Regisseur Jeff Nichols:"Ich hielt die NSA für unfähig"

Regisseur Jeff Nichols: "Midnight Special": Das Land wird von Außerirdischen angegriffen, doch der NSA-Beamte Sevier (Adam Driver, Mitte) und das FBI sind hilflos.

"Midnight Special": Das Land wird von Außerirdischen angegriffen, doch der NSA-Beamte Sevier (Adam Driver, Mitte) und das FBI sind hilflos.

(Foto: Warner Bros Entertainment Inc. und Ratpac-Dune Entertainment LLC)

Jeff Nichols' Film "Midnight Special" ist SciFi-Kino und stellt doch eine sehr reale Frage: Wie bin ich ein guter Vater?

Interview von Paul Katzenberger

Nach dem Coming-of-Age-Thriller "Mud - Kein Ausweg" und dem Katastrophenfilm "Take Shelter - Ein Sturm zieht auf" hat Regisseur Jeff Nichols nun einen Science-Fiction-Thriller gedreht. In "Midnight Special" fliehen Vater Roy (Michael Shannon) und Mutter Sarah (Kirsten Dunst) mit Sohn Alton (Jaeden Lieberher) vor religiösen Extremisten und dem FBI- sowie NSA-Ermittlern. Die Verfolger interessieren sich für die übernatürlichen Fähigkeiten Altons, während die Eltern alles riskieren, um ihn zu beschützen.

SZ.de: Herr Nichols, eines Ihrer großen Vorbilder ist Steven Spielberg. In welcher Weise unterscheiden Sie sich von Spielberg?

Jeff Nichols: Ich bin etwas verhaltener als Spielberg beim Einsatz von magischem Realismus und übernatürlichen Erscheinungen. Das heißt nicht, dass ich Spielberg an dem Punkt kritisieren wollte, doch da habe ich einen etwas anderen Geschmack als er.

Das merkt man "Midnight Special" an. Am Anfang könnte man als Zuschauer sogar glauben, dass man gar nicht in einem Sciene-Fiction-Film gelandet ist.

Ja, der Film funktioniert wie russischen Matrjoschka-Puppen, nur anders herum. Er fängt klein an und wird größer und größer und größer. Mein Ziel war es, dass der Zuschauer am Ende des Films physisch und emotional an einem anderen Punkt steht als am Anfang.

Was ist Ihnen so wichtig daran, in einem Science-Fiction-Film an einem gewissen Maß an Realität festzuhalten?

Es ist ehrlicher so und weniger kitschig und künstlich. Es ist aber auch meine Art und Weise, als Drehbuchautor Figuren zu erfinden. Meine Protagonisten sind ausgedacht, aber es ist mir wichtig, dass sie sich wie echte Menschen anfühlen. Deswegen denke ich darüber nach, wie sie ihr Geld verdienen, wie sie sprechen, wie sie sich anziehen und wie intelligent sie sind. Und ich versuche, mich sehr genau in sie einzufühlen. Ich will sie nicht wie Schachfiguren hin und her schieben.

Weil Sie mit Ihren Filmen etwas erklären wollen, was sich in unserer heutigen Welt real abspielt?

Sicher. Nicht in dem Sinne, dass ich ernsthaft gesellschaftliche Zusammenhänge erklären wollte. Aber in dem Sinne, dass ich - Jeff Nichols - mein Innenleben nach außen kehre, wenn ich Geschichten erfinde. Und ich - Jeff Nichols - war zum Zeitpunkt des Drehbuchschreibens gerade Vater geworden mit all den Gefühlen, die damit einhergehen, und all den Gedanken, wie ich dieser neuen Rolle gerecht werden könnte.

Warum wollen Sie dann überhaupt noch die Traumwelt der Science Fiction?

Es wäre aus meiner Sicht überzogen, nur noch meine persönlichen Angelegenheiten zu behandeln. Die Mischung muss stimmen. Wenn meine Filme nur aus Genre-Elementen bestünden, wären sie ein seelen- und lebloses Produkt. Wenn sie nur meine Gedanken- und Gefühlswelt enthielten, wären sie zu schwere Kost. Wie Spielberg will ich die Leuten unterhalten, auch wenn ich darin nicht so gut bin wie er.

