Rock:Kontakt zur Gegenwart

Der Gründer der "White Stripes" Jack White will auf seinem neuen Soloalbum die Gitarrenmusik retten. Dabei sucht er Wege in der Avantgarde und der Vergangenheit. Aber will die Gitarrenmusik überhaupt gerettet werden?

Von Juliane Liebert

Jack White wirkt seit einiger Zeit ein wenig desorientiert. Geschenkt, wer ist das nicht. Und wenn er's schon ist, warum kein Album darüber machen, es gab schon Alben über Banaleres. Menschen sind mit Alben über Strände berühmt geworden. Nur: Die White Stripes, die Band, mit der er bekannt geworden ist, hatten früher wirklich mal einen Punkt. Ihren Moment. Der manisch besessene Blues ihrer frühen Tage revitalisierte Bluesrock. Jetzt sucht White schon seit einer Weile nach seiner Form, nach einer überzeugenden Musik, die er in seinem Alter, mit seinem Status machen kann. Auch wenn White jetzt behauptet, die White Stripes seien ein Soloprojekt gewesen, weil Schlagzeugerin Meg White "nur" den Rhythmus machte. Der simple Beat von Meg gab der Musik eine herrliche Kindlichkeit, und nicht nur die fehlt ihm jetzt.

Jack White - 'Boarding House Reach'

In vollkommener Isolation aufgenommen: „Boarding House Reach“.

(Foto: dpa)

Jack Whites neues Album "Boarding House Reach" (XL) setzt auf Drumcomputer und trashige Streichersynthesizer. Der erste Song, "Connected by love" (Wir sind durch die Liebe verbunden) klingt wie eine Drohung. Warum muss man mit seinen Hund spazieren gehen, will er dann wissen, weil man sonst ein blöder Tierquäler ist, Jack, deshalb. Danach versucht er zu rappen, und der Rap ist echt ... nun ja ... breiten wir den Mantel des Schweigens darüber. Als er auf "Corporation" "Who's with me" schreit, klingt es beinahe wie "Who has whipped me?" — Ja, wer? Es ist ein bisschen traurig, wie verzweifelt White nach dem Zeitgeist sucht und dabei möglichst viele Sounds und Einfälle miteinander verkleistert, schichtet, aneinanderreiht. Vielleicht würde ihm ein bisschen Buddhismus gut tun.

Kaum eine Epoche, kaum ein Genre, bleibt unzitiert

Das Problem mit Künstlern ist, dass es ihnen meist nicht gelingt zu schweigen, wenn sie gerade den Kontakt zur Gegenwart und ihrer Kreativität verloren haben. Sie sitzen dann vor der Frage, warum sie eigentlich Kunst machen wie das Kaninchen vor der Schlange. Oder in dem Fall eher wie eine verhätschelte Edelbiokuh, die krampfhaft versucht, sich aus ihrem goldenen Luxusstall zu befreien, um sich selbst zu spüren. Dabei gibt es auch ganz witzige Momente auf der Platte. Wenn man sich anhört, was in der Gitarrenmusik derzeit großteils sonst so abgeliefert wird, klingt sie geradezu innovativ. Viele Musiker hängen in den goldenen Zeiten des Indie fest, dagegen ist Jack White wenigstens um Avantgarde bemüht, wenn auch erfolglos.

Interessant ist in dem Zusammenhang auch, wie das Album entstanden ist, da es diesen Eindruck bestätigt. Er hat die analog eingespielten Samples in einem Pro-Tools-Prozessor abgemischt. Dieser Produktionsprozess hat White zwar zu ein paar netten Collagemomenten gebracht, hat aber leider das Reizvolle an seinem Sound zerstört: Die Details seines Klangs, die schon in seinen letzten Projekten wie The Dead Weather und den Raconteurs weitgehend untergegangen sind. Das Rohe, Atmende, das Songs wie etwa "My Doorbell" vom 2005er Album "Get behind me Satan" ihren Flair verlieh.

Die Frage ist, ob man die Gitarrenmusik retten kann, indem man sie klanglich und konzeptuell so zurichtet, dass sie am Ende wie Hip-Hop funktioniert. Vielleicht ist das Problem schon, die Gitarrenmusik überhaupt retten zu wollen. Vielleicht will sie nicht gerettet werden, sondern genommen und vergessen wie die Schlampe, die sie ist. Jack Whites Platte klingt ein wenig zu sehr so, als wolle er die Gitarrenmusik retten — und damit sich selbst. Kaum eine Epoche, kaum ein Genre, kaum ein Stilelement bleibt unzitiert, als würde er die Musik vergangener Zeiten ständig neu modellieren, um sie irgendwie lebendig zu halten, aber dann sofort unbefriedigt alles wieder zertrümmern.

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