Reiseführer "Rumgurken":Mal schauen, was da so passiert

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Warum macht denn keiner mal Urlaub in Aserbaidschan oder Nordfinnland und berichtet uns von dort? Tex Rubinowitz hat nun einen etwas anderen Reiseführer geschrieben. "Rumgurken" ist auch humoristisch Randgebiet.

Alex Rühle

In den meisten Bundesländern trudeln die Menschen ja mittlerweile wieder aus den Sommerferien ein. Nur in Bayern beginnt die große Sommerreisezeit originellerweise erst kurz vor dem Oktoberfest. Was aber fangen die Bayern mit diesem Existenzbonus an? Nichts. Sie fahren einfach beinhart alle in genau dieselben vier oder fünf Gegenden, in denen die anderen auch schon waren, obwohl es doch auf Gottes weitem Erdenrund insgesamt 193 Staaten gibt, und da sind Gebilde wie Transnistrien, die Cookinseln oder Abchasien noch gar nicht mitgerechnet, weil es da jeweils irgendwelche kniffligen völkerrechtlichen Querelen gibt.

Ein glücklicher Mensch mit einer großen Portion Neugier im Daseinsportfolio: Tex Rubinowitz in Bhutan.  (Foto: oh)

Abchasien aber tut hier nichts zur Sache, weil die Leute für ihre Standardreisen ja eh wieder nur Reiseführer über Italien, Spanien, Frankreich kaufen, über Länder also, die zwar völkerrechtlich eins a dastehen, aber mittlerweile wirklich genug bereist wurden. Warum macht denn keiner mal Urlaub in Aserbaidschan oder Nordfinnland und berichtet uns von dort?

Nun macht Tex Rubinowitz keinen Urlaub im Sinne von: Im Büro, da gehe ich vollkommen sinnloser Arbeit nach, und mein Alltag muffelt längst wie ein alter Teppich in einem dieser italienischen Autobahnhotels aus den siebziger Jahren; im Urlaub aber, da bin ich endlich vier Wochen intensiv bei mir, vulgo hau mich in den Liegestuhl und amorphel vor mich hin.

Alles passt so gut zusammen

Tex Rubinowitz ist, soweit wir das aus der Ferne konstatieren dürfen, ohnehin die meiste Zeit über intensiv bei sich, hat also Urlaub im Sinne der betäubenden Lebensunglücksverdrängung überhaupt nicht nötig. Er verbringt diese seine Zeit damit, witzige Karikaturen zu zeichnen, funkelnde Texte zu schreiben und als Sänger der Band Mäuse aufzutreten. Ferner betreut er so liebevoll wie pflichtbewusst die Internetseite "Höfliche Paparazzi" und - um es kurz zu machen - ist anscheinend ein glücklicher Mensch, dem Gott auch noch eine große Portion Reiselust und vorbehaltlose Neugier ins Daseinsportfolio gesteckt hat. Darüber hat er nun ein Buch geschrieben.

Seinen Reisen eignet nichts Strammes, Effizientes, Baedekerhaftes, nie marschiert er auch nur ansatzweise in medias res, eher gurkt Rubinowitz entlang der Länderränder und schaut dann mal, was da jeweils so passiert. In Helsinki treffen wir ihn weder im weltbekannten Jugendstilviertel noch vor einem der noch viel weltbekannteren Alvar-Aalto-Gebäude, sondern an einem Tisch des Ravintola Sea Horse, eines Lokals, das "wie kein zweites all das verkörpert, was Finnland ausmacht. Diese Mischung aus dunstiger Melancholie und Demutskapitulation, alles passt so gut zusammen: die Einrichtung, das Personal, die Sitzkoben, das unterseeische Zwielicht, die sedierten Gäste, das wunderschöne Seepferdchenfresko an der Wand, eine kokonartige Einheit forcierten Bremsens. Keine Frage: der Vorhof zum Paradies".

Mit am Tisch sitzt sein Freund Momus, eigentlich Nicholas Currie, ein schottischer Musiker, der in Osaka lebt und nur noch ein Auge hat, weil ihm beim Reinigen seiner Kontaktlinsen mit griechischem Leitungswasser Parasiten zwischen Auge und Linse schlüpften und . . . Wie? Sie sagen, das hat doch alles nichts mit Finnland zu tun? Tja nun, in dem Fall müssen Sie doch eher baedekern, schnurstracks die Ravintola-Sea-Horse-Bar verlassen und in Richtung Stadtzentrum, Historie, Wikipedia streben.

Schade nur, dass sie dann verpassen, wie Rubinowitz und sein Freund baltische Heringe verzehren, mit Dill oben drauf, "denn ohne Dill geht in Finnland natürlich absolut gar nichts, Dill, die Posaune unter den Kräutern" und - nein, das ist langweilig, wenn man hier aufzählt, wie Wittgenstein und der Soziolinguist Mauri Antero Numminen und Thomas Bernhard . . . Und, ah, doch, Herman Walentin Schalin, den Erbauer des Lokals, den wenigstens muss man noch erwähnen, führte der doch stets ein geladenes Gewehr mit sich und verbot seinen Kindern, mit ihm zu sprechen.

Behauptet jedenfalls Rubinowitz, dessen Synapsen man sich als neurologischer Laie vielleicht am ehesten als luftschlangenartiges Happening vorstellen darf und die dazugehörige Hirnflüssigkeit als eine Art Sprudelwasser: So wie er querfeldein durch die Welt reist, Bhutan, Aserbaidschan, Usbekistan, Klagenfurt, assoziiert er sich in seinen Texten in wild mäandernden Schleifen durchs Unterholz der Kulturgeschichte. Ja, er ist ein derart begnadeter Schwadronierer, dass man ihm auch den Satz abnimmt, er rede bis heute gerne mit Bäumen.

Man meint, Parzival sei mit Interrail unterwegs

Alltagspraktische Dinge sind ihm vielleicht nicht ganz und gar fremd, er interessiert sich aber beeindruckend wenig für gängige Reiseaccessoires wie Landkarten, Hotelreservierungen oder einen gut sortierten Koffer. So ahnt man als Leser sehr früh, dass einer, der nur bewehrt mit einer Aktentasche mit losem Henkel nach Nordfinnland reist, zum Filmfestival der Kaurismäkibrüder, irgendwann in die Bredouille geraten wird. Aber selbst, wenn er dann drinsteckt, in der übelsten aller Bredouillen, in Budapest, ohne Geld, bleibt er immer von derart einnehmender Freundlichkeit und Herzensgüte, dass man meint, Parzival sei mit Interrail unterwegs. Alles Schlaumeiern ist ihm ein Graus, und Niedertracht ihm gegenüber empört ihn nicht, sondern macht ihn staunen.

Wenn er dann aber mal jemanden oder etwas nicht mag, dann so richtig und mit Schmackes: Oslo ist "scheußlich, völlig verbumfeit wie Duisburg oder Tiraspol", Porto hingegen "eine Stadt, die offenbar nur noch von Katzenpisse zusammengehalten wird". Und die Italiener "tragen alle das Gleiche, natürlich weil sie Angst haben aufzufallen. Trotzdem fahre ich immer gern nach Italien. Wenn man von vornherein weiß, wie lachhaft sie sind, kann es ja nicht schlimmer werden, und sie sind ja nur lachhaft wie schlechte Gaukler, die nicht richtig jonglieren können, sondern die Keulen ratlos in Händen halten, verrutscht grinsend, sie sind der "Pulce d'acqua" (Wasserfloh) aus dem gleichnamigen Lied Angelo Branduardis, na gut, das ist ja auch nicht nichts, aber auch nicht mehr."

Hier hat man den Rumgurker Rubinowitz in all seiner Pracht. Er fährt begeistert hin, obwohl er sich von diesem Ausflug gelinde gesagt sehr wenig erwartet. Er schafft es, ein abseitiges Lied der Popgeschichte sinnstiftend unterzubringen und er zitiert von ferne noch einen der eigenen Mäuse-Songs "Nichts ist besser als gar nichts", was ja unbedingt stimmt.

© SZ vom 21.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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