Revolution im Wohnzimmer:Mein Videorekorder hält mich für schwul

Der schlaue Rekorder TiVo weiß, was sein Besitzer sehen möchte. In den USA gibt es das intelligente Gerät schon länger - in manchen Haushalten wird er inzwischen als Familien-Mitglied betrachtet.

Jürgen Schmieder

In einer Folge der amerikanischen Sitcom "King of Queens" berichtet eine der Figuren von einer absurden Beziehung. Diese Beziehung hat er sich ungewollt eingehandelt. Denn sie ist eine Dreingabe seines neuen Videorekorders.

TiVo, AP

Der TiVo weiß was man sehen will.

(Foto: Foto: AP)

TiVo heißt er, ist angeblich schlau und weiß, was Kunden wünschen. TiVo erstellt Seh-Profile und zeichnet eigenmächtig Sendungen auf. Und so beschwert sich die Sitcom-Figur: "Mein Gott, TiVo denkt, ich bin schwul!" Der Rekorder nimmt nur noch Eiskunstlauf und Konzerte von Barbra Streisand auf.

Bei den deutschen Zuschauern lief der Witz ins Leere, da diese autonom agierende Aufzeichnungsform hierzulande noch gänzlich unbekannt ist. TiVo ist eine erweiterte Form des DVD-Video-Rekorders, also des Nachfolgers des Fernsehaufzeichnungssystems mit Kassette.

Zwar sind so genannte Electronic Programming Guides (EPG) - digitale Fernsehzeitschriften - auch in neueren deutschen Geräten bereits Standard. Auch das Herausfiltern von Werbeinseln, das Time Shifting, stellt für die auf dem hiesigen Markt erhältlichen Rekorder kein Problem mehr dar.

"Can you TiVo this for me?"

Die Besonderheit von TiVo liegt jedoch darin, dass er die Fernsehgewohnheiten seines Besitzers erkennt und seinem Aufzeichnungs-Automatismus anpasst. Ein Beispiel: Verfolgt der Zuschauer die ersten drei Folgen der Serie "Lost" und vergisst bei der vierten Episode das Einschalten, nimmt das Gerät diese automatisch auf, weil der Rekorder mutmaßt, dass sein Besitzer sie nicht verpassen möchte.

In den Vereinigten Staaten ist das Kürzel TiVo bereits Teil der Alltagssprache. Es heißt nicht mehr: "Can you please tape this show?" Sondern man bittet: "Can you TiVo this for me?" Inzwischen ist es sogar möglich, Fernsehsendungen direkt auf den Laptop senden zu lassen, um sie unterwegs anzusehen. "TiVoToGo" nennt sich diese Erweiterung. Natürlich ist all das kostenpflichtig.

Über drei Millionen Abonnenten gibt es, das Unternehmen meldet im vierten Jahr Rekordumsätze. Die Abhängigkeit vom intelligenten Gerät führt in manchen Haushalten dazu, dass der smarte Rekorder inzwischen als Familien-Mitglied betrachtet wird.

Die Serie "Sex and the City" - immer am Puls der Zeit - persiflierte diese Entwicklung in ihrer sechsten Staffel, als Miranda eine sexuelle Beziehung mit ihrem Gerät beginnen will. Sie schmeißt einen ihrer vielen Lover raus, weil TiVo so viel verständnisvoller ist.

Digitale Diaspora

Deutschland gehört tivomäßig zur digitalen Diaspora. Man muss sich fragen, warum das so ist und TiVo immer noch nicht unserer Alltagskultur erreicht hat. Technische Barrieren gibt es seit der Einführung des digitalen Fernsehen im Herbst vergangenen Jahres jedenfalls keine mehr.

"Ich würde mich freuen, wenn es TiVo hier in Deutschland gäbe", sagt die Medienwissenschaftlerin Martina Krützen von der Filmhochschule in München. "Im Moment übernimmt eine studentische Hilfskraft diese Funktion. Ein menschlicher TiVo sozusagen."

Für Krützen wäre ein intelligentes Aufzeichnungssystem von Vorteil: Einfach den Begriff "Steven Spielberg" eingeben, und das Gerät zeichnet alle Filme auf, die während eines bestimmten Zeitraums auf irgendeinem Kanal laufen.

"Der Markt hat es bisher nicht geschafft, die Zuschauer für eine echte digitale Fernsehkultur zu sensibilisieren", sagt Maya Götz. Sie ist Leiterin des Internationalen Instituts für Jugend- und Bildungsfernsehen. Wegen der Pannen und Pleiten etwa des Senders Premiere bei der Einführung stünden die Zuschauer dieser neuen Form des Fernsehens immer noch kritisch gegenüber.

"Man beginnt erst allmählich zu begreifen, welche Möglichkeiten sich durch die Einführung tatsächlich eröffnen", sagt Götz. Viele Zuschauer betrachteten die Entwicklung skeptisch und wollen keine weiteren Technikkram in ihrer guten Stube. Ein weiterer Grund: In Deutschland zahlt man etwa 300 Euro für ein digitales Aufzeichnungsgerät - und hält den Fall damit für erledigt. In den USA kommen jedoch noch bis zu 15 Dollar pro Monat für die Intelligenz der verschiedenen Dienste dazu.

Das größte Hindernis besteht aber in der Gewohnheit des deutschen Fernsehzuschauers, das Wohnzimmer als uneinnehmbare Festung zu betrachten. "My home is my castle" - und niemand darf hinein. In den Vereinigten Staaten dagegen interagieren die Rezipienten, beurteilen Sendungen und schaffen sich so eine Art demokratisches Empfehlungsinstrument.

Registriert TiVo nämlich, dass ein Zuschauer bestimmte Sendungen mit einer positiven Wertung belegt hat, eine andere Show aus demselben Genre aber unbeachtet ließ, wird TiVo seinen Besitzer in bester Amazon-Manier darauf hinweisen: Kunden, die diese beiden Serien mögen, bevorzugen auch diese Sendungen. Und zeichnet sie auch gleich mit auf.

Genau hierin liegt der Grund, der den deutschen Zuschauer vom Kauf eines TiVo-ähnlichen Gerätes abhalten könnte. Denn er fügt sich dadurch in einem gewissen Maße einer Bevormundung durch das Aufzeichnungssystem, das ja eine Art Fernseh-Lebenslauf erstellt und dem Kunden sagt, welche Serie zu seinem curriculum videns zu passen hat.

Bei allen Möglichkeiten, die TiVo bietet, kann es dann eben vorkommen, dass TiVo meint, besser zu wissen, was sehenswert ist. Und seien es auch Eiskunstlaufen und Konzerte von Barbra Streisand.

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