Retrokolumne:Melancholisch flott

Jackie Shane, The Neccessaries, Professor Rhythm und die Antwort auf die Frage, wie man die Balance hält zwischen großen Pop-Momenten und stolzem Nerdtum.

Von Jan Kedves

Jackie

Endlich ist sie wieder da: die jahrzehntelang verschollene, von manchen längst tot geglaubte transsexuelle Diva des Rhythm & Blues, Jackie Shane! Tatsächlich wird "Any Other Way", das Album der 1940 in Nashville, Tennessee geborenen Sängerin, gerade überall gefeiert, und die Geschichte hinter diesen roh belassenen R&B-Songs und der androgynen Soul-Stimme ist sensationell. Jackie Shane kam nämlich als biologischer Junge auf die Welt, sie trat in den Sechzigern mit Make-up, Damenperücke und Glitzer-Oberteilen auf, sie war erfolgreich. Man dichtete ihr eine intime Nähe zu Little Richard an, einfach, weil der damals der einzige andere R&B-Star war, der das traditionelle Geschlechterverständnis irritierte. Den Begriff "Transgender" gab es noch lange nicht. Jackie Shane wurde bestaunt, und sie sagt, dass sie nie Gewalt oder Ausgrenzung erfahren habe. Das kann man sich kaum vorstellen, aber vielleicht lag es an dem unglaublichen Selbstbewusstsein, mit dem sie auftrat. Auf Youtube gibt es einen Clip von einem Fernsehauftritt aus dem Jahr 1965: Shane singt ihren sehr tight gerumpelten Song "Walking The Dog", komm ich zeig dir, wie man mit dem Hund Gassi geht. Die Single "Any Other Way" wurde dann 1967 zu einem Chart-Hit in Kanada, daraufhin waren die Labels Motown und Atlantic interessiert. Shane zeigte ihnen die kalte Schulter. Auch später, in den Siebzigern, als sie schon lange nicht mehr auftrat, schlug sie ein Angebot des Funk-Großmeisters George Clinton aus, in seinen Bands Parliament und Funkadelic mitzusingen. Ja, man kann vielleicht sagen, dass Jackie Shane, die sich heute als Frau, also als Transgender bezeichnet, in ihrer Karriere nicht immer die weisesten Entscheidungen getroffen hat. Umso schöner ist es, dass sie mit "Any Other Way" nun noch ihren Platz in der R&B-Historie bekommt. Dass sie mit 77 Jahren auch noch einmal auf die Bühne zurückkehren wird, ist aber unwahrscheinlich. Nicht einmal der Repräsentant des Labels Numero Group, das für die Wiederveröffentlichung verantwortlich ist, hat sie zu Gesicht bekommen. Er fuhr nach Nashville, um ihr den Vertrag zu überreichen. Sie öffnete die Tür aber nicht. Er schob ihn dann unter der Tür durch. Und er kam unterschrieben zurück.

Necessaries

Ebenfalls eine fantastische Wiederentdeckung ist das Album "Event Horizon" (Be With) der Band The Necessaries aus New York. Es erschien 1982 auf dem Label Sire, auf dem damals auch die Talking Heads veröffentlichten, und wenig später Madonna. Wir befinden uns also in der Downtown-Szene der frühen Achtziger, und ein bescheidener Held dieser Szene war der Produzent, Sänger und Cellist Arthur Russell. Er singt hier mit seiner wunderbar sanften Stimme, The Necessaries waren seine Band. Den Bass bediente Ernie Brooks, der sonst bei den Modern Lovers spielte, und am Schlagzeug saß Jesse Chamberlain, der zuvor bei Red Krayola getrommelt hatte. Ganz schön viele Legenden. Russell, der 1992 starb, wird heute vor allem für sein solistisches Werk verehrt, für schräge Disco-Songs wie "Go Bang", oder für seinen avantgardistischen Cello-Pop, den er raffiniert mit Hall überlagerte ("World Of Echo", 1986). Auf "Event Horizon" kann man nun hören, dass Russell Anfang der Achtziger auch astreinen New-Wave-Pop machte, manche würden sagen: Power-Pop. Allein der erste Track, "Rage", klingt wie eine Mischung aus den frühen The Cure und den nicht mehr ganz so frühen B-52's. Etwas düster, gleichzeitig flott gewippt, melodisch, melancholisch. Das gesamte Album hält elegant die Balance zwischen großen Pop-Momenten und stolzem Nerdtum. Es sollte nicht nur Arthur-Russell-Fans begeistern.

Professor Rhythm

Und noch eine Entdeckung aus Südafrika: Das Album "Bafana Bafana" (Awesome Tapes From Africa) macht die Tracks des Produzenten Thami Mdluli alias Professor Rhythm zugänglich, die dieser 1995 auf Kassette veröffentlichte. Das war in Südafrika damals das gängige Pop-Medium. "Bafana Bafana" enthält poppige Dance-Tracks und macht nachvollziehbar, wie sich in Johannesburg unter dem Einfluss der House-Music aus Chicago und New York der bis heute populäre Tanzmusikstil Kwaito entwickelte. Bei Professor Rhythm sticht dabei der typische Bass des Synthesizers Korg M 1 hervor, dieser superplastische Orgelsound, der in den Neunzigern auch hierzulande omnipräsent war, etwa in den Chart-Hits der Sängerin Robin S. Die sang darüber, dass man ihr die Liebe zeigen möge: "Show Me Love". Bei Professor Rhythm konnte es, zu fast denselben Sounds und Beats, auch mal um das Gegenteil gehen - nämlich darum, dass Frauen auf dem Dancefloor gerne unbehelligt bleiben würden: "Lass mich in Ruhe, ich will nicht mit dir tanzen", singt die weibliche Stimme im Track "Leave Me Alone". Grandios.

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