TED-Talks:Die Rhetorik für das digitale Zeitalter

Chris Anderson

Chris Anderson auf der Bühne der TED-Konferenz "Truth and Dare" in Vancouver, März 2015.

(Foto: James Duncan Davidson/TED)

Der Manager der TED-Konferenzen schreibt ein Handbuch der Vortragskunst. Und liefert damit einen nützlichen Ratgeber in griechischer Tradition.

Buchkritik von Johan Schloemann

Was einst im Jahr 1984 in Kalifornien als TED-Konferenz begann, das war zunächst eine Fachveranstaltung für die aufstrebende Computer- und bald auch Internetbranche, im Dialog mit der Unterhaltungs- und Gestaltungsindustrie. Die drei Buchstaben standen für Technik, Entertainment und Design. Heute ist TED eine globale Plattform für die Bekanntmachung "verbreitungswürdiger Ideen", so lautet das Motto.

Das Grundprinzip sind Vorträge, die nicht länger als zwanzig Minuten sein dürfen und mit viel Aufwand vorbereitet werden. Die Themen sind inzwischen frei wählbar, meistens aber geht es um die Popularisierung von wissenschaftlicher Forschung und neuen Büchern sowie um die Vorstellung von, so die Hoffnung, allgemein interessanten Geschäftsideen oder gemeinnützigen Projekten. Mal geht es um Glück und Psychologie, mal um Künstliche Intelligenz, mal um smarte Entwicklungshilfe. Mal treten Prominente auf wie Bill Gates, mal eher Unbekannte, die Überraschendes zu berichten haben.

"Wenn Sie die erste Minute Ihres Vortrags vergeuden, verlieren Sie schnell Ihr Internetpublikum"

Die mehrtägige Original-Veranstaltung, nunmehr im kanadischen Vancouver, findet vor viel Geld zahlenden Teilnehmern statt, die sie auch zum Networking nutzen. Seit dem Siegeszug von Breitbandanschlüssen und Video-Portalen vor gut zehn Jahren sind die TED-Vorträge auch weltweit kostenlos im Internet zu sehen. Davon machen viele, mitunter Millionen Zuschauer Gebrauch, ohne dass dies dem Kartenverkauf bei den Veranstaltungen bisher Abbruch täte. Entstanden sind außerdem diverse Nebenformate und lokale, laienhaftere Ableger und Nachahmer. Und längst gibt es auch schon viele Parodien eines Redestils, der im schlimmsten Fall übertrieben emotional, größenwahnsinnig und kitschig klingt.

Seit dem Jahr 2001 steht TED unter der Ägide von Chris Anderson. Er ist nicht mit dem früheren Wired-Chefredakteur und Internet-Interpreten und -Unternehmer gleichen Namens zu verwechseln. 1957 als Sohn eines englischen Missionsarztes in Pakistan geboren, studierte Anderson Physik und Philosophie in Oxford, bevor er als Herausgeber von Computer-, Design- und Hobbyzeitschriften erfolgreich wurde, so erfolgreich, dass er eine Stiftung gründen konnte, die dann wiederum die Marke TED kaufte.

Jetzt hat Chris Anderson ein Buch veröffentlicht, in dem er seine langen Erfahrungen mit Präsentationen und Auftritten an alle weitergibt, die auch einmal ein Publikum begeistern wollen. Mit diesem "offiziellen Handbuch" liefert Anderson zweierlei: erstens Geschwafel, das zwischen Idealismus und PR changiert. Und zweitens einen sehr interessanten und nützlichen Rhetorik-Ratgeber.

Bringen wir also zunächst Ersteres hinter uns. Das amerikanische Weltverbesserungspathos, das so entwaffnend und inspirierend sein kann, aber sehr oft einer aufdringlichen Verkaufssprache gleicht, hat der Brite Anderson in den USA gut verinnerlicht. Wäre das ganze Buch so geschrieben, dann wäre es unerträglich; und würde man diesem Stil folgen, dann wäre auch die ganze Einleitung dieser Buchbesprechung komplett umzuschreiben. Dieser Text - Sie erinnern sich vielleicht noch: "Was einst im Jahr 1984 in Kalifornien als TED-Konferenz begann . . ." -, dieser Text hätte besser anfangen müssen mit einem Satz wie: "Sie kennen mich nicht. Aber ich will Ihnen etwas zeigen: . . . ". Oder: "Wann haben Sie das letzte Mal Ihre Mutter angerufen?" Denn es gilt, so schreibt Anderson: "Wenn Sie die erste Minute Ihres Vortrags vergeuden, verlieren Sie einen großen Teil Ihres Internetpublikums."

