Religion:Ein Rebell

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Andy Warhols Siebdruck "Eggs" mit bunten eierartigen Formen. (Foto: bpk/Andy Warhol Foundation/ARS New York 2017)

Das Leben Luthers jenseits von Mythen erzählen Christian Nürnberger und Petra Gerster in einer Sprache, die Jugendliche und Erwachsene anspricht. Aufschlussreich sind die religiösen Bezüge zu Philosophen der Gegenwart.

Von Jonathan Horstmann

Auf der Suche nach dem Menschen Martin Luther muss man sich durch einen Dschungel von Legenden kämpfen. Einige davon hat Luther selbst in die Welt gesetzt. Zum Beispiel, wie er der heiligen Anna im Alter von 21 Jahren ein Leben als Mönch gelobte, nachdem er nur knapp einen Blitzeinschlag überlebt hatte. Die Geschichte, wie er einige Jahre später angeblich seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel an die Tür der Wittenberger Schlosskirche nagelte, geht hingegen auf das Konto seiner Anhänger. Sie gab ein schönes Sinnbild für die Durchschlagskraft des späteren Kirchenreformators ab. So wie auch der ihm wohl ebenfalls angedichtete Spruch "Hier stehe ich, ich kann nicht anders" auf dem Reichstag zu Worms. Mehr als es jemandem recht sein konnte, der selbst gegen Heiligenverehrung und Personenkult ins Feld zog, wurde Luther schon zu Lebzeiten verklärt, und viele der Mythen haben sich gehalten.

Zum Reformationsjubiläum 2017 gilt es also, neu zwischen Dichtung und Wahrheit zu unterscheiden. Dieser Aufgabe fühlen sich die Journalisten Christian Nürnberger und Petra Gerster verpflichtet, die ausdrücklich zu diesem Anlass ein Buch über Luther und die Reformation herausbringen. Unter dem märchenhaften Titel "Der rebellische Mönch, die entlaufene Nonne und der größte Bestseller aller Zeiten" erzählen sie darin in so unorthodox-salopper Sprache, wie Luther selbst sie oft benutzte, was sich nach aktuellem Forschungsstand über den Rebellen und Bibelübersetzer sagen lässt. Vor allem sein immenses schriftstellerisches Werk wird von den Autoren gewürdigt, von seinen ersten Pamphleten gegen den Papst bis zu den systematischen Theologieschriften.

Dass die Autoren Luther dabei etwas geringschätzig als jemanden bezeichnen, der die Welt "zutextete", gehört zu ihrem Schreibstil, der jugendliche Leser ansprechen will. Mit einiger Berechtigung, denn viele Teenager werden das Buch möglicherweise in Zukunft als Konfirmationsgeschenk auspacken. Sie können sich den von Luther verteufelten Ablasshandel dann als "Vollkaskoversicherung" der Gnade Gottes erklären lassen. Oder sich das Heilige Römische Reich des 16. Jahrhunderts als ein in puncto Korruption mit "der Fifa" vergleichbares System vorstellen. Abgesehen davon, dass die Vergleichsfreudigkeit öfters über die Stränge schlägt, hat dieser Tonfall etwas Erfrischendes. Das Buch liest sich so zackig, dass auch Erwachsene es als "Schnelldurchlauf" heranziehen können, um kurzweilig ihr Wissen aufzufrischen. Auf seinen 200 Seiten geht der Text kaum in die Tiefe, streift oberflächlich aber erstaunlich viele Details aus Luthers Gedankenwelt und Leben. Ein abschließendes, nicht allzu ausuferndes Verzeichnis weist Literaturquellen aus.

Besonders aufschlussreich sind die Autoren, wenn sie ihren Protagonisten in Bezug zu anderen Denkern der Moderne setzen. Sigmund Freud etwa, mit dem Luther sich über die böse Grundnatur des Menschen einig gewesen wäre. Oder Rudolf Bultmann, von dessen Theologie Nürnberger sich zu einer persönlichen These verleiten lässt: Die protestantische Religion sei im heutigen Pluralismus attraktiver denn je, da ihre Mitglieder "zwar an eine gemeinsame Wahrheit glauben, aber den Versuch unterlassen, diese Wahrheit zu fixieren". Ob Luther dieser Einschätzung zugestimmt hätte? Bei ihm wäre sie wahrscheinlich vorsichtiger ausgefallen: Religiöse Dogmen können nur das Resultat, nicht aber die Vorwegnahme einer Wahrheitssuche sein

Christian Nürnberger, Petra Gerster : Der rebellische Mönch, die entlaufene Nonne und der größte Bestseller aller Zeiten. Martin Luther. Gabriel Verlag, Stuttgart 2016. 208 Seiten, 14,99 Euro.

© SZ vom 12.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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