Residenz-Verlag:Unverschnupft

Der Verleger Jochen Jung erinnert sich an Begegnungen mit Autoren wie Peter Handke und Thomas Bernhard.

Von TOBIAS LEHMKUHL

Irgendwann wollten die Besitzer des Salzburger Residenz-Verlags Jochen Jung loswerden. Fast dreißig Jahre hatte er für das Haus gearbeitet, erst als Lektor, dann als Geschäftsführer. Statt aber verschnupft in Rente zu gehen, gründete Jung seinen eigenen Verlag und gewann gleich zweimal in drei Jahren mit Ursula Krechel und Melinda Nadj Abonji den Deutschen Buchpreis. Und nicht nur das, manche Entdeckung, manche Neuerscheinung dürfte selbst Verleger in größeren Häusern, als Residenz es ist, mit Neid erfüllt haben. Außerdem veröffentlichte Peter Handke nun das, was nicht bei Suhrkamp erscheinen sollte, sondern in Österreich, bei Jung und Jung, allem voran sein großes Weltreisebuch "Gestern unterwegs", aber auch die erstaunliche Traumsatz-Sammlung "Ein Jahr aus der Nacht gesprochen".

Mit Handke verbindet Jochen Jung eine lange Freundschaft, und so ist es nicht verwunderlich, dass in Jungs jetzt erschienenen Erinnerungen an Autoren Peter Handke neben Thomas Bernhard eine Hauptrolle spielt. Wobei Bernhard rätselhafter und unzugänglicher erscheint als der größere Sonderling. Eine Vielzahl weiterer, vornehmlich österreichischer Autoren hat in "Zwischen Ohlsdorf und Chaville" ihren Auftritt, sei es der zu heftigen Trinkattacken neigende Gert Jonke oder auch der "Schlanke, Hochgereckte, die Szene Bestimmende" H. C. Artmann (der allerdings, so Jung, in Gegenwart Handkes deutlich schwächelte). Am überraschendsten die Seiten über drei heute vergessene Autorinnen: Diana Kempff, Inge Merkel (die Jung aus Mexiko abholt) und Ingeborg Day.

Letztere, aus Graz gebürtig, war 1960 in die USA auswandert. 1983 erschien im Residenz-Verlag "Geisterwalzer", ihre Auseinandersetzung mit dem Nazi-Vater und dem eigenen Antisemitismus. Unter dem Pseudonym Elizabeth McNeill allerdings hatte sie zuvor den Roman "9½ Wochen" veröffentlicht, der zur Vorlage für den Skandalfilm mit Mickey Rourke werden sollte. "Eine schöne Frau mit scharfem Verstand", schreibt Jung, "sehr new yorkisch, und ich kam mir vorübergehend sehr salzburgisch, wenn nicht gar eckernförderisch vor." Mag der schleswig-holsteinische Geburtsort des Verlegers auch als provinziell gelten: Das Meer vor der Nase scheint den Horizont zu weiten.

Jochen Jung: Zwischen Ohlsdorf und Chaville. Die Dichter und ihr Geselle. Haymon Verlag, Innsbruck-Wien 2015. 176 Seiten, 17,90 Euro.

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