Die Tradition der Rhetorik-Ratgeber

Und dann hätten Sätze von der Art folgen müssen, wie sie auch in diesem TED-Buch zu lesen sind: "Das Lagerfeuer von einst hat ein neues Feuer entzündet. Ein Feuer, das von Gehirn zum andern überspringt und Ideen entzündet, deren Zeit gekommen ist." - Oder: "Die Geschichte hat eine Richtung. Es gibt so etwas wie moralischen Fortschritt. (...) Und dieser Fortschritt wird weitergehen. Wenn wir Menschen einander näherkommen - nicht nur durch die Technik, sondern auch durch ein tieferes Verständnis von- und füreinander -, dann werden wir im anderen immer mehr Dinge entdecken, die uns selbst am Herzen liegen. Und auf diese Weise verschwinden Mauern und finden Menschen zueinander."

"Proben Sie Ihren Vortrag vor Leuten, die keine Ahnung von Ihrer Arbeit haben!"

Amen! Aber vergessen wir diese Passagen, die von paulinischem Pneuma und kapitalistischer Geschichtsphilosophie getragen sind. Dazwischen finden sich nämlich jede Menge gute Ratschläge, die auch einiges über die Möglichkeiten der Redekunst im gegenwärtigen Medienwandel verraten. Und Chris Anderson ist selbst klug genug, um davon abzuraten, einer bestimmten Masche zu folgen. Aus seinem Buch spricht, nach mehr als 15 Jahren in dem Metier, eine leichte Ermüdung durch Leute, die partout versuchen, auch mal eine mitreißende Rede zu halten, die ein Hit im Internet wird: "Wahre Begeisterung", schreibt er, "lässt sich nicht spielen."

Viel erhellender sind die konkreten Erfahrungen. Die Rhetorik fing im antiken Griechenland als Ratgeberdisziplin an, teils mit Musterreden, teils mit Praxis-Tipps. In diese alte Tradition reiht sich Andersons Buch ein, wobei manche Hinweise sich mit der klassischen Rhetorik decken, manche wiederum an technologische und kulturelle Veränderungen angepasst sind.

Von der ersten Sorte sind Einsichten wie diese: "Es gibt kaum eine bessere Möglichkeit, das Publikum zu entwaffnen, als Ihre eigene Verletzlichkeit einzugestehen." Dies hieß in der klassischen Rhetorik excusatio propter infirmitatem, also die Entschuldigung, (vermeintlich) kein erfahrener Redner zu sein, was die Geneigtheit des Publikums erhöht. Ebenfalls klassisch sind Beobachtungen zur Körpersprache: "Vermeiden Sie (...), nervös von einem Bein aufs andere zu treten oder vor- und zurückzuwippen" oder die einfache, aber selten beherzigte Erkenntnis, dass man jeden öffentlichen Auftritt intensiv üben sollte: "Proben Sie Ihren Vortrag vor Leuten, die keine Ahnung von Ihrer Arbeit haben." Man erfährt hier, wann man sich schriftlich, wann lieber mündlich vorbereitet, wie Monica Lewinsky ihre Nervosität überwand und vieles mehr.

Anderes wiederum ist auf die digitale Ära abgestimmt - dass man den einsamen Internet-Zuschauer mitdenkt, oder dass man wegen der immer besseren Mikrofone heute besser im Konversationston spricht als im ererbten hohen Ton politischer Ansprachen. All das liest man mit Gewinn. Nur seine optimistische Überzeugung, "dass in der zunehmenden Verbreitung gesprochener Inhalte das Positive überwiegen wird", die nimmt man Chris Anderson in dieser Zeit leider schwer ab.

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