Reportage:Unheimlich

In Bangladesch werden Künstler mit Macheten ermordet. Reise in ein Land, das einem unsichtbaren Feind trotzt.

Von Arne Perras

Pervaj Rigan malt menschliche Körper. Nackte Körper. Ein Motiv, das die Kunst beschäftigt, seit es Kunst gibt. Rigan, der junge Maler, arbeitet im Jahr 2016 im südasiatischen Staat Bangladesch. Nicht dass er seine Werke versteckt hätte. Seine Gemälde waren gerade im Kulturinstitut Alliance Française in Dhaka zu sehen. Manche hat er auf Facebook gestellt. "Diese Bilder, das bin doch ich," sagt der Künstler. Aber dieses Ich hat nun Angst.

Ein Hausbesuch, irgendwo in Dhaka: Vor dem Wohnblock herrscht das übliche Getöse, die Gassen sind verstopft, Benzindunst mischt sich mit dem Gestank aus der Gosse. Rikschas und hupende Autos drängeln um jeden Zentimeter, fliegende Händler verkaufen Shampoos und Seife, am Straßenrand leuchtet das Rot der Melonen. Rigan wohnt und malt im sechsten Stock und sagt: "Ich fühle mich nicht sehr wohl, wenn ich jetzt rausgehe." Er fürchtet nicht das Gedränge vor dem Tor: "Es ist das Unsichtbare."

Kürzlich saß er hinten auf dem Motorrad, er fuhr zum Einkaufen. Und ertappte sich dabei, wie er sich immer wieder umdrehte, um zu sehen, ob da nicht jemand kommt. Von hinten, aus dem Nichts. Mit Paranoia hat das nichts zu tun. Dafür sind schon zu viele gestorben, am helllichten Tag, auf offener Straße. Zerhackt mit Dolchen und Macheten. Künstler, Intellektuelle, Freidenker: Sie alle blicken erschrocken auf einen gespenstischen Feind. Er hält sich im Verborgenen, bis er zuschlägt, plötzlich, grausam, präzise. Und die Wirkung bleibt nicht aus.

Zuerst hat es vor allem säkulare Blogger getroffen, die sich im mehrheitlich von Muslimen bevölkerten Bangladesch kritisch mit der Religion auseinandersetzten. Danach religiöse und sexuelle Minderheiten. Dutzende Menschen sind auf diese Weise gestorben, kürzlich sogar ein Professor, der nichts anderes tat, als die Musik zu lieben und zu fördern. Der Kreis, den die Angreifer ins Visier nehmen, wird immer größer. "Dies ist eine spektakuläre Attacke auf unsere Kultur", sagt ein Dichter.

"Es kann jeden treffen", sagt der Mäzen. "Aber vernichten können sie so viel Kreativität nicht."

Keiner weiß genau, wer die Täter sind, der Verdacht fällt immer wieder auf islamistische Terroristen, doch die Hintermänner bleiben im Dunkeln. Zu manchen Attentaten hat sich al-Qaida bekannt, zu anderen der sogenannte Islamische Staat (IS). Dabei versichert die Staatsmacht , dass es in Bangladesch keine der beiden Terrorgruppen gibt. Zuletzt sorgte der Innenminister für maximale Verwirrung, als er die Opposition beschuldigte, mit dem israelischen Geheimdienst zusammenzuarbeiten und eine "internationale Verschwörung" anprangerte. Alles zusammen verunsichert die Bevölkerung und nährt nur das Gefühl der Schutzlosigkeit.

Nun ist es nicht so, als ließen sich die Menschen in diesem Landstrich Asiens leicht unterkriegen. Sie kennen Gefahren, sie haben eine lange Militärdiktatur durchlitten und schließlich überwunden. Und sie sind daran gewöhnt, der Wucht ihres Wetters zu trotzen. Sie leben und überleben in einem riesigen Flussdelta, einer Welt zwischen Wasser und Land. Weil Fluten und Stürme Jahr für Jahr vieles wegspülen und fortwirbeln, ist das Leben ein ständiger Zyklus. Wer hier etwas für sein Leben aufbaut, rechnet damit, dass es wieder eingerissen werden kann. Und der Klimawandel hat alles noch komplizierter gemacht. Mit all diesen widrigen Kräften haben sich die Menschen arrangiert.

Protest over killing a publisher in Bangladesh

Schriftsteller und Kulturschaffende protestieren in Dhaka gegen die Gewalt.

(Foto: Abir Abdullah/dpa)

Aber dieser Gegner aus dem Nichts? Er hat nichts Schicksalhaftes, er tötet anders als die Natur. Er attackiert die bengalische Kultur in all ihrer Vielfalt. Zusammengebunden durch eine gemeinsame Sprache hat sie viele Ausdrucksformen gefunden: Tanz, Lyrik, Drama, Gesang. Und natürlich die Malerei. Einer der berühmtesten Vertreter ist SM Sultan, der sich für das einfache Leben zwischen den großen Flüssen interessierte. Sultan hat Bauern gemalt, geerdete Menschen bei schwerer Arbeit. Seine Figuren sind nicht schwach, hungernd, verzweifelt. Sultans Bauern sind muskulös, sie verkörpern Stärke und Vitalität.

In den Siebzigern malte er Männer und Frauen, die mit freiem Oberkörper zu sehen waren. Nackte Haut war damals kein Tabu. Heute sagt Rigan, sein junger Kollege: "Wir haben diese Tradition. Aber es ist viel schwieriger geworden, das zu zeigen." Und schwieriger, so zu malen. Männer, die dafür Modell stehen könnten? "Das wagt niemand, nicht einmal in meiner Wohnung". Frauen? Noch gefährlicher.

Also hat er nach Fotografien gemalt. Ohne Anleitung. Denn auch an der Akademie, wo er studierte, gibt es kein Aktzeichnen, Rigan hat es sich alleine beigebracht. Eines seiner Bilder heißt "The Beautiful Curse 3". Zwei Körper, Mann und Frau, Rücken an Rücken, kopfüber im Universum. "Zu leben ist sehr schön", sagt Rigan zu dem Bild, "aber es ist auch ein Fluch, weil wir so wenig über uns wissen. Wo wir herkommen.

Wohin die Reise geht." Manche sagen, die Kunst in Bangladesch befinde sich im Aufbruch. "Früher verkauften Künstler ihre Werke vor allem an Ausländer. Heute gibt es eine wachsende städtische Schicht, die einheimische Kunst schätzt, kauft und sammelt", beobachtet Philip Küppers, Leiter des Goethe-Instituts in Dhaka.

Andere ergänzen, die schöpferische Kraft könne man mit Gewalt niemals ersticken. Zu diesen Menschen gehört der Mäzen Abul Khair. Kaum einer dürfte so viel Geld in die Kulturförderung von Bangladesch gesteckt haben wie Abul Khair. Er ist wohlhabend, ein Unternehmer mit besten Kontakten, dennoch sagt er, dass er sich aus der Politik heraushält. Stattdessen engagiert er sich seit Jahren leidenschaftlich für Kunst. Khair und seine "Bengal Foundation" fördern den Kulturbetrieb in seiner vollen Breite, sie drucken Kataloge, betreiben eine Musikschule und mehrere Galerien, sie veranstalten Konzerte, sammeln einheimische Kunst, ebnen neuer Architektur den Weg. Wer Khair fragt, was die bengalische Kultur so wertvoll mache, bekommt eine ebenso einfache wie umfassende Antwort: "Jeder Mensch braucht Sinn für irgendetwas Feines, was immer es sein mag. Ansonsten kann er selbst kein feiner Mensch sein." Gefährdet die Gewalt der Machete das Erbe seiner Stiftung? Khair gibt keine direkte Antwort: "Wir müssen schon aufpassen. Es kann jeden treffen. Aber vernichten können sie so viel Kreativität nicht."

Wakilur Rahman gerät dennoch oft ins Grübeln. Er ist Maler und Bildhauer und lebte früher in Berlin. Was geschieht, wenn Künstler vorsichtig werden? "Censored Image" nennt er eine kleine Foto-Sammlung, das zensierte Bild. Ein zerwühltes Bett, das man nicht genau sehen kann, weil es im Kern unscharf ist. Eine Gesprächsrunde unter Freunden, die man nicht identifizieren kann, weil ihre Köpfe abgedeckt oder verpixelt sind. "Ich glaube, die Angst führt häufig zu Selbstzensur", sagt Rahman. Manche seiner Kollegen machen erst mal Pause, tauchen ab, warten auf bessere Zeiten. Wenn sie können, gehen sie ins Ausland.

