Retro-Königin Lana Del Rey:Lady Anti-Gaga

Auf den ersten Blick mag sie wie eine Anfängerin wirken - und doch steckt mehr dahinter: Lana Del Reys Songs spiegeln vage Erinnerungen an eine Welt, in der alles besser war. Und schöner. Kein Wunder, dass sie im Netz bereits als neue Retro-Königin gilt.

Annett Scheffel

Rosafarben, wie auf Fotos alter Polaroid-Kameras, ist der Himmel über Amerika in ihren Videos. Hollywood, Cadillacs und kalifornische Sonne. Bilder goldener Zeiten. Schau, wie schön Amerika einmal war, flüstern sie.

Retro-Königin Lana Del Rey: Einmal Milchshake, bitte! Retro-Träume mit Lana Del Rey.

Einmal Milchshake, bitte! Retro-Träume mit Lana Del Rey.

Mit ihrem Sixties-Soul besingt Lana Del Rey eine alte, eine bessere Welt. Mal ist sie treuliebendes Hausweibchen, das mit gekühlten Cocktails und Abendessen geduldig auf den Liebsten wartet: "I would wait a milion years"; mal spielt die das Bad Girl à la Bonnie Parker, mit gestohlenem Diamantenarmband und Schusswaffen-Fetisch: "It's kinda fun when I hit you in the back of the head with a gun". Und im nächsten Song wird sie zum Trailerpark-Mädchen, mit Videospielen, Bierdosen und durchzechten Nächten auf dem Schoß des Liebsten. Ich bin das alles zusammen, möchte die 24-Jährige uns glauben machen: Nicht mehr oder weniger als der amerikanische Traum in Person.

Diese widersprüchlichen Rollenspiele bleiben vorerst das einzige, was man erfährt. Denn Del Rey - eigentlich Lizzy Grant, geboren im kleinen Wintersportort Lake Placid - macht sich rar und erregt doch einiges Aufsehen in den Online-Magazinen und Blogs auf beiden Seiten des Atlantiks. Lediglich einige YouTube-Videos sind seit August im Umlauf. Erst am 7. Oktober veröffentlichte die Amerikanerin mit der Doppel-A-Seite "Video Games/Blue Jeans" ihre Debütsingle. Bis auf ein geheimes Konzert in einer Galerie in Brooklyn sind auch Liveauftritte bisher dünn gesät.

Die Blogosphäre bejubelt sie als Gegenentwurf zu Kunstfiguren wie Lady Gaga. Lana Del Rey wirkt auf den ersten Blick wie eine blutige, wenn auch talentierte Anfängerin: Ihre Videoclips sind selbst zusammengeschnittene Filmchen aus YouTube-Schnipseln. Eingestreut sind Webcam-Aufnahmen einer schmollmündigen Schönheit, die in Heimatmosphäre ihre Songtexte in die Kamera haucht. Die Pose ist überdeutlich: Authentizität durch DIY-Ästhetik.

Doch tatsächlich ist die Sängerin alles andere als Dilettantin. Hinter ihr stehen steht ein ganzes Team professioneller Produzenten: Eg White, der schon Adele und Duffy zum Durchbruch verhalf, Guy Chambers und die Newcomer Robopop. Dass es nicht nur Tonträger zu verkaufen gilt, sondern vor allem Fantasien und Traumbilder, wissen diese Produzenten ebenso gut wie Del Rey selbst.

In Zeiten der Krise gerät Nostalgie zur Obsession, das weiß Lana Del Rey. Für diese Sehnsucht nach Vergangenheit will sie Spiegel sein. Ihre Bilder flüchten sich an den Sehnsuchtsort eines "Everything's Possible". Sonnige Palmenpromenaden, der Hollywood-Schriftzug, Stars der goldenen Kinoära im Blitzlichtgewitter - Erinnerungsfetzten eines kollektiven Gedächtnisses, aus dem sich die Sängerin großzügig bedient. Und so verschwimmen die Bilder wie vage Erinnerungen, die ihre Bedeutung verloren haben. Früher war alles besser. Schau, wie schön Amerika einmal war.

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