Reportage: Die Ein-Mann-Bank von Gammesfeld:Kampf der Raffeisenkasse

Die Essenz des Bankwesens: Einer hat Geld, der bringt es zur Bank. Einer braucht welches, der holt es sich ab. So und nicht anders operiert der einzige antikapitalistische Bankdirektor Deutschlands - sehr erfolgreich übrigens und ohne neumodischen Schnickschnack wie Fax oder Computer.

ALEX RÜHLE

Hinter dem japanischen Städtchen Rothenburg liegt einer der schönsten Flecken Deutschlands. Ruhig hügelt die Landschaft vor sich hin, die Luft riecht nach heißem Heu. Ringsherum hat der liebe Gott ein paar Kirchtürme gestreut; die Menschen haben verschalte Einfamilienhäuser danebengestellt. Der Dialekt, den man im Hohenlohischen spricht, passt zu dieser freundlichen Landschaft. Es klingt, als habe man ins Deutsche ein wenig Apfelmost geschüttet. Beschwingt und gutmütig reden sie in Gammesfeld von Herrn Vogt und ihrer Bank. Der Vogt ist ¸¸es Fritzle", die Bank ¸¸es Kässle". Stolz schwingt mit, wenn sie vom Kässle erzählen: Die kleinste Bank Deutschlands, das muss man erst mal schaffen. Vogt lacht in seinem Kontor: ¸¸Nicht dass Sie meinen, hier sei alles Idylle. Bei uns gehen Ehen zu Bruch, dass es nur so pfeift." Sein ganzer Körper wackelt beim Lachen, als fahre er mit dem Traktor über einen der Äcker ringsum.

Reportage: Die Ein-Mann-Bank von Gammesfeld: ¸¸Gehts heut ins Heu, Monika?" - ¸¸Wie läuft der neue Traktor?"

¸¸Gehts heut ins Heu, Monika?" - ¸¸Wie läuft der neue Traktor?"

(Foto: Foto: "Schotter wie Heu")

Arbeitstechnisch ist Fritz Vogt eine multiple Persönlichkeit. Und ein gelebter Synergieeffekt. Im Kässle stehen drei Schreibtische. ¸¸Hier sitzt die Sekretärin Vogt," sagt er, und zeigt auf den Tisch, auf dem eine alte schwere Schreibmaschine steht, Typ Erika. ¸¸Gegenüber arbeitet der Vorstand Fritz Vogt. Daneben wirkt unser Buchhalter Vogt. Und am Schalter können Sie beim Schalterbeamten ein Konto eröffnen." Der Schalterbeamte ist der redselige Fritz: ¸¸Ja Georg, immer rein mit dir." - ¸¸Gehts heut ins Heu, Monika?" - ¸¸Wie läuft der neue Traktor?"

In eines der Kundengespräche hinein klingelt das Telefon, ein grauer Apparat mit Wählscheibe. Ein Bankdirektor aus der Umgebung will Vogt besuchen. Vogt lehnt sich im Schleiflackambiente seines Kontors zurück und streicht sich übers schüttere Haar: ¸¸Warum wollen jetzt Sie mich kennen lernen?" Naja, sagt der Mann, Sie sind doch berühmt in der Bankenwelt. ¸¸Berühmt?" Vogt lacht. ¸¸Berühmt ist der Josef Ackermann. Ich bin nur berüchtigt."

Josef Ackermann kritisierte zu Beginn seines Prozesses die Anklage als grotesk und unberechtigt, um huldvoll zu schließen: ¸¸Gleichwohl stelle ich mich dem Verfahren." Gehorsam gegen das Gesetz ist eigentlich selbstverständlich. Ackermann verstand es für sich als freiwillige Leistung: Seht, ich bin aus den Frankfurter Türmen hinabgestiegen in die Ebenen eurer reformgestauten Gesetzgebung - hier stehe ich, ich könnte auch anders.

Fritz Vogt hatte ebenfalls Scherereien mit der Bundesrepublik. Ein Wandkalender erinnert daran. Den schenkte ihm seine Frau vor 14 Jahren, zum 60. Geburtstag, damals, als es so aussah, als müsste Vogt ins Gefängnis. Frau Vogt schrieb ihm Sinnsprüche auf, von Adenauer bis Albert Schweitzer. Am besten gefiel Vogt ein Satz von Brecht, der seither wie eine Überschrift über seiner Erika hängt: ¸¸Dass du dich wehren musst, wenn du nicht untergehen willst, wirst du doch einsehen." Vogt hat sich gewehrt.

Seit 1974 gilt hierzulande das Vier-Augen-Prinzip: Jede Bank muss zwei Geschäftsführer haben, die sich gegenseitig kontrollieren. Vogt sah das nicht ein, schließlich hatten schon sein Großvater und sein Vater die Bank allein betrieben. Ein zweiter Geschäftsführer kostet Geld, das Geld seiner Kunden. Die vertrauen Vogt. Das Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen entzog ihm 1984 die Bankerlaubnis. Vogt ging vor Gericht, es folgte der sechsjährige Rechtsstreit Gammesfeld gegen die Bundesrepublik. In der Zeit betrieb Vogt die Bank weiter. Hätte er den Prozess verloren, wäre er für mehrere Jahre ins Gefängnis gegangen. Am 23. August 1990 titelte die Lokalzeitung: ¸¸David gewinnt gegen Goliath."

Fritz Vogt wurde auf Raten berühmt. Erst der gewonnene Prozess. Mitte der Neunziger rollte dann die Fusionswelle übers Land. In den kleinen Instituten ging das große Wehklagen los. Trotzdem fusionierten alle anderen Dorfbanken der Umgebung ohne Widerspruch. Vogt aber wehrte sich erneut. Und leitet seither die kleinste Bank Deutschlands. Nur mit einer ratternden Thales-Rechenmaschine und Geduld und Spucke. Ohne Computer; ohne Geldautomat; ohne Kontodrucker: ¸¸Ich sehe ein, dass man in der Raumfahrt einen Computer braucht. Aber was in einer Bank abgeht, ist dermaßen einfach: Einer hat Geld, der bringt es zur Bank. Der andere braucht welches und holt es sich ab."

Und so wurde der einzige bekennende Antikapitalist unter Deutschlands Bankdirektoren zum Faktotum und Medienstar. Beckmann lud ihn ein. Wiltrud Baier und Sigrun Köhler drehten den wunderbaren Dokumentarfilm ¸¸Schotter wie Heu" über ihn (der im August im Münchner Werkstattkino zu sehen ist). Maischberger fragte in ihrer Sendung, ob sie ihn als Bankdirektor begrüßen dürfe. ¸¸Sie würden mich beleidigen. Ich bin Genossenschafter. Ein Direktor muss möglichst viel für sich und sein Unternehmen behalten. Friedrich Wilhelm Raiffeisen hat für seine Tätigkeit keinen Pfennig genommen." - Da ist er, der wichtigste Name im Leben von Fritz Vogt.

1845 gab es, verursacht durch mehrere Missernten, eine Hungersnot im Westerwald. Die Bauern wurden durch Wucherkredite bei großen Geldinstituten in den Ruin getrieben. ¸¸Heute sind die kleinen Leute dem Großkapital fast wieder so ausgeliefert wie damals", sagt Vogt. Er war selbst lange nebenher Landwirt, hatte Kühe, ein paar Felder. So wird er wissen, was er sagt, wenn er behauptet, das große Bauernsterben gehe erst los. 50 Kilometer weiter finden die Landwirte keine Pächter mehr, immer mehr Felder liegen brach. ¸¸Das kommt hier auch bald."

Raiffeisen gründete 1845 einen ¸¸Hilfsverein zur Unterstützung unbemittelter Landwirte". Daraus entstanden die genossenschaftlichen Darlehenskassen. Statt weiterhin grausame Kredite bei Wucherern aufzunehmen, taten sich die Bauern zusammen und organisierten ihren eigenen Kassen nach den Grundsätzen von Selbsthilfe und Selbstverantwortung. Vogts 600 Kunden bekommen heute drei Prozent Zinsen aufs Girokonto, bei Ackermanns Deutscher Bank kriegt man ein Sechstel davon. Für einen Kredit zahlt man vier Prozent, die Kontoführung ist kostenlos. Das geht eben nur, weil Vogt an allem Drumherum spart. Als er kürzlich in der Zentrale von Schwäbisch Hall eingeladen war, um in dem riesigen Glaspalast über die Raiffeisenidee heute zu sprechen, sagte er nur: ¸¸Wissen Sie, wessen Geld Sie da verbaut haben? Das ist geklautes Geld."

In ¸¸Schotter wie Heu", der im Herbst 2001 gefilmt wurde, wird Vogt von der aufgeregten Raiffeisen-Zentrale in Stuttgart angerufen: Nach dem 11. September habe man ihm doch einen Brief geschickt, mit der Aufforderung, zu prüfen, ob Taliban-Konten bei ihm eröffnet worden seien. Vogt sagt, er habe den Brief weggeschmissen. Die Empörung ist groß: Er solle sofort per Fax antworten, ob es unter seinen Kunden Taliban gebe. Vogt provozierend ruhig: ¸¸Ich hab" kein Fax." Dann eben per Mail. ¸¸Wenn ich kein Fax hab", hab ich doch erst recht kein Mail."

Taliban gab es keine. Dafür aber ein Einbrechertrio, das ihm kurz nach dem 11. September den Safe leer räumte. Die drei wurden erwischt und sitzen jetzt im Gefängnis. ¸¸Aber wissen Sie", sagt der Brechtleser Fritz Vogt, ¸¸was ist schon ein Bankräuber gegen einen Bankdirektor." Vogt wird bald 74. Er würde sich gerne zur Ruhe setzen. Aber es gibt so viel zu tun: Momentan liegt er mit dem Bundesamt für Finanzdienstleistungen im Clinch. Früher musste jede Bank jährlich 0,07 Prozent ihrer Bilanzsumme als Mitgliedsbeitrag zahlen. Das war schmerzhaft für die großen Institute. Vogt musste für seine kleinste deutsche Bank 111 Euro überweisen. Im vergangenen Jahr wurden die Gebühren um 3000 Prozent erhöht: Künftig muss jede Bank, ganz egal wie viel sie umsetzt, einen Grundbetrag von 4000 Euro zahlen. Das kommt den Großen zugute. Vogt weigert sich. Es wird wieder zum Prozess kommen. Gegen den Einwand, die Prozesskosten würden sicher höher ausfallen als das, was er eventuell einspare, sagt Vogt: ¸¸Egal. Es geht ums Prinzip."

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