Reuters-Fotograf Thomas Peter:Von der Kunst und dem Glück des Richtigstehens

Reuters-Fotograf Thomas Peter zeigt und kommentiert im Bilderblog eine eigene Auswahl seiner Lieblingsbilder.

11 Bilder

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Das war die erste Aktion der Gruppe Voina, und sie fand nach wenigen Sekunden ein gewaltsames Ende. Am Tag der Arbeit, der in Russland bis heute mit allem Pathos des Klassenkampfes inszeniert wird, betreten zur Mittagszeit ein Dutzend Aktivisten ein McDonald's-Restaurant unweit der Parade. Sie tragen Sporttaschen. Ein Chor des Miauens mischt sich unter die Stimmen der Hungrigen. Als die Bedienung "Der nächste Bitte!" ruft, fliegt eine Katze über den Tresen. Dann noch eine. Dann kommt es zu einer Schlägerei. Voina hatte übersehen, dass auch Zivilpolizisten Mittag machen. Plötzlich lag jeder Zweite im Restaurant auf dem Boden, entweder niedergeworfen oder sich in Rage niederwerfend. Ich hatte das Gefühl, wir wären in eine Polizeikantine geraten. Ein Polizeirevier würde die Gruppe ein Jahr später auch noch aufmischen, allerdings dann schon mit einer ausgeklügelten Täuschungs- und Fluchtstrategie. An diesem Tag wurden fast alle Aktivisten verhaftet. Zum Grand Finale kam es nicht. Oleg wertete die Aktion dennoch als Erfolg. Sie sollte den Trott der Bedienung brechen, und das war gelungen.

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Eine Frau beobachtet ihren Mann, wie er auf einem Hochseil balanciert. In dem dagestanischen Bergdorf Zowkra, nahe der Grenze zu Tschetschenien, hat das Seiltanzen eine lange Tradition. Keiner weiß, vor wie vielen Jahren man anfing, die freie Zeit zwischen Ziegen hüten und Stroh verarbeiten mit Akrobatik zu verbringen. Manche sagen, es hätte einen praktischen Hintergrund gegeben: Auf einem Seil lässt sich ein Abgrund schneller überwinden. Für andere war es ein Balzverhalten der gehobenen Klasse. Vermutlich ist es eine Kombination von beidem. Schließlich suchte man früher seine Braut im Nachbardorf. Heute steht jeder auf dem Seil: Bäuerin, Dorfvorsteher, Polizeivorsteher und natürlich Kinder. Getanzt wird mal weniger mal mehr elegant.

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Russische Polizisten treiben einen Keil in eine Gruppe von Oppositionellen, die im März dieses Jahres gegen den Wahlsieg von Wladimir Putin demonstrieren. Die Menschen waren wütend über den Hochmut des mächtigsten Mannes im Staat, sie hatten genug von seiner gelenkten Demokratie. Nun sollte er sie noch weitere sechs Jahre regieren, den Fortschritt herbeirufend, während das Land auf dem Abstellgleis steht. Wie aus Trotz weigerten sich einige Oppositionsführer, dem polizeilichen Aufruf zur Räumung des zentralen Puschkinplatzes zu folgen. Und sie riefen ihre Anhänger auf, es ihnen gleichzutun. Die Einsatzkräfte der Polizei, die OMON, taten, was man von ihnen erwartete, sie griffen mit harter Hand ein. Der russische Staat dultet keinen Widerspruch.

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Dieses Bild entstand während einer Reportage über Tuberkulose in einem sibirischen Gefängnis. Nach dem Rundgang durch die Zellen nahm mich der Amtsarzt auf eine Tour durch die umliegenden Dörfer mit und zeigte mir, dass diese oft tödliche Krankheit dort beginnt, wo das würdige Leben aufhört. Kaum einer hat Arbeit, die Männer trinken, und oft bilden sich Saufhöhlen, wo der Verfall grassiert. Fast immer sind es nur die Frauen, die den Alltag und die Familie am Laufen halten. Die alten Frauen, die durch die Härte des russischen Lebens stark geworden sind und die jungen, die sich trotz allem immer wieder auf die jungen Kerle einlassen.

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Gläubige Russen feiern am Dreikönigsfest die Taufe Jesu, indem sie in ein Loch in einem gefrorenen Gewässer springen, oft bei Temperaturen weit unter minus zehn Grad Celsius. Das Wasser wird in einer religiösen Zeremonie von einem Prister in der Nacht zum 19. Januar geweiht und soll dann besondere Kräfte haben. Diese Aufnahme entstand am See vor dem Warnizkij-Kloster in Rostow Weliki.

