Richthofen-Biographie:Durchschossene Herzen

Grelle Effekte, schiefe Vergleiche: Joachim Castan seziert die Psyche des "Roten Barons" Manfred von Richthofen und geht am Ende dem Mythos selbst auf den Leim.

Nico Bleutge

Mindestens ebenso grell wie die Farben seiner Flugzeuge sind die Bilder, die Manfred von Richthofens Geschichte umgeben. Schon früh hatte sich der "Rote Baron" ins Reich der Alltagsmythen verabschiedet, sei es als Heros des Ersten Weltkriegs, sei es als Propagandainstrument für die Nazis. Bis heute dient Richthofen als Projektionsfläche für zahllose Deutungen. Der Lyriker Norbert Lange hat der Geschichte jüngst sogar ein eigenes Gedicht gewidmet, in dem er die Gegner Richthofens sprechen lässt: "de Hunde, de Deutschen, und oben die Wolken, / darüber die verkaterten Propeller, / das Aerodrome, unten, Baracken ähnlich, / Den Roten. Den Deutschen Baron. Kriegen wir".

Auch wenn der junge Dichter die Legende bedient, Richthofen sei von einem kanadischen Jagdflieger abgeschossen worden - in sprachlicher Hinsicht vermag sein Text durchaus zu überzeugen. Mit feinem Sinn für Perspektiven und Töne entwirft er eine Szenerie, die genau zeigt: Hinter die zahllosen Bilder der Figur Richthofen gibt es kein Zurück.

Ein wenig von Langes Gespür hätte man auch dem Osnabrücker Historiker Joachim Castan gewünscht. Als Autor von Fernsehdokumentationen hat er gelernt, wie man einen Stoff medientauglich aufbereitet: "Was steckt wirklich hinter dieser glattgescheitelten Fassade des forschen, preußischen Offiziers, der auf eine mysteriöse Weise zu Tode kam und in den Köpfen vieler bis heute zum Inbegriff des 'modernen' Helden zählt?"

Es ist nicht nur diese glattgescheitelte Sprache, die das Lesen von Castans Richthofen-Biographie zu einer mühsamen Aufgabe macht. Grelle Effekte und Vereinfachungen, sinnlose Wiederholungen und schiefe Vergleiche bringen Castans Sätze immer wieder ins Trudeln. Dabei wärmt der Autor ebenso viele "Klischees und Wunschvorstellungen" auf wie die von ihm kritisierte Richthofen-Literatur. Besonders nervig ist seine Angewohnheit, jedes zweite Wort in Anführungszeichen zu setzen - offenbar versucht er so, noch dem letzten Leser klar zu machen, dass sein salopper Tonfall ironisch gemeint sei.

Ein uralter Mythos

Doch wenn Castan etwa schreibt, Richthofen habe nicht das "Herz eines jungen Fräuleins brechen" wollen, sondern lieber probiert, "die Herzen und Köpfe von englischen jungen Männern zu durchschießen", erinnert das eher an unfreiwillige Komik. Auch dem Inhalt nach lässt diese Biographie zu wünschen übrig. Dabei ist es nicht uninteressant, wie Castan die verschiedenen Zwecke demontiert, für die der Jagdflieger Manfred von Richthofen in Anspruch genommen wurde.

So scheint Richthofen mit seinen mehr als achtzig gewonnenen Luftkämpfen alles andere als jener Musterheld gewesen zu sein, den man aufbaute, um die Grabenkämpfer des Ersten Weltkriegs von ihrer immer aussichtsloseren Lage abzulenken. Tatsächlich ging es ihm weniger um "ritterliches" Schonen seiner Gegner als um das Sammeln von Orden und das Erhöhen seiner Abschussquote. Doch mit dem Aufzeigen solcher Widersprüche gibt sich Joachim Castan nicht zufrieden. Er will unbedingt den "Schlüssel zur Persönlichkeitsstruktur" Richthofens finden.

Die Erklärung soll ein einziger Gedanke leisten: Richthofen durchlebte eine durch und durch preußische Erziehung, die ihm einen unmenschlichen "Jagdtrieb" einpflanzte. Dieser Jagdtrieb konnte bei dem jungen Manfred so große Wirksamkeit entfalten, weil er der Kompensation verschmähter Liebesgefühle diente: "Er blieb zeit seines kurzen Lebens im Grunde seines Herzens der kleine Junge, der die elterliche Liebe und Geborgenheit zurückerhalten wollte."

Das ist eine wenig originelle These. Für ihren Beweis veranstaltet Castan nicht nur manch argumentatorischen Eiertanz, er arbeitet auch gegen seinen Anspruch. Obwohl er immer wieder betont, Richthofens Autobiographie "Der rote Kampfflieger" als Fiktionsspeicher und Mittel der Selbststilisierung durchsichtig machen zu wollen, zitiert er sie an anderen Stellen eifrig, um die eigenen Ausführungen zu belegen.

Was Joachim Castan an Details zur Mythenbildung oder zum harten Alltag der Jagdflieger gesammelt hat, ist gewiss beachtlich. Aber seine Schmalspurpsychologie scheint ein viel zu einfaches Mittel zu sein, um all das ausgelegte Material zu verweben. Am Ende geht er selber einem uralten Mythos auf den Leim: dem der "wahren Geschichte".

JOACHIM CASTAN: Der Rote Baron. Die ganze Geschichte des Manfred von Richthofen. Klett- Cotta, Stuttgart 2008. 360 Seiten, 24,50 Euro.

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