Afghanischer Künstler:Gerettet durch die Kunst

Afghanischer Künstler: Der afghanische Musiker Ahmad Shakib Pouya spielt in Zukunft in der Schauburg München.

Der afghanische Musiker Ahmad Shakib Pouya spielt in Zukunft in der Schauburg München.

Der afghanische Musiker Ahmad Shakib Pouya verließ Deutschland, um der Abschiebung zuvorzukommen. Nun kehrt er aus Kabul zurück - mit einem Visum und einem Engagement an einem Münchner Theater.

Von Egbert Tholl

Es sind betörende Klänge aus einem fernen Land, die einen hypnotischen Sog verursachen. Ahmad Shakib Pouya hat ein Lied geschrieben, es aufgenommen, ein Video produziert und dieses ins Internet gestellt. Das Video zeigt Taliban-Kämpfer, Explosionen, Krieg. Bilder aus Afghanistan, Pouyas Heimat. Den Text des Lieder kann man in Untertiteln lesen. Da stehen Sätze wie: "Die Religion von Taliban und IS ist Hass. Ihr Ziel ist Töten und Ausbeuten. In meiner Heimat herrscht Krieg."

Als Pouya vor ein, zwei Jahren dieses Lied schrieb, eines von vielen, lebte er in Deutschland und glaubte sich sicher. Als er vor 20 Jahren in Kabul begann, Harmonium zu spielen, für ihn ein Hauptinstrument der indisch-persischen Kunstmusik, musste er dies heimlich tun. Damals herrschten in Afghanistan die Taliban, und sie verboten Musik und Kunst. Erst als die Taliban vertrieben wurden, konnte er professionellen Unterricht nehmen. Aber dauerte nicht lange, dann kehrte der Krieg zurück und auch die Islamisten.

Ein Münchner Geiger sah ihn in einer Mozart-Inszenierung und begleitete ihn nach Afghanistan

Pouya war inzwischen im Fernsehen aufgetreten, arbeitete in einem französischen Krankenhaus, er war also Künstler, Intellektueller, er hatte Kontakt zu westlichen Ausländern - die Taliban warfen eine Bombe in das Haus seiner Familie, sein Vater starb. Und Pouya floh.

Das war 2009, er wollte nach Frankreich und dort als Zahnarzt arbeiten. Nach einer langen, verworrenen Flucht, über die er wenig erzählt, blieb er in Bayern hängen. Und blieb. Sechs Jahre.

In Augsburg lebte er mit einer Duldung in einem Flüchtlingsheim, half, das "Grandhotel Cosmopolis", einen interkulturellen Treffpunkt, aufzubauen, zog dort ein, übersetzte ehrenamtlich für Gerichte, Behörden und die IG Metall in Frankfurt. Pouya spricht sechs Sprachen, kann, wie viele Afghanen, Dialekte der jeweiligen Region zuordnen. Er fing an, Theater zu spielen, in kleinen, freien Produktionen, für die er keine Gage erhielt und auch nicht erhalten durfte, er war Rotkäppchen, aber ein afghanisches Rotkäppchen, im Grunde spielte er immer sich selbst, einen Flüchtling aus Kabul, gestrandet in Deutschland.

Dann bekam er den Abschiebebescheid

Das ging sechs Jahre gut, er fasste Zutrauen, nahm Videos auf, stieß auf den Verein "Zuflucht Kultur" von Cornelia Lanz, wirkte mit seiner Musik in zwei Opernaufführungen des Vereins mit. Dann bekam er den Abschiebebescheid.

Wer Deutschland freiwillig verlässt, kann in Kabul ein Visum für die Rückkehr beantragen. Wer abgeschoben wird, darf drei Jahre lang nicht zurück. Pouya beschloss, freiwillig auszureisen. Die Kunst rettete ihn, wenn auch nur für ein paar Wochen. Sein Mitwirken in der Produktion der Mozart-Oper "Zaide" verlängerte die Frist; aber nach der letzten Aufführung Mitte Januar stieg er in Frankfurt in das Flugzeug. Zu diesem Zeitpunkt war sein Fall schon prominent; Politiker wie die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth von den Grünen hatten sich für ihn eingesetzt, sein Fall war bei der Härtefallkommission angenommen, Zeitungen und Fernsehsender berichteten. Doch die Ausländerbehörde in Augsburg blieb hart.

Dann folgte die zweite Rettung durch die Kunst, und die war völlig bizarr. Albert Ginthör, Geiger im Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz, war auf die "Zaide" aufmerksam geworden und lud sie nach München ein. Als Orchestermusiker arbeitet er ständig mit Menschen verschiedener Herkunft zusammen. Er sah Pouya als Kollegen in Not und beschloss, ihn nach Kabul zu begleiten, wenn dieser Deutschland verlassen müsste. Was vielleicht zunächst nur als Druckmittel gedacht war, wurde Realität. Ginthörs Argument: "Wenn Afghanistan ein sicheres Herkunftsland ist, werden die Behörden für meine Sicherheit sorgen." Sein Beweggrund: "Wenn wir einen wie Pouya nicht integrieren, integrieren wir überhaupt keinen." Der Plan ging schief. Zunächst.

