Revolution durch E-Books?:Zeit für Experimente

Ob im Zug, am Strand oder einfach nur daheim: E-Books haben das Lesen fast nicht verändert. Für die Verleger aber ist die Unsicherheit gewachsen, einen Flop oder einen Bestseller zu publizieren. Deshalb müssen sie ausprobieren, welche Texte sich am Besten für das neue Format eignen.

Johan Schloemann

Der eine packt jetzt, es ist Urlaubs- und Reisezeit, immer noch den DuMont-Kunstreiseführer in den Koffer. Damit kann er im entscheidenden Moment ausrufen: "Das da drüben müsste die byzantinische Zisterne sein, Schatz!", und wenn er auf einem staubigen Ausgrabungsgelände den Kunstreiseführer im richtigen Winkel über den Kopf hält, dann hat das dicke Buch den besten denkbaren Lichtschutzfaktor.

Apple, Publishers Sued Over Alleged E-Book Price Conspiracy

Wenn der Reiz des Neuen verflogen ist, wird das E-Book-Lesen zu einem ziemlich normalen Lesen.

(Foto: Scott Eells/Bloomberg)

Der andere hat sich, passend zum Reiseziel, das Kapitel aus dem "Lonely Planet" auf sein Lesegerät geladen: entweder gekauft, für 4,55 Euro. Oder geklaut. Oder ausgeliehen. Oder er hat eine App auf dem Smartphone, die vollautomatisch byzantinische Zisternen erkennt. Jedenfalls hat er keine gedruckten Bücher mehr dabei. Die Krimis sind auf dem Lesegerät verstaut; den freien Platz im Koffer füllt der Reisende mit mehr T-Shirts und Schuhen auf, weil er unsicher ist, wie das Wetter wird.

Ist das jetzt die Revolution des Lesens?

Nun, für den Rezipienten, für den Leser ist der Begriff Revolution deutlich zu hoch gegriffen. Er liest eben, mal so, mal so. Zwar empfindet man es vielleicht als einschneidende Umstellung, wenn man zum ersten Mal ein Lesegerät in der Hand hat. Aber sobald der Reiz des Neuen verflogen ist, wird das E-Book-Lesen zu einem ziemlich normalen Lesen - es sei denn, man hat E-Mail-Alerts und sonstige Plingplingmeldungen nicht ausgeschaltet, die dem Lesen abträglich sind, wenn auch, in Maßen empfangen, nicht viel abträglicher als der Blick auf die Bikinis am Strand oder andere analoge Abschweifungen von der Lektüre.

Eine Revolution wäre es auf der Seite der Rezipienten vielmehr, wenn gar nicht mehr gelesen würde. Die Null-Lektüre ist denn auch tatsächlich eine Option für einen (wieder) wachsenden Teil der Gesellschaft, nicht etwa nur in den notorisch bildungsfernen Schichten, sondern auch bei bildungsfernen Studenten, Journalisten oder Vorstandsvorsitzenden.

Das ist aber keine Frage des Beschreibstoffs, sondern von Bildung und Erziehung. Für alle anderen, die schon von selber lesen - nicht aus Pflicht, sondern aus Neigung -, ist die Wahl zwischen Print und Digital letztlich nicht so erheblich, sondern davon abhängig, was sie praktischer und schöner finden. Manche haben die neuesten Geräte, möchten aber trotzdem nicht, wie es ein Verleger einmal ausdrückte, auf die "bürgerliche Kompetenztapete" im Wohnzimmer, aufs Bücherregal also, verzichten; manche lesen "Don Quijote" auf dem E-Book, weil das Gewicht geringer, manche SM-Porno-Schmöker, weil die Peinlichkeit geringer ist.

Nischen in Analog und Digital

Ganz anders sieht das mit der Revolution auf der Seite der Produzenten aus, der Autoren und Verlage. Der anspruchsvollen Wahlfreiheit der Leser müssen sie - bei gleichzeitig riesigem Gratis-Angebot - mit Bezahlangeboten in diversen Darreichungsformen begegnen. Sie müssen nicht mehr nur den Geschmack treffen, sondern auch den richtigen Kanal. Die einen suchen ihre Nische in bibliophilen Editionen nach dem Manufactum-Prinzip, die anderen glauben noch ans Taschenbuch, die dritten vertreiben Trash-Schmonzetten im unlektorierten Selbstverlag.

Das heißt nicht, dass man mit Texten kein Geld mehr verdienen könnte. Aber die Streuung, die Unsicherheit, wo mit Flops, wo mit passablen Verkaufszahlen, wo mit Bestsellern zu rechnen ist, wird größer als ohnehin schon. So erscheinen inzwischen (Stand 2011) in Deutschland 42 Prozent aller neuen Bücher auch als elektronische. Das ist gegen alle Vorurteile wirklich keine schlechte Quote, sondern eine gewaltige Investition der Verlage, wenn man bedenkt, dass die E-Books immer noch nur ein Prozent des gesamten Buchmarkts in Deutschland ausmachen (ebenfalls Stand 2011).

In Frankreich hat man eine Preisbindung für E-Books beschlossen, was die Buchbranche zunächst freut, aber auch Piraterie befördert. In Deutschland liegen die E-Book-Preise ein paar Euro unter denen fürs gebundene Buch, was vielen, die mit den Amazon-Kampfpreisen in den USA vergleichen, noch zu teuer ist. Und noch eine Zahl zur Streuung: Abseits des Erfolgs einiger Self-Publishing-Stars wie E. L. James ("Shades of Grey"), die dann meist zu traditionellen Verlagen hinüberwandern, verdient die Hälfte aller selbst verlegenden englischsprachigen Autoren weniger als 500 Dollar im Jahr mit ihren Texten.

In dieser Lage ist es leicht verständlich, dass die Textproduzenten alle Formen von Hinter-, Neben- oder Ineinander des gedruckten und elektronischen Publizierens ausprobieren. Der neue Berliner Ableger des Hanser-Verlags hat soeben Jonathan Littells Syrien-Reportage "Notizen aus Homs" als E-Book vorgezogen, gedruckt erscheint das Buch Ende August. Dasselbe Verfahren wählte Kiepenheuer & Witsch für die College-Rede "Das hier ist Wasser" von David Foster Wallace. Suhrkamp bringt eine "edition suhrkamp digital", die aber gleichzeitig gedruckt erscheint, der Campus Verlag jedoch ein rein digitales Programm mit kürzeren Sachbüchern.

Eine Annahme lautet, dass gerade die kurze, schnelle Debattenprosa sich besonders für das E-Format eigne; dem steht indes der riesige Erfolg des gedruckten Pamphlets "Empört euch!" von Stéphane Hessel entgegen, das zahlreiche Nachahmer gefunden hat. Kurzum: für den Leser ist gerade sehr viel möglich, für den Verleger sehr viel nötig.

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