Religionsfreiheit für Muslime:Minarette als Raketen

Feinde der Meinungsfreiheit und Frauenunterdrücker, so werden Muslime in der Radikalkritik dargestellt. Falsch. Ein Plädoyer gegen die Einschränkung der Religionsfreiheit.

Lothar Müller

Zum Erbe der westeuropäischen Aufklärung gehört sowohl die radikale Religionskritik wie die Ausweitung der Religionsfreiheit. Für die radikale Religionskritik steht Voltaire mit seinem Misstrauen gegen den Aberglauben des Pöbels wie mit seinen Polemiken gegen Juden, Mohammedaner und Katholizismus. Für die Ausweitung der Religionsfreiheit über die Toleranz-Bestimmungen des Westfälischen Friedens von 1648 hinaus steht hierzulande Gotthold Ephraim Lessing.

Religionsfreiheit für Muslime: Gegenüber den gesetzestreuen Muslimen der Schweiz war das Abstimmungsergebnis des Minarettverbotes nichts anderes als eine präventive Kassierung der Religionsfreiheit durch die Mobilisierung eines Verdachts.

Gegenüber den gesetzestreuen Muslimen der Schweiz war das Abstimmungsergebnis des Minarettverbotes nichts anderes als eine präventive Kassierung der Religionsfreiheit durch die Mobilisierung eines Verdachts.

(Foto: Foto: ddp)

Als im Oktober 1781, wenige Monate nach Lessings Tod, Kaiser Joseph II. das sogenannte "Toleranz-Edikt" erließ, schrieb Moses Mendelssohn in der Vorrede seiner Neuausgabe der Schrift "Rettung der Juden" (1656) des Amsterdamer Rabbiners Manasseh ben Israel: "Was aber auch über Toleranz bisher geschrieben und gestritten ward, ging bloß auf die drei im römischen Reiche begünstigten Religionsparteien und höchstens auf einige Nebenzweige derselben. An Heiden, Juden, Mahomedaner und Anhänger der natürlichen Religion ward entweder gar nicht oder höchstens nur in der Absicht gedacht, um die Gründe für die Toleranz problematischer zu machen."

Die drei Hauptkonfessionen, deren Ansprüche 1648 anerkannt worden waren, waren die der innerchristlichen Religionskämpfe: die römisch-katholische, die lutherische und die reformierte. In Lessings "Nathan der Weise" trat an deren Stelle die Trias der monotheistischen Religionen Christentum, Judentum und Islam. Und in den "Fragmenten des Wolfenbüttelschen Ungenannten", die Lessing aus dem Nachlass des Hamburger Orientalisten Hermann Samuel Reimarus herausgab, trat der Ausweitung des Toleranzbegriffs die radikale Bibelkritik an die Seite.

"Asymmetrie der Verbote für Religionen im Orient und Okzident"

Damit war das Spektrum komplett, das Mendelssohn unter ausdrücklicher Würdigung seines verstorbenen Freundes Lessing als das der Zukunft annoncierte: Heiden, Juden, Mahomedaner und Anhänger der natürlichen Religion sollten künftig gemeinsam mit den Konfessionen der Christenheit vom Toleranzgebot geschützt werden.

Die von Mendelssohn am Ende des Alten Reiches ins Auge gefasste Konstellation ist die unserer deutschen Gegenwart. In ihr ist der säkulare liberale Rechtsstaat religiös neutral, ohne religionsfeindlich zu sein. Er erkennt die Ansprüche der Religionsgemeinschaften an und verpflichtet sie zugleich auf das säkulare Recht. Er könnte, wenn er wollte, einen muslimischen Feiertag als Ergänzung zu denen der christlichen Konfessionen einführen.

Und er muss, um das Recht auf Menschenwürde zu wahren, Zwangsheiraten unter Strafandrohung stellen, gleichviel, ob er damit islamische Zuwanderer aus der Türkei, buddhistisch-hinduistische aus Sri Lanka oder christliche aus Süditalien trifft - oder einen Heiden. Er tut dies in - freilich divergierenden - Gesetzesinitiativen aller im Bundestag vertretenen Parteien. Und er tut es, ohne für eine Religionsgemeinschaft, zu der sich ein Täter bekennt, die Religionsfreiheit aufzuheben.

Eben dies aber ist in Deutschland wie in vielen anderen westeuropäischen Staaten derzeit nicht mehr Konsens. Nach dem 11. September 2001, und aktuell nach Anschlägen wie dem eines Muslims auf den Zeichner der 2005 von einer dänischen Zeitung gedruckten Mohammed-Karikaturen, beginnt die Einheit von Religionskritik und Religionsfreiheit zu zerfallen.

Als die Schweizer Bürger im November mehrheitlich für die Aufnahme eines Minarettverbotes in die Verfassung ihres Landes entschieden, begrüßte der Publizist Henryk M. Broder das Abstimmungsergebnis mit dem Argument, es werde dadurch keineswegs die Religionsfreiheit eingeschränkt, sondern lediglich der "Asymmetrie der Verbote für Religionen im Orient und Okzident" Rechnung getragen. Er ließ in vielen weiteren Äußerungen keinen Zweifel daran, wie dies zu verstehen sei: die westeuropäischen Gesellschaften sollten sich im Maß ihrer Liberalität gegenüber den eingewanderten muslimischen Minderheiten vom Grad der Religionsfreiheit gegenüber den christlichen oder jüdischen Minderheiten in arabisch-islamischen Ländern abhängig machen.

Die Formel hinter diesem eigentümlichen Junktim lautet: Keine Toleranz gegenüber den Intoleranten. Sie ist plausibel im Blick auf Fanatiker wie den Attentäter, der nach Dänemark reist, um dem Urheber der Mohammed-Karikaturen den Garaus zu machen. Und er wird ja auch nicht toleriert, er wird abgeurteilt. Die Formel ist aber nicht plausibel gegenüber den in der Schweiz lebenden Muslimen, die sich an die dort geltenden Gesetze halten und gern ihren Gottesdienst in einer Moschee mit Minarett abhalten würden. Es ist - da beißt die Maus keinen Faden ab - eine Einschränkung der Religionsfreiheit, ihnen dies per Verfassung zu untersagen.

Lesen Sie auf Seite 2, warum nach Meinung der Islamkritiker, die dritte totalitäre Bedrohung der Menschheit der Islam sei.

Die radikale Religionskritik des Islam

Gegenüber den gesetzestreuen Muslimen der Schweiz war das Abstimmungsergebnis nichts anderes als eine präventive Kassierung der Religionsfreiheit durch die Mobilisierung des Verdachts, es könnten aus ihrer Mitte Attentäter wie der in Dänemark agierende hervorgehen. Die Plakate, die für das Verbot warben, gestalteten in diesem Sinne die Minarette als drohend aufragende Raketen.

Es wurde damit ein Generalverdacht bebildert. In der 2007 im Internetforum Perlentaucher geführten und von Thierry Chervel in dem Band "Islam in Europa"(Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2007) dokumentierten Debatte war dieser Verdacht, etwa in den Beiträgen von Pascal Bruckner, allgegenwärtig. Er besagt, dass vom Islam aus prinzipiell kein Weg in den liberalen Rechtsstaat führt, dass der Islam vielmehr so sehr ein System der Unterdrückung von Freiheitsrechten, der Intoleranz und Gewalt sei, dass er diese Merkmale nur um den Preis der Selbstaufgabe verlieren könne.

Die radikale Religionskritik des Islam führt, bei Pascal Bruckner wie bei Ayaan Hirsi Ali, zu der These, die dritte totalitäre Bedrohung der Menschheit nach dem Kommunismus und dem Nationalsozialismus sei der Islam. So gesehen kann er die Religionsfreiheit nicht für sich in Anspruch nehmen, weil er keine Religion ist, sondern lediglich eine "politische Religion" von der Art, wie sie Eric Voegelin oder auch Raymond Aron in den totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts sahen.

So verständlich es ist, wenn Frauen wie die Somalierin Ayaan Hirsi Ali, dem repressiven islamischen Regiment ihrer Herkunftswelt entkommen, dem Islam insgesamt den Religionscharakter rundweg absprechen, so sehr bedürfen die westeuropäischen Länder nach wie vor der alten Einheit von Religionskritik und Religionsfreiheit auch im Blick auf den Islam. Noch unmittelbar nach dem 11. September 2001 war die Einsicht bei liberalen Intellektuellen lebendig: Wir werden sie durch unsere Toleranz besiegen. Das war auch damals nicht Feigheit oder ein Freibrief für militante Intoleranz.

Denn die Religionsfreiheit hat die Absolutheitsansprüche der monotheistischen Offenbarungsreligionen abschleifen geholfen. Und gibt es nicht, da ja alle Religionen Voltaire überlebt haben, nach wie vor auch christlichen Fundamentalismus und jüdischen Gesetzes-Fanatismus? Die Pointe in Lessings Ringparabel, zu deren historischer Fiktion es gehört, dass sie während des Dritten Kreuzzuges erzählt wird, war keineswegs nur das Vertrauen in den humanen Kern der Religionen, sondern der Zeitgewinn, der mit der Suspendierung der Wahrheitsfrage verbunden war.

In dem Maße, in dem der Islam nicht mehr als über 1200 Jahre alter Gottesglaube, sondern nur noch als "System" unauflöslicher Verzahnung von Politik und Religion in einem neuen Totalitarismus wahrgenommen wird, kann das Beharren auf dem doppelten Erbe der Aufklärung als neue Appeasement-Politik kulturrelativistischer Verräter der Aufklärung denunziert werden. In jedem Muslim lauert dann ein potentieller Frauenunterdrücker, Meinungsfreiheitsfeind und Fanatiker, gegen den sich die liberale Demokratie nur durch präventiven Entzug der Religionsfreiheit verteidigen lässt.

An der Radikalkritik des Islam irritiert zum einen, dass sie die Instrumente der Religionskritik selektiv handhabt. Ayaan Hirsi Ali verteidigte im Blick auf Salman Rushdies "Satanische Verse" und die dänischen Mohammed-Karikaturen "das Recht zu beleidigen". Ihre Mitstreiterin Necla Kelek hingegen stellte sich öffentlich an die Seite der christlichen Würdenträger, die nicht gemeinsam mit dem in Deutschland lebenden muslimischen Autor Navid Kermani den Hessischen Staatspreis entgegennehmen wollten, und warf ihm vor, er habe es in seinen Reflexionen über christliche Gemälde in Rom an Respekt gegenüber der Jungfrau Maria und den christlichen Nonnen fehlen lassen.

Man muss die von ihr dokumentierten Übergriffe islamischer Männer gegen ihre Frauen und Töchter abscheulich finden und kann dennoch von dieser Rigorosität gegenüber einem muslimischen Autor befremdet sein, der in seinen Schriften über das Leben als Muslim in Deutschland wie über die politische Opposition in Iran das doppelte Erbe der Aufklärung antritt. Ohne das Bündnis mit Muslimen gibt es im Westen keine Religionsfreiheit, die diesen Namen verdient.

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