Retrospektive:Der Beginn des Sehens

Darauf haben Cineasten schon lange gewartet: Endlich findet ein Festival mit den Filmen des Regiegenieduos Straub & Huillet statt - leider nicht in München, sondern in Berlin, wo die Großtaten der beiden nun zu bestaunen sind.

Von Fritz Göttler

Es fehlt die Geduld, hat Jean-Marie Straub mal gesagt: "Genie ist nichts anderes als eine große Menge Geduld. Denn wenn du eine große Menge Geduld hast, ist diese aufgeladen mit Widersprüchen. Sonst hat sie einfach nicht die Zeit, sich aufzuladen. Anhaltende Geduld ist zwingenderweise geladen mit Zärtlichkeit und Gewalt."

Zwei Monate nimmt sich Berlin Zeit, um sich dem Genie und der Geduld von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet noch einmal anzunähern. "Sagen Sie's den Steinen" heißt das Projekt der Akademie der Künste, kuratiert von Annett Busch und Tobias Hering unter Mitarbeit von Antonia Weiße, es wurde an diesem Mittwoch eröffnet mit dem Film "Von Heute auf Morgen", einem der vielen Schönberg-Filme der beiden. Im Oktober ist eine Arnold-Schönberg-Woche geplant, mit einer Neubearbeitung von Schönbergs "Begleitmusik zu einer Lichtspielszene" durch den Komponisten Ming Tsao. Dazu gibt es eine Ausstellung zur Arbeit von Huillet (die im Jahr 2006 gestorben ist) und Straub, die immer mehr war als reine Dreharbeit. Moderne Künstler, wie Luisa Greenfield oder Louis Henderson, greifen Spuren des Werks auf, dazu gibt es "Rencontres" mit Mitarbeitern und Filmhistorikern: "Bis wir beginnen, etwas zu sehen".

Das Sehen beginnt natürlich mit den Filmen, mit einer kompletten Retrospektive - das fest geschnürte, kuratierte Rahmenprogramm hat ein wenig von einer Fleißaufgabe. Die Filme aber, die gemeinsamen und jene, die Straub nach dem Tod Huillets machte, in Zusammenarbeit mit Barbara Ulrich, sind immer noch eine aufregende Exkursion, eine Expedition, die von den Ufern des Rheins nach Sizilien und ins Cézanne-Land führt. Auch München liegt auf diesem Weg, wo die beiden in den Sechzigern lebten (wäre ein solches Projekt auch in München denkbar?). Dieses Werk spricht für sich, wird weiter sprechen. "Straub diskutiert besser als ich", hat Huillet mal gesagt. "Ich weiß nicht, ob er es gerne macht. Ich denke, dass man damit einen Teil der Arbeit kaputt macht. Ein Film ist eine Arbeit, die man ans Ende geführt hat. Eine Diskussion ist immer etwas, wobei man nur Halbwahrheit sagt oder Dinge forciert, die man im Film versucht hat, im Gleichgewicht zu halten."

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