucken anmuten, ist es wohltuend, wenn am nächsten Tag die Toten Hosen die LED-Wände auch mal für andere Konzert-begleitende Visuals nutzen, statt immer nur die Musiker in Aktion zu zeigen. In solchen Momenten, in denen die Band mal nicht auf riesigen Bildflächen gedoppelt wird, gelingt es den Düsseldorfern auch ohne Konzertübertragung, das Publikum zu bespaßen. Wenn die Hosen dann noch TV Smiths "Push Again" covern, Iggy Pops "The Passenger" oder The Clashs "Should I Stay Or Should I Go", kann man in ihnen auch auf der großen Bühne noch jene Punkband erkennen, wie sie 1982 in Düsseldorf im Ratinger Hof debütierte. Damals hätten sie wohl nicht gedacht, dass irgendwann mal Tausende von Fans applaudieren würden, nur weil der Sänger ihnen erklärt: "Es ist mir klar, dass man mit Musik keine rechten Idioten umdrehen kann. Aber wenn man Euch dann mitsingen hört, tut das gut, zu wissen, dass man mit seiner Meinung nicht alleine ist."

Rock im Park 2015

Die Festivalbesucher bei "Rock im Park" wissen sich zu helfen: Wenn ihnen zu heiß ist, öffnen sie einen Hydranten und tanzen im Schlamm

(Foto: dpa)

Damals hätte man allerdings auch nicht gedacht, dass der Sänger der 1980 gegründeten kalifornischen Band Bad Religion einmal wie ein Pfarrer aussehen würde mit seinem weißen Haarkranz, der die Glatze umsäumt. Als Bad Religion 1995 auf dem ersten Rock im Park auftraten, war schließlich nicht einmal damit zu rechnen, dass sogar Punks einmal altern würden. Weil Bad Religion ihr Punkbewusstsein aber ohnehin nie an Äußerlichkeiten festgemacht haben, wirkt es direkt sympathisch wie diese älteren Herren nun ihren Sound immer noch transportieren, ohne dabei die Alterung kaschieren zu wollen.

Ob sie trotzdem aber auch zu jenen Bands gehören, von denen der Leiter der Backstageführung für Sponsoren erzählte, dass sie eigene Innenarchitekten beschäftigten, die deren Backstage-Räume gestalten? Eine Band soll sogar mal 60 zusätzliche Securities geordert haben, nur damit diese sich mit dem Rücken zur Band aufstellten.

Dergleichen muss heuer eine Band wie Skindred gar nicht erst ordern. Als sie in der Frankenhalle ihr kompromissloses Gemisch aus Reggae, Hip Hop, Metal und Punk präsentieren, sind außerhalb der Halle genügend Polizisten und Ordner damit beschäftigt, einer drängenden Menschenmasse den Zutritt zur überfüllten Halle zu verwehren.

Andere Festivalbesucher genießen derweil gelassen das Campingflair am Dutzendteich. Die Münchner Erzieherin Stefanie Büttner zum Beispiel, deren rechter Unterarm beinahe sämtliche Festivalbändchen, die den Zugang zum Festivalgelände ermöglichen, der letzten zehn Jahre trägt. "2005 und 2006 sind mir abgefallen", sagt sie, und ihr Festivalbegleiter Alex Dörner bestätigt: "Mit der Zeit spürst du die Bänder gar nicht mehr." Festivalerfahren sind sie schon Donnerstag nachts um 2 Uhr in München gestartet. Wegen des Staus vor dem Festivalgelände waren sie um 7 Uhr morgens endlich auf dem Campinggelände, 30 Stunden also, bevor das erste Konzert mit den Ruen Brothers das Festival auch musikalisch startete. "Fuck all your protests and put them to bed", singt Marilyn Manson am zweiten Abend. Aber die Frauenband L7, die afro-amerikanische Formation Body Count mit Ice T oder Tocotronic, die mit einem großartigen Klanggewitter aus manipulierten Gitarrenrückkopplungen ihren Gig beenden, haben gar keine Lust, ihren Protest ins Bett zu schicken. Solange solche Bands noch was auf Festivals wie "Rock im Park" zu melden haben, gibt es doch noch den Unterschied zwischen ehrlicher Rockmusik und der Schlagermucke eines Heinos. Dass in der Nacht auf den Sonntag die Campingplätze für circa zwei Stunden wegen eines Unwetters evakuiert wurden, ist dann auch zu verkraften, zumal für die Camper Sammelstellen auf dem Veranstaltungsgelände für solche Notfälle vorbereitet waren.

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