Als Rahman noch in Berlin lebte, bekam er einmal einen Anruf von Radio Multikulti. Das Gespräch lief ungefähr so, erinnert sich Wakilur. Moderator: "Was sind Sie eigentlich?" - Rahman: "Wie meinen Sie das?" - "Ich meine in religiöser Hinsicht." - "Ich verstehe die Frage nicht ganz." - "Na, Hindu oder Moslem? Woran glauben Sie?" - "Ach so. Wenn Sie mich so fragen: Ich glaube an die Stiftung Warentest." Welchen Platz hat jemand, der so demonstrativ säkular ist, in einem zusehends religiösen Land wie Bangladesch?

Reportage: Der Maler Pervaj Rigan vor seinem Bild "The Beautiful Curse 3".

Der Maler Pervaj Rigan vor seinem Bild "The Beautiful Curse 3".

(Foto: Perr)

Und die Regierung? Schiebt die Schuld den Opfern zu. Beleidigt nicht religiöse Gefühle, sagt sie

Dort fragen sich viele Intellektuelle und Liberale heute, was eigentlich geworden ist aus ihrer Vision vom säkularen Staat. Im Befreiungskrieg von 1971 trennte sich Ostbengalen von Pakistan. Viele kämpften damals nicht nur für die Freiheit ihres Volkes, das seine eigene Sprache und seine Kultur durch die Pakistaner bedroht sah. Sie wollten auch einen säkularen Staat. Die heute regierende Awami League hat früher für all diese Ideale gekämpft, doch heute sind viele Anhänger enttäuscht.

Der Journalist und Poet Sajjad Sharif gibt eine Literaturbeilage für Prothom Alo heraus, die größte Tageszeitung im Land. Er sagt: "Die Position unseres Staates ist nicht mehr klar. Unser Islam ist traditionell ein synkretistischer Islam." Doch das gefällt den Hardlinern nicht. "Wir erleben einen Kampf um die Seele unseres Landes."

Die Geschichte lastet schwer auf dieser Seele, Kriegsverbrechen bleiben lange ungesühnt. Die Regierung hat erst 2009 ein Tribunal eingerichtet, um die Täter von 1971 zu richten, die damals als Verbündete Pakistans grausame Massaker begingen. Deren Führer wurden zum Tod verurteilt und aufgehängt, obgleich es viel internationale Kritik gab an den politisierten Prozessen. Exekutiert wurden auch Führer der religiösen Jamaat-Partei, die zur Opposition gehört. Manche vermuten deshalb, dass die jüngste Mordserie ein Rachefeldzug ist. Der Journalist Sharif glaubt allerdings, dass die Macheten-Mörder extremer sind als die islamistische Partei. "Wir haben es mit einer Radikalisierung zu tun, wie wir sie bis vor Kurzem gar nicht kannten."

Und die Reaktion der Regierung war in den Augen vieler Intellektueller eher seltsam. Anstatt die ersten Taten zu verfolgen, kritisierte sie die Opfer. Eine ihrer Botschaften lautete: Beleidigt nicht die religiösen Gefühle anderer. Eine andere: Homosexualität passt nicht zum Islam. Das klang, als seien die Regierenden der Meinung, die Opfer hätten an ihrem Tod selbst schuld.

Und die Schriftsteller, die Dichter, die Journalisten? Wie schlägt sich die Angst in ihrer Arbeit nieder? "Wir drehen jedes einzelne Wort hin und her und fragen uns: Geht das noch?", erzählt Sharif. Gerade lektoriert er einen futuristischen Roman. Darin wütet ein Philosophie-Freak als Serienmörder. Er nennt sich Ludwig Wittgenstein. Der Killer tötet Menschen als Kinder Gottes. Weil er eigentlich Gott selbst töten möchte.

Für Gott hat der Autor im Text das bengalische Wort "Ishwar" gewählt, was so viel wie "höheres Wesen" bedeutet. Würde er das Wort "Allah" einführen und noch dazu über den Islam schreiben, wäre die Geschichte schon ganz anders, sagt Sharif. Dann könnte er den Roman in diesem Land, in dieser Zeit, gar nicht drucken.

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