Reportage:Das Dorf

Lesezeit: 7 min

Im russischen Sakulino leben nur noch zwei Menschen, Polina und Sascha. Über Putin sprechen sie nie. Eher schon über Rattengift. Oder Traktoren. Oder Elstern.

Von Tim Neshitov

Vor einigen Jahren wurde die russische Polizei umbenannt. Sie hieß früher "milizija", was bei Nichtrussen Unbehagen hervorrief. Nun heißt sie "polizija", was wiederum bei älteren Russen unangenehme Erinnerungen wachruft, denn "Politsaj" wurden einst Schergen der SS und deren Kollaborateure in den besetzten Gebieten genannt. Im Westen und Süden Russlands leben noch Menschen, die als Kind den Krieg überlebten und bei dem Wort Polizei zusammenzucken. Es ist die Generation, die von "dem Deutschen" spricht. Der Deutsche hängte meine Mutter auf, der Deutsche schenkte mir eine Zigarette. Aus dieser Generation kommen die einzigen Menschen, die überhaupt noch in den russischen Dörfern leben wollen. Die Jungen ziehen weg wegen Urbanisierung und Globalisierung beziehungsweise weil das russische Dorf einfach ausstirbt, unwiederbringlich und unaufhaltsam, als wäre's ein von Newton übersehenes Naturgesetz.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: