Regisseur John Hillcoat:"Amerika glaubt, es sei unbesiegbar"

Der australische Regisseur John Hillcott äußert sich über seinen Film Lawless

John Hillcoat: "Gewalt ist ein großer Teil der Gesellschaft und des Lebens, weswegen ich sie erforschen will."

(Foto: Koch Media)

Als Australier ist Regisseur John Hillcoat ein unerbittlicher Beobachter der Vereinigten Staaten. Für das Prohibitions-Epos "Lawless" mit Jessica Chastain und Shia LaBeouf, das in Deutschland nur auf DVD erscheint, wählte er eine der blutigsten Epochen in der Geschichte der USA. Ein Gespräch über Amokläufe und seine Freundschaft mit Nick Cave.

Von Paul Katzenberger

Seine Filme gelten als brutal. Aber auch als so ehrlich, dass John Hillcoat im vergangenen Jahr in den Wettbewerb von Cannes eingeladen wurde. Dort verhalf er einem Starensemble mit Jessica Chastain, Shia LaBeouf und Tom Hardy für deren Auftritte in seinem Prohibitions-Epos "Lawless" zu einem Gang auf dem roten Teppich, ebenso wie seinem langjährigen Freund Nick Cave, der für "Lawless" das Drehbuch schrieb. Das Gangsterdrama, das in den 1920er Jahren spielt, kam von Argentinien bis Südkorea in die Kinos, nicht jedoch in Deutschland, wo es nun auf DVD veröffentlicht wurde.

SZ.de: Es wird langsam zur Gewohnheit, dass Nick Cave Ihr Drehbuchautor ist, so wie jetzt bei Ihrem Film "Lawless". Was macht den Autor Nick Cave für Sie so wertvoll? In erster Linie ist er doch Musiker.

John Hillcoat: Das stimmt. Und über die Musik hat sich das auch entwickelt. Ich kenne Nick, seit ich ein Teenager war. Wir hatten schon immer viele gemeinsame Interessen. Ich habe für einige seiner Musikprojekte gearbeitet und im Gegenzug hat er mir bei meinem ersten Spielfilm "Willkommen in der Hölle" geholfen. Für den Film hat er gemeinsam mit mir und einigen anderen Autoren das Drehbuch geschrieben.

Um genau zu sein, waren Sie damals fünf Drehbuchautoren. Doch schon für "Tödliches Angebot" hat Nick Cave das Drehbuch allein geschrieben, das ist eine deutlich höhere Herausforderung.

Das ergab sich aus reinem Zufall. Ich suchte nach Autoren für einen Western. Nick wollte unbedingt die Musik dafür beisteuern und es frustrierte ihn sehr, dass alles so lang dauerte. Deswegen fragte ich ihn, ob er nicht schon einmal mit dem Drehbuch beginnen wollle. Und als er dann anfing, floss es nur so aus ihm heraus.

Fließen ist das eine, aber an so ein Drehbuch sind ja auch formale Anforderungen gestellt.

Er schrieb zunächst alles wie einen Roman auf. Dann formatierten wir es in Drehbuch-Format um. Ich habe ihn unterstützt, aber geschrieben hat er alles selber. Es war für uns beide eine wirklich aufregende Entdeckung. Denn ich wusste, dass ihm die Beschreibung der Protagonisten gut gelingen würde und dass er ein guter Geschichtenerzähler ist. Aber ich traute ihm nicht zu, dass er die Dialoge aus dieser Zeit so gut hinbekommen würde, wie es dann der Fall war. Er selbst war davon auch überrascht.

"Lawless" hat nun ein adaptiertes Drehbuch. Es basiert auf dem historischen Roman "The Wettest County in the World" von Matt Bondurant, dem Enkel von einem der dargestellten Schwarzbrenner aus der Zeit der amerikanischen Prohibition. Inwieweit sind Sie im Film von der Romanvorlage abgewichen?

Wir haben beim Ablauf der Ereignisse ein paar Kleinigkeiten umgestellt. Ein wesentlicher Eingriff bestand darin, dass der Sonderermittler im Buch aus der einsamen Gegend in Virginia stammt, in der sich die Geschichte abspielt, während er im Film aus Chicago entsandt wird. Damit wollten wir die Verbindung zwischen Stadt und Land klarer aufzeigen.

Warum?

