Rock Around The Country - Live-Musik in Bayern:Nächster Gig im Nirgendwo

candelilla

Rita Argauer (dritte von links) spielt Keyboard in der Münchner Indie-Rock-Band Candelilla und weiß aus eigener Erfahrung, wovon sie schreibt.

(Foto: Matthias Kestel)

Je kleiner der Ort, desto begeisterter das Publikum: Diese Erfahrung macht so manche Band, die über die Dörfer tourt und dabei in manchmal seltsamen Ortschaften landet. Beginn einer SZ-Serie

Von Rita Argauer

Der spezielle Charme des Konzertlebens auf dem Land ist nicht immer ganz einfach auszumachen. Etwa vor einiger Zeit in Nandlstadt, einem kleinen Ort hinter Freising. Der Club war das, was man gemeinhin unter einer Dorfdisco versteht, inklusive einer Poledance-Stange und einem schmalen Vorsprung neben dem DJ-Pult, der kurzerhand zur Bühne umfunktioniert wurde. Der DJ saß während des Konzerts in seiner Kanzel und war noch von jenem alten Schlag, der sich näher an den Zeremonienmeistern eines Autoscooter-Fahrgeschäfts sah denn an einem Musiker (was das ja heute in den Elektro-Clubs mehr oder weniger selbstverständlich ist).

Also nutzte der Plattendreher ausgiebig ein eigens für ihn installiertes Mikrofon, das seine Stimme verzerrt und zerhackt durch den Club hallen ließ, um damit die Band anzuheizen. Song beendet, Applaus abgewartet, gerade soll das nächste Stück angesagt werden, doch der DJ kommt zuvor und schickt in breitem Niederbairisch eine "Gleich geht's weiter, ab in die nächste Runde"-Salve durch den Raum. Die Band ist ein wenig verdattert, lässt sich aber dann irgendwann auf die Stimme aus dem Off ein und versucht, an der Poledance-Stange vorbei ein spärliches Publikum für sich zu begeistern.

Die Stimmung der Konzerte ist anders, je nach Größe des Orts. Das ist auch nicht verwunderlich. Die Veranstaltungen sind exklusiver in kleinen Städten, das Publikum ist nicht so übersättigt wie in den Metropolen, es gibt weniger bis keine Konkurrenzveranstaltungen am selben Abend. Man lernt skurrile, schöne und auch abstoßende Plätze kennen bei so einer Konzerttournee, die auch Städte mit einbezieht, die schon überhaupt keinen Buchstaben mehr verdienen. Denn eigentlich gibt es da ein ganz wirtschaftliches Rating-System: A-, B- oder C-Stadt. Wann ein Ort für tourende Bands interessant ist, unterliegt verschiedenen Kriterien.

Im Big-Music-Business geht das so, als würde man einen Standort für eine Firmengründung suchen. Also unterteilt man im Konzertveranstalter- und Agenturjargon die Landkarte wie in der High-Class-Immobilien-Szene. Wenn also eine Band ein Album veröffentlicht und anschließend auf Tour geht, sind zuerst die A-Städte dran: Berlin, Hamburg, Köln, München und Frankfurt. Der Medien wegen, man hofft auf Besprechungen, die das neue Album bewerben. Es folgen die B-Städte, also Städte wie Leipzig, Bremen, Nürnberg, Hannover, Düsseldorf und so weiter. Und danach kommen die Liebhaber-Geschichten.

So wie der Club Borwaerk im sächsischen Netzschkau. Auf den ersten Blick ist es dort grauenhaft. In einem tristen Laubwald hinter dem eigentlichen Ort, der an sich schon verschwindend klein ist, steht ein verrottetes Haus. Der Boden ist uneben, die Räume sind feucht. Stolz wird der gerade eingetroffenen Band ein Matratzenlager im ersten Stock präsentiert, in dem man übernachten könne, das aber nüchtern äußerst schwer als adäquate Schlafstätte vorstellbar ist. Deshalb ist es auch umso praktischer, dass sich Schlafstatt und Spielort in ein und dem selben Haus befinden, keiner muss mehr Autofahren in dieser Nacht. Doch dann erobern am Abend völlig unerwartet um die 300 Menschen das alte Haus, feiern die Band, als sei diese Metallica oder mindestens Sonic Youth, kaufen CDs, T-Shirts und Schallplatten, bitten um Autogramme. Ein Konzert voller Enthusiasmus an einem Ort, von dem man vorher noch nicht einmal wusste, dass er überhaupt existiert, den man aber unbedingt wieder besuchen möchte. Solche Fluchtorte sind dann willkommen, wenn man nicht immer nur an die Wirtschaftlichkeit eines Gigs denken will.

Es ist auffällig, wenn man sich das Programm mancher Clubs in kleineren Orten anschaut. Da tauchen neben der lokalen Szene dann erstaunlich oft auch illustre Gäste auf: La Brass Banda spielen nach wie vor in jedem Heustadl. Die österreichische Indie-Band Naked Lunch etwa spielt regelmäßig auf dem bayerischen Land. Oder die Münchner Rapperin Fiva ist seit Jahren immer wieder in Traunstein zu Gast, obwohl sie mittlerweile große Läden wie das Münchner Ampere oder den Linzer Posthof ausverkauft. Meist sind das lang gewachsene Freundschaften. Die Musiker traten schon in diesen Clubs auf, bevor sie bekannt genug waren fürs Ampere. Und mittlerweile genießen sie die private Atmosphäre, die die Clubs in kleinen Städten bieten. Es gibt selbstgekochtes Abendessen anstatt eines Catering-Services, die Veranstalter sind bemüht und enthusiastisch, auch weil sie in vielen der Land-Clubs ehrenamtlich arbeiten. Niemand käme etwa auf die Idee, eine "Merch-Fee" zu zahlen, also eine Gebühr, die größere Clubs immer häufiger dafür verlangen, dass Bands ihre Merchandise-Artikel (also Platten und CDs) nach dem Konzert verkaufen können.

Und nebenbei lernt man auf solchen Tourneen das Land kennen: Netzschkau etwa hat die größte Ziegelsteinbrücke der Welt, ein beeindruckendes Zeugnis der frühen Industrialisierung. Die Vulkaneifel ist eine tolle Landschaft, und nach einem Konzert im Dschungel im fränkischen Volkach laden einen die Nachwuchswinzer am nächsten Tag zur Weinprobe ein.

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