Robbie Williams' neues Album:Hilfe, Doktor, ich bin eine Mehrzweckhalle

Metallische Weltraum-Sounds? Der Superstar vergrault mit "Rudebox" seine Fans. Nichts mehr mit Eng-Tanz-Balladen, sondern radikaler Neuentwurf. Das erste Robbie-Williams-Album, das man am Stück hören kann - und muss.

Die Nachricht ist, dass es keine Nachricht gibt. Robbie Williams schweigt. Er befinde sich in seinem Haus in Los Angeles, heißt es, hinter geschlossenen Rollläden, ein Arzt sei bei ihm, es gehe ihm den Umständen entsprechend. Entsprechend gut oder entsprechend schlecht? Weiß man nicht. Robbie Williams ist weg. Aber das Album ist da. Bisher hat er zu jeder CD-Veröffentlichung vor europaweit angekarrten Journalisten Quatsch gemacht, jemanden beleidigt oder wenigstens mal kurz bei "Wetten, dass...?" reingeschaut. Diesmal: Nichts.

Robbie Williams' neues Album: Der neue Robbie Williams hat nichts mehr von der Stimmung aus "Something Stupid" oder "Let me entertain you". Er hat sich neu entworfen.

Der neue Robbie Williams hat nichts mehr von der Stimmung aus "Something Stupid" oder "Let me entertain you". Er hat sich neu entworfen.

(Foto: Foto: Emi Records)

Vor seinem Verschwinden gab er dem Spiegel ein dreiseitiges Interview, daran klammern sich jetzt die Exegeten. Die Spiegel-Leute nahmen ihn ins Kreuzverhör, wie Staatsanwälte einen Steuerhinterzieher. Doch alles Nachhaken nutzte nichts, die vielen Aussagen brachten kaum Neues und schnurrten am Ende zu einem einzigen Satz zusammen - es ist leider der dümmste Satz aus dem Musiker-hat-neues-Album-Grundwortschatz.

Huch, ist das kalt!

Er lautet: Das ist das Album, das ich immer machen wollte. Ach, echt? Weil Robbie Williams durch seine Absenz eine riesige Leerstelle erzeugt hat, tritt nun der zweitdümmste Satz in Kraft. Er lautet: Die Musik muss für sich selbst sprechen.

Also CD rein und sofort mal Lied Nummer 6 angetippt, "The Doctor". Der Titel klingt aufschlussreich. "I' ve got all these demons / and I can't stop 'em / to tell you the truth Doc / I might have a problem." Ein Patientengespräch zwischen Robbie Williams und seinem Psychiater.

Robbie sagt, er fühle sich irgendwie nicht gut, er bittet um ein Rezept für Upper, Downer, Antidepressiva, Morphium, Opium, Methadon, egal was, schnell, Herr Doktor, Hilfe. Dafür, dass es um Dämonen geht und Abgründe, zwitschert die Musik überaus vergnügt. Der Song ist eine dieser Robbie-Williams-Harlekinaden, vollironisch und halbwahrhaftig, im Conferencier-Stil vorgetragen.

Hilfe, Doktor, ich bin eine Mehrzweckhalle

Man sieht ihn vor sich, wie er breit grinsend im goldenen Pailletten-Anzug eine Showtreppe hinabtänzelt und im Vorbeigehen einer Tänzerin den Po tätschelt. Doch Vorsicht: "The Doctor" ist das einzige Lied, in dem der Sänger, der sich in diesem Moment in der Obhut eines Depressionsspezialisten befindet, seinem Publikum gibt, was es von ihm verlangt: Entertainment.

"Rudebox" ist radikaler Neuentwurf

Engtanz-Balladen und Arme-in-die-Höhe-Hymnen, zwischen diesen beiden Genres oszillierte sein bisheriges Schaffen. Für jeden Anlass der passende Hit. "Angels": Kuscheln. "Let me Entertain you": Ausgehen. "Somethin' Stupid": Geschirrspülen. Formidable Singles waren das, wunderhübsch, zwingend. Aber in der Gesamtschau ergibt das noch kein Werk, im klassischen Sinn. Jedenfalls gab es nie einen hinreichenden Grund, eine Robbie-Williams-CD von vorn bis hinten zu hören. Bis jetzt.