Wir wollten den Mechanismus von Angebot und Nachfrage einfließen lassen. Das Verbot des Alkohols in der Prohibition weckte das Bedürfnis danach erst richtig, und zwar vor allem in den Städten. Die Schwarzbrenner waren hingegen auf dem Land. Heute gibt es genau dasselbe Phänomen: die mexikanischen Drogenkartelle, die die Suchtkultur Amerikas bedienen.

Nick Cave und Sie sind beide Australier. Wieso waren Sie beide so begeistert von einer so genuin amerikanischen Geschichte wie "Lawless"?

Ich bin in den USA und Kanada aufgewachsen und Nick lebte als junger Erwachsener ebenfalls bereits im Ausland. Wir waren beide denselben Einflüssen ausgesetzt, was die Musik Amerikas angeht, den Blues, Country und Rock. In der Literatur waren wir von denselben Schriftstellern begeistert, die oft aus dem amerikanischen Süden kommen, wie Flannery O'Connor, Cormac McCarthy und Tennessee Williams. Doch wir bewahrten uns auch beide den Blick von außen auf die Dinge, beispielsweise durch gemeinsame Reisen.

Wie wirkt sich dieser Blick von außen bei "Lawless" aus?

Nehmen Sie die Apartheid, die wir andeuten. Wenn Sie sich amerikanische Filme zu dem Thema ansehen, werden Sie diese Hinweise auf die damals herrschende Rassentrennung normalerweise nicht finden. Vor allem aber stellen wir amerikanische Stereotypen in "Lawless" auf den Kopf. Dass beispielsweise die Vertreter des Rechts böse und korrupt sind, während die lokalen Drogenhändler, also die Schwarzbrenner, die Guten sind.

Dass der Film auf der Seite der vermeintlichen Gesetzesbrecher steht und die Ermittler sehr negativ zeichnet, ist tatsächlich untypisch. Trotzdem zeigen Sie in "Lawless" einige sehr amerikanische Mythen auf, beispielsweise die Unsterblichkeit und die Unbesiegbarkeit.

Ja, das war für Nick und mich der wichtigste Aspekt dieses Films. Wie die Hauptdarsteller an den eigenen Mythos der Unsterblichkeit glauben. Wir denken, dass Amerika als Nation so ist. Es glaubt, es sei unbesiegbar. In der jüngeren Zeit hat diese Zuversicht allerdings gelitten. Und der Film spiegelt das ja wider: Derjenige, der am unverwundbarsten erscheint, rutscht im Wasser aus und stirbt an einer Lungenentzündung. Ein dummer Zufall nimmt ihn am Schluss aus dem Spiel. Aus unserer Sicht hat das den Film erst originell gemacht.

"Lawless" ist eine amerikanische Produktion. Welche Meinung hatten die Produzenten zu diesem Kommentar über Amerika?

Die Amerikaner wollten das unisono draußen haben. Wir mussten sehr lange und hart dafür kämpfen, dieses Ende zu behalten.

"Gäbe es kein Drama, würden wir es erfinden"

Ihr Film adressiert auch einen anderen amerikanischen Mythos, den der Familie. Warum greifen Sie auf dieses uramerikanische Leitbild zurück?

Mia Wasikowska, Dane Dehaan, Nick Cave, John Hillcoat, Jessica Chastain und Shia LaBeouf (vlnr.)

Die australische Schauspielerin Mia Wasikowska, US-Schauspieler Dane Dehaan, Nick Cave, John Hillcoat, Jessica Chastain und Shia Labeouf (von links nach rechts) bei der Vorstellung von "Lawless" in Cannes im Mai 2012.

(Foto: imago stock&people)

Mich faszinieren Familien ungemein, weil in ihnen die ersten innigen menschlichen Beziehungen aufgebaut werden. Um das im Film zu dramatisieren, zeige ich eine dysfunktionale Familie, in der es zur typischen Rollenaufteilung kommt, obwohl die natürlichen Protagonisten dafür fehlen. Es gibt nur die drei Brüder und keine Schwestern, keine Mutter und keinen Vater. In dieser Situation übernimmt einer der Brüder die Vaterrolle, und es entwickelt sich ein verqueres Kräftespiel. Das wird dann noch komplizierter, als Maggie dazustößt, die von Jessica Chastain gespielt wird.