Zunächst kamen sie bei einem befreundeten Professor unter, ein paar Stunden, dann mussten sie dort weg. Nachbarn hatten den Westler beim Betreten des Mietshauses gesehen, und sie wussten, dass er ein ideales Ziel für die florierende Entführungsindustrie im Land abgab. Das Goethe-Institut Kabul vermittelte ein sicheres Hotel, angeblich das einzige in Kabul, auf das noch kein Anschlag verübt worden war. Ginthörs Foto zeigen den Hoteleingang, der aussieht wie der eines Bunkers, Maschinengewehrnester neben einem höhlenartigen Einlass, Scharfschützen auf dem Dach.

Ein Mal in den fünf Tagen seines Aufenthalts verließ Ginthör mit Pouya das Hotel im gepanzerten Wagen des Goethe-Instituts, fuhr mit ihm in die Deutsche Botschaft und erreichte dort doch den Zweck seines Besuchs: Der Botschafter übergab Pouyas Fall umgehend der Visa-Abteilung. Normalerweise wartet man auf so etwas sechs bis neun Monate. Ginthör flog nach Deutschland zurück, Pouya tauchte unter, hielt aber Kontakt zur Botschaft.

Sein Antrag auf ein Visum wurde abgelehnt

Sein erster Antrag auf ein Visum wurde abgelehnt - die IG Metall hatte Pouya ein Jobangebot unterbreitet, doch übersetzen können angeblich viele, dafür holt man keinen Künstler nach der Abschiebung aus Afghanistan zurück.

Als Arzt zu arbeiten kam auch nicht in Frage. Doch dann kam die dritte, die finale Rettung durch die Kunst. Pouya erhielt einen Künstlervertrag, drei Wochen später das Visum, ein Geschwindigkeitsrekord. Die Schauburg, das Theater der Jugend in München, engagierte Pouya für Fassbinders Stück "Angst essen Seele auf". Er soll darin den Ali spielen, im Film ein Marokkaner, den eine ältere Frau heiratet. Ein düsterer Film, der von Fremdenhass, extremer Ausgrenzung und auch erotischer Attraktion erzählt. Oder, wie Pouya es ausdrückt: "Ali ist nicht nur ein Opfer, er ist auch ein Arschloch."

Seit 27 Jahren leitet George Podt die Schauburg, für seine Fassbinder-Inszenierung engagierte er zum ersten Mal einen Schauspieler, den er vorher noch nie gesehen hatte. Podt, Holländer mit starkem, linken Erregungspotenzial, hatte schon einmal mit Fassbinder auf Politik reagiert: Als Teile der CDU mit dem Slogan "Inder statt Kinder" versuchten, Wahlkampf zu machen, brachte er "Katzelmacher" heraus.

Pouya weiß, wie viel Glück er hatte

Nun, nach der vierten Probe - Pouya kam vor einer Woche in Deutschland an - versucht Podt, Theater zu machen, während Fernsehsender, Zeitungen und Hilfsorganisationen an Pouya und dessen besonderem Fall zerren. Zugleich versucht er, aus ihm einen Schauspieler zu machen. Denn: Er will ihn nicht als Ahmad Shakib Pouya präsentieren, nicht die afghanische Herkunft betonen, weil er von dem Land ohnehin keine Ahnung habe. Pouya muss spielen, muss den Fremden verkörpern in einer Geschichte über Fremdenhass. Woher sein Ali letztlich kommen wird, ist noch nicht entschieden. Nur eines ist sicher: Auf der Bühne wird Ali stehen, gespielt von Ahmad Shakib Pouya.

Pouya weiß, wie viel Glück er hatte. Er hat sogar ein schlechtes Gewissen, wenn er an die vielen arbeitslosen Schauspieler in München denkt. Er weiß, dass er gut sein muss. Und er weiß auch, sollte nach Auslaufen des Stück-Vertrags - der geht bis zum 3. August - kein Folgeengagement kommen, muss er wieder zurück.

Es sei denn, er könnte die Frau heiraten, die in Frankfurt lebt, einen deutschen Pass hat und die er seit Jahren liebt. Aber auf die nötigen Papiere dafür wartet er auch schon genauso lang, Jahre.

Die 55 Tage in Kabul hatten für Pouya nur einen positiven Aspekt: Er traf nach acht Jahren seine Mutter wieder. Ihr erzählte er, dass er nun Theater spielen werde. Ihre Antwort: "Oh, toll, du spielst einen anderen. Und das auf Germanisch."

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