Retrospektive für Fotografin Evelyn Hofer:Alles kein Zufall

Evelyn Hofer: "Mädchen mit Fahrrad", Dublin, 1966

Evelyn Hofer: "Mädchen mit Fahrrad", Dublin, 1966

(Foto: Estate of Evelyn Hofer)

Endlich! Das Werk von Evelyn Hofer gehört zu den besten der Fotografie. Jetzt ist es in der Villa Stuck in München zu entdecken.

Von Bernd Graff

Saul Steinberg, der New Yorker Zeichner und Karikaturist, hat zur Fotosession einen Pappkameraden mitgebracht. Ein lebensgroßes Porträt seiner selbst als kleiner Junge. Mit dem hält er nun Händchen. Eigentlich ganz witzig. Nur: Er soll von seiner guten Bekannten Evelyn Hofer fotografiert werden. Da hätte er eigentlich wissen müssen, dass ihr ein kleiner Gag nicht reicht, um auf den Auslöser zu drücken.

Hofer also rückt den doppelten Steinberg so lange zurecht, bis das Rot, das Muster des Teppichs und die Bild-Symmetrie insgesamt stimmen, fotografiert dann - und ärgert sich Jahrzehnte später noch, dass sie den Fetzen Papier im Hintergrund gesehen und doch hat liegen lassen. "Sowie man anfängt, Ordnung zu machen, ist der Moment vorbei."

Evelyn Hofer arbeitet immer so: In allen ihren Bildern steckt die Spannung von besonderem Moment und klugem Bildaufbau. Und fast nie scheint irgendetwas übersehen worden zu sein. (Darum ärgert sie sich ja über die Unordnung durch den zufälligen Steinberg-Fetzen.) Hofers Bilder sind Kunst-Arrangements, Anti-Zufall pur und dabei doch alles andere als statuarische Dokumentationen.

Eine große Retrospektive in der Münchner Villa Stuck hat nun über 200 Bilder von ihr aus allen ihren Schaffensphasen zusammengetragen. Es ist die größte Schau des Werks jener Fotografin, die erfolgreiche Autorin von Bild-Essays war und jahrzehntelang für die bedeutendsten Magazine der Welt arbeitete - die aber immer noch zu entdecken ist.

Hofer, 1922 in Marburg an der Lahn geboren, verließ Deutschland mit ihrer Familie im Jahr 1933. Man ging in die Schweiz. Hofer erlernte dort ab den Vierzigerjahren das Fotografie-Handwerk von der Pike auf: in einem Fotostudio in Zürich, dazu noch als Privatschülerin bei Fotografen der Neuen Sachlichkeit.

Wie Farbschichten, die auf Leinwand aufgetragen werden

Hofer arbeitete am liebsten mit der Großformatkamera. 1946 ging die Fotografin nach New York und traf dort auf eine äußerst lebendige Szene, die dabei war, Magazine und Illustrierte zu erobern. Früh experimentierte Hofer mit der Farbfotografie. Dank ihrer Nähe zur Kunst bereicherte sie ihre technische Perfektion in der Fotografie um die Kompositonsprinzipien der Malerei.

Diesen Einfluss merkt man ihren Bildern sofort an. Für Magazin-Aufträge bereitete sie sich gewissenhaft - und zuerst ohne Kamera - vor Ort vor, um dann ihren essenziellen Moment mit einer 4x5-inch-Kamera, einem Ungetüm in der Reportage-Fotografie, einzufangen. Selbst die Ganzkörperporträts in der Natur sind damit aufgenommen worden.

Viele Bilder von Hofer, die derselben Generation wie Diane Arbus, Helen Levitt und Richard Avedon angehörte, sind im Dye Transfer-Verfahren entstanden, einem fotochemischem Prozess, in dem die Motive in aufwendigen Farbadditionsverfahren zu ihrer plastisch wirkenden, leuchtenden Gestalt kommen. Wie Farbschichten, die auf Leinwand aufgetragen werden.

Perfekte Abstimmung der Farben

Jedes der Bild von Evelyn Hofer steht so für einen gelassenen, geradezu würdevollen Augenblick voller Esprit und Humor, ganz egal, ob die Fotografin Menschen arrangiert oder Obst in einer Schale, ob sie Landschaften und Städte einfängt oder die Farbexplosionen auf Reklametafeln.

Vor allem beherrscht sie das: die Farben! Selbst die roten Strümpfe eines Mädchens mit Fahrrad scheinen perfekt auf das braune Fell eines Hundes, den schwarzen Asphalt, das Ziegelrot der Häuser, das Grün eines Zaunes und ihren pinkfarbenen Pulli abgestimmt zu sein.

Evelyn Hofer (1922-2009). Villa Stuck, München. Bis 20. September. Zur Ausstellung erscheint eine Monografie im Steidl Verlag, 288 Seiten, 35 Euro.

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