Der Film endet aber damit, dass die Brüder ganz normale traditionelle Familien gründen. Warum geben Sie dem Film am Schluss diese Wendung, wenn Ihnen zunächst so wichtig ist, eine bizarre Familienkonstellation darzustellen?

Weil ich damit das erzähle, was tatsächlich passiert ist. Dass Kriminelle in diesem Land durch turbulente Zeiten gingen und allerlei Grenzen überschritten, inklusive Mord, nur um später rechtschaffene Geschäftsleute zu werden. Die Kennedys kamen beispielsweise aus dem Geschäft mit Schwarzbrennereien. Das entspricht einem der Grundprinzipien Amerikas - der Erneuerung durch Gewalt.

Gewalt spielt in Ihren Filmen eine große Rolle. Nicht nur in "Lawless", sondern auch in "Tödliches Angebot" und in "The Road". Was fasziniert Sie daran so sehr?

Gewalt ist ein großer Teil der Gesellschaft und des Lebens, weshalb ich sie erforschen will. Wobei ich mehr an der Entstehung und den psychischen und physischen Auswirkungen von Gewalt interessiert bin. Ich versuche, sie als etwas Chaotisches darzustellen, das plötzlich hereinbricht, und ich vermeide ihre Glorifizierung. Verklärungen von Gewalt in Zeitlupe gibt es bei mir nicht. Leider war auch ich bereits ein Opfer von Gewalt. Insofern ist es mir ein Anliegen, sie in einer ehrlichen Weise zu zeigen, bei der man den physischen Schaden sieht und fühlt.

Anm. d. Red.: Hillcoat wurde bei seinen Vorbereitungen zu seinem ersten Spielfilm "Willkommen in der Hölle" (1988) in Melbourne attackiert, wobei er zwei Kieferbrüche erlitt. Die Erfahrung beeinflusste seine Vorbereitungen zu dem Film, der sich um Gewalt dreht.

Glauben Sie, dass die Glorifizierung von Gewalt im Kino gesellschaftlichen Schaden anrichtet? Die USA sind schließlich das Land, das am häufigsten von Amokläufen heimgesucht wird.

Diese furchtbare Tat in Colorado, als ein Amokläufer während der Vorführung des neuen Batman-Filmes hilflose Menschen erschoss und viele verletzte, eignete sich sehr gut dafür, das Kino zum Sündenbock zu machen. Dem Argument, dass Gewaltdarstellungen im Film teilweise verantwortlich für Amokläufe seien, stimme ich aber nicht im Geringsten zu.

Was denken Sie über Ego-Shooter, bei denen Spieler in dreidimensionalen Computerwelten massenweise Gegner niedermähen?

Auch die halte ich nicht für die eigentliche Ursache von Amokläufen, auch wenn interaktive Technologien im Internet womöglich mehr zu diesen Taten beitragen, als wenn Zuschauer passiv in einem dunklen Raum sitzen und sich einen Film ansehen. Die Täter sind dissoziativ gestört und es fehlt ihnen an der Unterstützung, die für die Wiederherstellung ihrer geistigen Gesundheit notwendig ist. So lange sich niemand mit den eigentlichen Ursachen auseinandersetzt, werden wir weiterhin Amokläufe erleben.

Sie haben eine Vorliebe für entlegene Gegenden. "Willkommen in der Hölle" spielt im australischen Outback, "Tödliches Angebot" ebenfalls und "Lawless" ist jetzt im Hinterland des amerikanischen Südens angesiedelt, weit weg von der nächsten größeren Stadt.

Ich darf Ihnen verraten, dass mein nächster Film mitten in einer riesengroßen Stadt der Gegenwart spielen wird. Ich will dringend raus aus den einsamen Gegenden.

Danke für diese Neuigkeit.

Bitte. Ich räume aber ein, dass ich mich von extremen Welten angezogen fühle. Meine Begeisterung für die großen Filmgenres, den Western, den Gangsterfilm, Science Fiction und Horror hat damit zu tun, denn in diesen Genres geht es immer um die Extreme menschlichen Verhaltens, sowohl im Guten als auch im Schlechten. Ich mag es, wenn die Umgebung als weiterer extremer Protagonist hinzukommt, der die Konflikte für die menschlichen Protagonisten verschärft. Wir lieben das Drama und gäbe es kein Drama, würden wir es erfinden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: