Regisseur Oskar Roehler:Schluss mit düster

Oskar Roehler

"Kino muss sinnlich sein": Oskar Roehler bei der Premiere von Quellen des Lebens.

(Foto: dpa)

Oskar Roehler, Regie-Alien des deutschen Kinos, verarbeitet seine Kindheit und Jugend in einem dreistündigen Erinnerungsmonster - und sich endlich getraut, offener mit seiner Vergangenheit umzugehen. Ein Treffen in einem Weinkeller.

Von David Steinitz

Der Mann, der seit Beginn seiner Regiekarriere unter Fassbinder-Verdacht gestellt wurde - was mal als Lob, mal als Beleidigung gemeint war - ist äußerlich ein kompletter Anti-Fassbinder: Oskar Roehler ist groß und schlaksig, trägt einen dunklen Anzug und eine riesige Nerdbrille, die er schon lange vor den Retro-Hipstern hatte. Durch die beäugt er jetzt neugierig seinen Gesprächspartner und sucht gleichzeitig das wuselige Hotel-Café auf mögliche Störquellen ab.

Bei wenigen Regisseuren ist die Autobiografie so eng mit den Filmen verbunden wie bei Roehler. Seine Geschichten sind ein wildes Mash-up aus Erinnerungen und Popkultur-Reverenzen, und gerade hat er dieses selbstsezierende Erzählprinzip auf die Spitze getrieben, indem er sich selber verfilmt hat: Vor knapp zwei Jahren ist sein Debütroman "Herkunft" erschienen, in dem er über drei Generationen hinweg seine verrückte Familiengeschichte erzählt, und prompt hat er ihn selbst verfilmt. Der Film läuft seit vergangener Woche unter dem Titel "Quellen des Lebens", eine Abrechnung mit sehr persönlichen und gleichzeitig prototypisch deutschen Dämonen. Und wie diese Dämonen seine komplette Filmografie beherrschen, das lässt sich natürlich am besten im Rahmen einer Roehler-Retro besprechen.

Saarbrücken im Januar ist ein ziemlich grauer Ort, dafür findet hier eines der buntesten deutschen Filmfestivals statt, der Max-Ophüls-Preis. Roehler ist in diesem Jahr Ehrengast mit einer Werkschau. Am Vorabend hat er noch im hübschen kleinen Arthouse-Kino "Camera Zwo" Anekdoten erzählt. Zum Beispiel, wie er für den fiesen kleinen Beziehungsfilm "Silvester Countdown" von 1997 bei Streits mit seiner damaligen Freundin immer schnell ins Nebenzimmer gerannt ist, um die derben Dialoge festzuhalten, die man sich als Paar im Streit so liefert.

Erst zögerlich und dann kaum zu stoppen, erzählt Roehler auch jetzt, zunächst aber ist Café-Flucht angesagt, hier ist es ihm zu laut. Also: Rückzug in den schummrigen Hotel-Weinkeller, wo es um die Mittagszeit totenstill ist und Roehler in Ruhe einen Kakao mit Schlagsahne löffeln kann, während er über die Frage nachdenkt, ob ihm als Regisseur die Bezeichnung Außenseiter immer noch so gut gefällt wie früher - tut sie natürlich. Zumindest in dieser Hinsicht fühlt er sich tatsächlich mit Fassbinder verbunden.

Roehler, der erst Drehbücher für Christoph Schlingensief schrieb, wurde von Mitte der Neunzigerjahre an im Kamikaze-Stil, unter Verzicht auf Drehgenehmigungen und Erzählkonventionen, zu einem grandiosen Regie-Alien. Er ist auch dann noch ein Außenseiter-Erzähler geblieben, als Budgets und Logistik seiner Filme immer größere Dimensionen annahmen.

Das Modell der dysfunktionalen Familie, das in Facetten immer auf seiner eigenen beruht, zieht sich wie ein roter Faden durch seine Filme, ganze Szenen wiederholt und variiert er, von "Die Unberührbare" über "Agnes und seine Brüder" bis zur Houellebecq-Verfilmung "Elementarteilchen". Und jetzt natürlich auch in seinem dreistündigen Erinnerungsmonster "Quellen des Lebens".

Roehler rechtfertigt den Film energisch, die Brille springt ein bisschen auf der Nase herum: "Ich werde immer gefragt: Wieso machst du nur Sachen über dich selber? Und dann sage ich: Weil das der Fundus jedes Erzählers ist! Die Kindheit, die Jugend, die erste große Liebe. Das hat nichts mit Egotrip zu tun, das ist die Wahrnehmung, durch die ich überhaupt erst in der Lage bin, Filme zu machen." Er haut mit beiden Handflächen auf den Tisch. "In Deutschland wird immer alles so abstrakt gemacht, aber Kino muss sinnlich sein! Ich setze mich doch nicht hin und schreibe einen Film: Dresden brennt. Und drum herum erfinde ich noch eine Krankenschwester und einen Piloten. Da schläft mir doch der Arsch ein!"