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Politische Zeremonien verschiedener Art machen den Großteil meiner Arbeit aus. Ich mag dieses Foto, weil es deutlicher als andere das Theatralische im politischen Akt zeigt. Theater ist immer dabei, aber selten ist es graphisch so schön. Die Menschen auf dem Foto sind Botschafter aus verschiedenen Ländern, die sich am traditionellen Neujahrsempfang beim Bundespräsidenten im Schloss Bellevue in einer Art gegenseitigen Respektbekundung vorstellen.

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Hier sind wir wieder im Bellevue, diesmal im Garten, beim ersten Sommerfest von Christian Wulff nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten. Er posiert mit seiner Frau Bettina und dem damals unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck und seiner Partnerin Daniela Schadt. Neben seinem Dasein als ästhetisches Ding ist ein Pressefoto in erster Linie ein Gebrauchsgegenständ, da darf man als Fotograf nicht übermütig sein. Es ist aber auch immer ein Zeitzeugnis und manchmal ist die Geschichte, die hinter ihm steht, so spannend oder tragisch, dass es im täglich expandierenden Universum der Bilder eine besondere Rolle einnimmt. Die tragikomische Aussage dieses Bildes muss man nicht weiter kommentieren, denke ich.

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Zertretene Sonnenbrillen liegen auf der Straße nach dem Unglück bei der Loveparade in Duisburg 2010. Ich kam erst spät in der Nacht an die Stelle, wo 21 Menschen im Gedränge ihre Leben verloren. Die Einsatzkräfte hatten die Verletzten bereits abtransportiert. Ein Bauzaun schützte die Stelle, wo die Toten lagen, vor Schaulustigen. Am nächsten Morgen, als bekannt wurde, was passiert war, stand die Stadt unter Schock. Eine solche Geschichte ist schwer zu fotografieren. Bildergierige Fotografen waren das Letzte, was die trauernden Menschen brauchten. Der Boden hinter dem Bauzaun, den man am zweiten Tag für die Presse öffnete, war übersäht mit Müll. Auf den ersten Blick der typische Festivalabfall: Dosen, Zigarettenschachteln, Flaschen. Aber hier war nichts gewöhnlich. Hier war der Druck in der Menge am stärksten gewesen. Hier versuchten die Sanitäter das Leben derer zu retten, die noch nicht ihren Verletzungen erlegen waren. Im Schlamm lagen Gummihandschuhe, Ampullen, Wärmedecken. Und immer wieder zertrampelte Sonnenbrillen, Partybrillen die man aufsetzt, um Spass zu haben.

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Die Nonnen des Marienthal-Klosters im sächsischen Ostritz mussten an diesem Tag richtig anpacken. Die Neiße war über ihre Ufer getreten und hatte die Klosterkirche und den Kreuzgang überschwemmt. Als ich kam, war das Wasser schon abgelaufen. Zurück blieb dieser schwarze Schlamm, der mühsam vom Boden gekratzt und in Eimern abtransportiert werden musste. Die Frauen taten's mit stoischer Strebsamkeit.

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Als ich an die Blaue Moschee in Masar-e Scharif im Norden Afghanistans kam, dachte ich, dass alle Friedenstauben des Landes sich hier versammelt hätten. An der Moschee in Kabul tummeln sich auch Tauben, nur sind jene grau. Diese waren ausnahmslos weiß und liefen so dicht gedrängt am Boden, dass man beim Laufen keinen Fuß heben durfte, um sie nicht zu zertreten. In ihrer Mitte standen diese Männer mit ihren Besen, vermutlich um den Taubenkot zusammenzufegen. Eine schwierige Aufgabe, wie so vieles in diesem Land.

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Mit dem englischen Songwriter Charlie Winston und seiner Band war ich für eine Woche auf Deutschlandtournee. Sein Publikum hat er immer in Rage gebracht, zum Crowdsurfen kam es aber nur bei diesem Gig in Hamburg. Ich hatte Glück, dass er auf seinem Weg vom Saalende zur Bühne genau in die Richtung getragen wurde, wo ich stand. Die Kombination von richtig stehen und Glück hat schon viele Bilder komplett gemacht.

© Süddeutsche.de/dho
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