Revue:Der Glaube ans Schöne

Happy Birthday Lenny

Beispiel für künstlerischen Höhenflug: Miriam Neumaier, getragen von ihren Mitstudenten.

(Foto: Jean-Marc Turmes)

Die Theaterakademie feiert Leonard Bernstein

Von Egbert Tholl

Am 25. August 1918 wurde Leonard Bernstein geboren. Am 15. Februar 2018 feiert ihn die Bayerischen Theaterakademie August Everding: "Happy Birthday, Lenny. Ein musikalischer Abend zum 100. Geburtstag von Leonard Bernstein" ist im Untertitel eine grandiose Untertreibung. Denn die Revue aus elf Bühnenwerken Bernsteins ist ein fabelhafter Querschnitt durch dessen Œuvre, fast ein eigener, neuer Theaterabend, obwohl er als solcher gar nicht gedacht oder inszeniert ist. Doch, so viel lässt sich nach einem ziemlich formvollendeten Probendurchlauf sagen, fügt sich dank der funkelnden Freude der Darsteller und deren stupenden Könnens das an sich Disparate zu einem vielschichtigem Ganzen zusammen. Anders gesagt: drei Stunden reine Freude.

Die Bühne ist eine im Prinzregententheater so noch nie gesehene und doch im Kern ganz simple Sensation. Oben sitzt, um ein paar Treppenstufen erhöht, das Münchner Rundfunkorchester und swingt unter Wayne Marshall so souverän wie lässig, unten, auf der Vorbühne, finden die Spiel- und Tanzszenen statt. Das schaut aus wie eine große Broadway-Gala mit ein paar Fünfzigerjahre-Möbeln und ein paar Turngeräten, und zu Beginn zaubern Videoprojektionen aus dem New York der Vierzigerjahre die Atmosphäre, die es für Stücke wie "On The Town" braucht.

Hardy Rudolz hat selbst in sechs verschiedenen Inszenierungen der "West Side Story" den Toni gesungen; einmal vor 5000 Zuschauern, als die Hamburger Staatsoper den ersten Todestag Bernsteins beging. Der "Bundestoni" lernte Bernstein persönlich kennen, lernte von ihm und nun noch mehr über ihn, als er sich in Bernsteins Leben und dessen Gedankenwelt hineingrub, um das Geburtstagsstück zusammenzustellen und zu inszenieren. Mit allen künstlerischen Widersprüchen: "Ich will ihm, nicht dem Publikum nach dem Mund reden."

Man könnte ja einfach die Hits aus "West Side Story", "Candide" und "On The Town" zusammenschrauben, alle wären glücklich. Rudolz verzichtet keineswegs auf Bernsteins Erfolgsstücke, doch er stellt ihnen Ausschnitte aus "1600 Pennsylvania Avenue" gegenüber, einem enormen Misserfolg, weil 1976 niemand sehen wollte, wie es nach Krise und Watergate im Weißen Haus zugeht. Erst im Jahr 2000 wiederentdeckt wurde "Peter Pan", dessen kompositorische Qualität nicht unbedingt für die Notwendigkeit dieser Entdeckung spricht. Und dann nimmt Rudolz auch Teile von "Mass" auf, jenem seltsamen Stück, das so klingt, als hätten Orffs "Carmina burana" nicht in Nazideutschland, sondern am Broadway ihre Uraufführung gehabt.

Aber dies rundet das Bild eines umfassenden Künstlers, von dessen Leben und Lebensgier an diesem Abend viel erzählt wird, von seinem Glauben an die Kraft der Musik, von seinen menschlichen Taten. 1948, als Deutschland für viele Künstler zu meidendes Terrain war, dirigierte Bernstein das Bayerische Staatsorchester im Prinzregententheater, am Tag danach, am 10. Mai, "gab er zusammen mit 20 Holocaust-Überlebenden ein Konzert in Feldafing und in Landsberg. Im Publikum saßen 10 000 ehemalige Lagerinsassen und auch die Musiker des Staatsorchesters."

Die Studierenden der Studiengänge Musical und Musiktheater/Operngesang erweisen sich bei den teils verblüffenden Geschichten als durchaus begnadete Conférenciers, doch ist ihre eigentliche Stärke natürlich das Singen und Tanzen. Viele sind darin perfekt. Die Ensemble-Nummern sind von erlesener Präzision und die Soli voller Individualität. Mitunter konnte man sich bei den Darbietungen der Musical-Klassen des Eindrucks nicht erwehren, hier würden seelenlose Präzisionstierchen gezüchtet; hier aber erlebt man eigenständige Künstlernaturen. Man könnte mit allen eine umwerfende "West Side Story" in Gänze machen, man will keinen hervorheben, und doch: Tobias Stemmer hat eine fabelhafte Stimme, Patrizia Unger tanzt und singt, dass es einem schwer fällt, am Abend bei "My Fair Lady" aufzupassen, Tamara Pascual, Miriam Neumaier und Opernsänger Christian Lange werden Stars, beispielsweise.

Happy Birthday, Lenny, Do./Sa./So./Di., 15./17./ 18./20. Februar, Prinzregententheater

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