"Das Beste, was ich je für mich getan habe"

Und so erzählt Roehler in "Quellen des Lebens" in Dickens'scher Manier von Nazis, Wirtschaftswundlern und 68ern, indem er gnadenlos die kindliche und jugendliche Perspektive seines Protagonisten-Alter-Egos einnimmt, ohne historisch zu moralisieren. Roehlers Erinnerungen sind ein ideologisches wie geografisches Panorama der alten Bundesrepublik: Aufgewachsen ist er bei den Großeltern, erst väterlicherseits auf dem Land, dann mütterlicherseits in einer Villenfestung in Nürnberg, zwischendurch beim Vater im finsteren West-Berlin. Die Eltern, Mitglieder der Gruppe 47, sind, an- wie abwesend, zu den Dämonen geworden, mit denen er sein Leben lang gekämpft hat. Klaus Roehler konnte seine Schriftstellerkarriere nicht recht in Gang bringen, weshalb er sich unzufrieden als Lektor durchschlug, unter anderem von Günter Grass. Deshalb trägt der Sohn auch den Namen des "Blechtrommel"-Protagonisten. Unzufrieden vögelte der Vater Nacht für Nacht besoffen Barbekanntschaften, während der Sohn ins "Berliner Subproletariat" abrutschte.

Die Mutter war die Schriftstellerin Gisela Elsner, sie ließ ihn mit vollgeschissenen Windeln durch die Wohnung krabbeln, weil sie schreiben und nicht wickeln wollte. Äußerlich hatte sie etwas Dämonisches, mit der riesigen schwarzen Perücke und den schwarz überschminkten Augen, mit denen sie gegen die brave Adrettheit rebellierte, die ihr im Elternhaus aufgezwungen worden war. Szenen, die Roehler in "Quellen des Lebens" mit kindlichem Staunen als Groteske rekonstruiert.

Roehler löffelt Schlagsahne in seine Kakaotasse und erklärt, dass er sehr stolz ist auf den Film, aber: Die große Katharsis, das sei der Roman gewesen. "Das Buch ist das Beste, was ich je für mich getan habe - und überhaupt meiner Meinung nach je getan habe. Meine Eltern sind schon lange tot, ich hatte nicht mehr das Gefühl, beim Schreiben beobachtet zu werden. Hätte ich das in den Neunzigern gemacht, meine Mutter wäre wohl wie eine böse Fee über mir geschwebt." Vor über einem Jahrzehnt hat ihm diese Fee seinen großen Durchbruch beschert, mit dem Spielfilm "Die Unberührbare", in dem seine Mutter von Hannelore Elsner gespielt wird.

Erst nun hat er sich getraut, offener mit seiner Vergangenheit umzugehen. Komik ist ihm dabei wichtig, und die alten Ideologien sind eben auch sehr komisch. "Die Erinnerungsarbeit war eher wie eine Eisenbahnlandschaft, die an mir vorüberzieht, man schaut aus dem Fenster, mit einer gewissen Distanz und Friedfertigkeit."

Roehler ist vierundfünfzig, und der Erfolg des Romans war eine Genugtuung. Nicht nur wegen des inneren Friedens, sondern auch weil er ein Ausgleich für die Film-Flops war, die vorangingen, für die er sich das erste Mal deutlich von seiner Biografie entfernt hatte. 2009 ist er mit "Lulu und Jimmi" auf den Spuren von David Lynch gewandert, der Film war auch eine Reverenz ans amerikanische Kino der Fünfzigerjahre: an die Anarchie, das Einzelgängertum, die Familiengeschichten. Im Nachhinein ist Roehler nicht ganz zufrieden mit dem schrägbunten Spektakel. Aber: "Es war immerhin mal der Versuch, in Deutschland Genrekino zu machen."

Danach kam "Jud Süß - Film ohne Gewissen", über die Dreharbeiten zu Goebbels Prestigeprojekt, und für diesen Film hat Roehler 2010 weit mehr abbekommen als nur schlechte Kritiken. "Das war schon über die Harmlosigkeit hinaus, da kamen so viele persönliche Angriffe, dass ich mir dachte, oh mein Gott, was ist das denn jetzt für ein Wahnsinn. Dass ich angeblich 1987 irgendetwas gesagt hätte, was mich jetzt als das und das ausweist. Ich habe bei dem Film historisch ungenau gearbeitet, dafür kann man mich angreifen. Aber in dieser Internetblase wird dann ein Shitstorm losgetreten von Leuten, mit denen man nie etwas zu tun haben möchte."

Deshalb also jetzt mit "Quellen des Lebens" die Rückkehr in seinen vertrauten Erzählkosmos, bei dem er auch erst mal bleiben will. Als Nächstes steht ein "Punk-Ding" an, in freier Anknüpfung an die "Quellen", mit denselben Darstellern, die auch jetzt die Jugendlichen gespielt haben. "Mit den jungen Schauspielern zu arbeiten, hat viel Spaß gemacht, mit der Altersgruppe habe ich ja sonst nicht viel zu tun, weil ich keine Kinder habe."

Aber wenn die Dämonen durch das Buch und den Film ausgetrieben worden sind, was bedeutet das für den Selbstsezierer Roehler? Die Antwort kommt prompt, die Tasse ist ohnehin leergelöffelt. "Düster ist vorbei, das geht nicht mehr, das passt nicht mehr in mein Lebenskonzept."

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