Rhetorik:Die Entschuldigung

Krisenkommunikation ist ein professionelles Werkzeug, mit dem Konzerne bei Problemen die Kontrolle über eine wichtige Variable in ihrer Firmenbilanz wiederherstellen wollen - das Vertrauen. Niemand lernt das gerade so schnell wie VW.

Von Johannes Boie

Abgesehen von Herstellern amerikanischer Elektroautos gibt es noch andere Menschen, die sich über den Volkswagen-Skandal freuen. Zum Beispiel Menschen, die sich für Krisenkommunikation interessieren. Volkswagen liefert da gerade eine umfassende Lektion.

Schon Ende September reagierten die Wolfsburger mit ersten Einträgen auf ihrer Facebook-Seite, denn wer im Netz zu spät dran ist, der wird durch das Geplärre der Nutzer bestraft. In diesen Postings werden die Nutzer geduzt - lasst uns Freunde bleiben. Dann kommt eine Kaskade von Verben. Was in Wolfsburg alles gleichzeitig möglich ist: bedauern (enttäuschtes Vertrauen), übernehmen (volle Verantwortung, was sonst), informieren (euch, die Nutzer), alles daransetzen (Vertrauen vollständig wiedergewinnen), alles tun (um Schaden abzuwenden). Als wäre der Schaden nicht längst eingetreten. Und mit welchen Eigenschaften möchte Volkswagen assoziiert werden? Alles ist jetzt "wichtig", gehandelt wird "schnellstmöglich", die Autos sind "sicher" und "fahrbereit".

Für Betriebswirtschaftler ist Vertrauen eine berechenbare Variable in der Firmenbilanz

Die zweite Stufe zündet jetzt eine seitenfüllende Anzeige des Konzerns, die zum Tag der Deutschen Einheit in zahlreichen Zeitungen erschien, auch in der SZ. Das Layout betont schlicht, kein Auto, kein Claim ("Das Auto") unter einem kleinen Logo, nur eine Überschrift und sechs schmale Absätze. All das suggeriert Demut, so inszeniert, dass sich der Büßer letzten Endes eben doch der ungeteilten Aufmerksamkeit sicher sein kann. So auch der Inhalt der Anzeige: "Eigentlich sollte hier unsere Anzeige zum 25. Jahrestag der Wiedervereinigung stehen." Subtext: Ja, eigentlich - Zähneknirschen - aber wir sehen ein, das machen wir jetzt besser nicht, wer wären wir denn, hier zur deutschen Einheit zu gratulieren, wir können uns heute ja nur schämen, weil wir elf Millionen Dieselmotor mit Lügensoftware verkauft haben. Der reine Fakt des Betrügens bleibt allerdings unerwähnt. Wer sich so ausführlich entschuldigt, macht fast die Anklage vergessen. Und täuscht auch darüber hinweg, dass noch nicht einmal ein umfassendes Geständnis vorliegt.

Volkswagen hat diese Art der Kommunikation nicht erfunden. Andere Konzerne mussten sie lernen, zum Beispiel British Petroleum, als die Ölplattform Deepwater Horizon den Golf von Mexico verseuchte, Vattenfall nach Reaktorproblemen in Krümmel und Brunsbüttel oder Mercedes Benz, nachdem der Kleinwagen A-Klasse beim Elchtest umgekippt war. Einigen Konzernen gelingt es, in der Krise ihre Glaubwürdigkeit sogar zu stärken, weil ihre Entschuldigungen aufrichtig wirken. Mercedes zum Beispiel. Die konnten sich dann sogar die Selbstironie leisten, ihren Kunden Spielzeugelche zu schenken.

In aller Regel werden zu diesem Zweck externe Agenturen angeheuert. Krisenkommunikation ist, wie jede gesteuerte Kommunikation eines Konzerns, ein professionelles Werkzeug. Für Betriebswirtschaftler ist Vertrauen eine berechenbare Variable in der Firmenbilanz. Weniger Vertrauen bedeutet weniger Kunden, weniger Absatz, Probleme mit Zulieferern, Politik und Aufsichtsgremien. Dementsprechend zielt der öffentliche Kniefall wie jede Kommunikation schlussendlich darauf ab, den Umsatz des Konzerns zu maximieren (oder wenigstens zu retten).

Auf kritische Kunden wirkt sie - wie im Fall Volkswagen - dennoch häufig verlogen, nämlich dann, wenn alles nach einem schablonierten Drehbuch zu laufen scheint. Und natürlich auch, wenn Form und Art der Entschuldigung nur bedingt zum Image des Konzerns passen. Volkswagens neue Transparenz steht zum Beispiel deutlich im Widerspruch zum verschlossenen Konzern, der in Wolfsburg seinen Hauptsitz hat.

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