Heute erscheint das neue Album "Rudebox", das nicht nur beim ersten Hören befremdlich klingt, wie ein Asteroid aus einer fernen Galaxie, der zufällig im Plattenladen eingeschlagen ist. Es gibt keine Ballade und keine Hymne und auch sonst kein Mitsing-Material. Stattdessen hauptsächlich harte, metallische, chromglänzende Weltraum-Sounds, meist leicht verbeult.

Williams hat Stephen Duffy, der sein letztjähriges, unfreiwillig komisches Retro-Konsens-Erwachsenen-Rockpop-Album "Intensive Care" als Komponist und Texter maßgeblich mitvermurkste, zurückgepfiffen und vertraut jetzt auf die Hilfe vieler. Vor allem aber auf sich selbst. Gut möglich, dass er mit dieser Platte einen Großteil der Stammkundschaft vergraulen wird.

Sehr gut möglich auch, dass er es genau darauf anlegt. "Rudebox" ist radikaler Neuentwurf, Verzweiflungstat, Befreiungsschlag, ach - alles zugleich.

Es wirken mit: William Orbit, der Meister-Remixer, Spezialgebiet: futuristisches Flirren, außerdem verdiente Dancefloor-Kräfte wie Mark Ronson und Joey Negro. Vor allem aber sind die Pet Shop Boys dabei, und das hört man sehr deutlich.

Diese letzten großen Romantiker des Pop werden ja oft missverstanden. Frauen, Robbie-Williams-Fans zumal, sagen oft, huch, viel zu kalt, wo bleibt das Menschliche, das Herz? Wenn jetzt aber Robbie Williams gemeinsam mit Neil Tennant "We're The Pet Shop Boys" singt, ursprünglich eine Pet-Shop-Boys-Parodie von My Robot Friend, dann klingt das nicht nur zart, sondern sogar herzergreifend.

Die Fehler machen das kompromisslose Unternehmen sympathisch

Auch die andere Pet-Shop-Boys-Kollaboration auf "Rudebox" ist ergreifend, lustigerweise ein Liebeslied, das Madonna gewidmet ist, die Robbie nach allen Regeln des Minnesangs anschmachtet: "I love you, baby / but face it she's Madonna." Soll heißen: supertolle Frau, aber unerreichbar. In der elegant unterkühlten Elektro-Etüde "The Actor" verneigt er sich zudem musikalisch vor Madonna, mit Referenzen an deren "Vogueing"-Phase. Und das Teutonisch-Eckige ist eindeutig eine Grußbotschaft in Richtung Kraftwerk.

Pet Shop Boys, Madonna, Kraftwerk - man ahnt, was Robbie Williams, der Schelm, hier im Schilde führt. Er erweist historischen Größen seine Ehrerbietung, um selbst endlich in die Ehrenhalle des Pop aufgenommen zu werden. Hat man ihn nicht lang genug als lustigen Vogel belächelt?

Jetzt macht der Entertainer ernst. Nie zuvor gab es in seiner Musik so viele Zitate, Querverweise, Fußnoten. Und so ist "Rudebox" tatsächlich das erste Robbie-Williams-Album, das man am Stück hören kann und muss - und im übrigen auch das erste, über das sich locker eine Doktorarbeit schreiben ließe.

Jetzt die entscheidende Frage: Ist "Rudebox" nun endlich sein - Meisterwerk? Nicht ganz. Leider gibt es auch wieder Unausgegorenes und Halbgelungenes. Die Coverversion von Manu Chaos "Bongo Bong" verbessert das Original nur geringfügig, und dass Stephen Duffy erneut eine wirre Komposition beisteuert, hätte auch nicht unbedingt sein müssen.

Doch am Ende sind es die Fehler, die das kühne, kompromisslose, perfektionswahnsinnige Unternehmen sympathisch machen. Robbie Williams, die Mehrzweckhalle des Pop, hätte es sich auch leicht machen und noch Jahre weiter denselben Stiefel spielen können. So aber schafft er sich ab, reißt die Halle ein. Das verdient Respekt.

Die schönsten Stücke sind, wie das "Doctor"-Lied, zutiefst autobiographisch. In "The 80s" und "The 90s" singt er sich im Schnelldurchlauf durch sein Leben, Kindheit, Jugend, Take That ... Es gibt nichts, was man nicht schon über ihn wüsste. Aber wahrhaftig wird es erst, wenn er singt.

Doch, es stimmt: Die Musik spricht für sich selbst. Und das ist das Album, das Robbie Williams immer machen wollte.

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