'Midnight Special' Press Conference - 66th Berlinale International Film Festival

"Meine Figuren sind ausgedacht, aber es ist mir wichtig, dass sie sich wie echte Menschen anfühlen." Jeff Nichols bei der Berlinale, die "Midnight Special" in den diesjährigen Wettbewerb eingeladen hatte.

(Foto: Getty Images)

"Wir können unsere Glaubensüberzeugungen nicht anderen aufzwingen"

(Michael Shannon, Mitte, und Kirsten Dunst, rechts) mit ihrem Sohn (Jaeden Lieberher)

Die Eltern Roy und Sarah (Michael Shannon, Mitte, und Kirsten Dunst, rechts), die nach und nach ihre Rolle verstehen müssen, damit sie ihrem Kind (Jaeden Lieberher) helfen können, herauszufinden, wer es wirklich ist.

(Foto: Warner Bros Entertainment Inc. und Ratpac-Dune Entertainment LLC)

Enthält "Midnight Special" auch eine politische Botschaft? Interessant ist ja, dass eine der Figuren NSA-Beamter ist. Bis vor zweieinhalb Jahren wäre das in Deutschland niemandem groß aufgefallen - jetzt nach dem NSA-Skandal ist es ein richtiges Politikum.

Ich muss zugeben, dass das Zufall ist. Es stimmt, Sevier (Adam Driver, Anm. d. Red.) ist NSA-Beamter. Ich entwarf diesen Protagonisten aber vor all den Enthüllungen Edvard Snowdons über die NSA und deren Datensammelwut. Ich hatte davon keine Ahnung. Hätte ich diesen Film kurz vor dem NSA-Skandal herausgebracht, wäre ich später als Genie gefeiert worden. Tatsächlich war ich damals aber der Meinung, dass die US-Geheimdienste zu so etwas gar nicht in der Lage sind. Mir erschien der Apparat viel zu bürokratisch. Ich hielt die NSA tatsächlich für unfähig. Als ich hörte, in welchem Maße Daten gesammelt werden, war ich schockiert.

Und dass eine Sekte vorkommt, ist das ein politischer Kommentar?

Sehr viel stärker als die Thematisierung des Geheimdienstes. Die Sekte ist ein Kommentar auf religiösen Extremismus, den ich für etwas Schlimmes halte. Immer wenn jemand einem anderen sagt, wie die Welt funktioniert, dass es Regeln gibt, die einzuhalten seien, liegt er falsch. Wir können anderen unsere Glaubensüberzeugungen nicht aufzwingen. Das funktioniert nicht.

Im Film lässt sich das ja auch an der Vaterfigur Roy ablesen, dessen Pläne für das Leben des Sohnes nichts mit dessen eigentlicher Bestimmung zu tun haben.

Genau. Der Vater fürchtet, dass sein Sohn verletzt werden oder verloren gehen könnte. Er versucht, ihn zu beschützen, und übt eine immer stärkere Kontrolle über ihn aus.

Bei den Gefahren, denen Alton ausgesetzt ist, ist das eigentlich aber doch nur ein natürlicher Instinkt.

Sicher. Er funktioniert nur nicht. Kinder entwickeln sich zu der Person, die sie sind. Eltern können das nicht entscheidend beeinflussen. Sie können das Kind auf seinem Weg begleiten und beraten, aber sie können es nicht gegen seinen Willen dirigieren. Je stärker Eltern das versuchen, desto mehr verlieren sie ihre Kinder. Der Film handelt im Kern von Eltern, die nach und nach ihre Rolle verstehen lernen müssen, damit sie ihrem Kind helfen können, herauszufinden, wer es wirklich ist.

Im Film steigt die Figur des Sektenführers an einem bestimmten Punkt aus - sie taucht einfach bis zum Schluss nicht mehr auf. Im Leben ist das etwas ganz Normales, wir verlieren ständig Menschen aus den Augen. Aber für die Dramaturgie eines Filmes ist das ungewöhnlich. Glauben Sie nicht, dass viele Zuschauer diese Figur vermissen werden und den Film als zerfasert empfinden könnten?

Mit Sicherheit wird das der Fall sein. Aber ich habe mich ganz bewusst dafür entschieden, mich den Konventionen des Genres zu widersetzen. Wenn ich die Figur wieder auftauchen ließe, nur weil ich mich den Storytelling-Regeln beugen wollte, hätte ich einen Film gemacht, bei dem die Zuschauer das Gefühl hätten, ihn schon einmal gesehen zu haben.

"Midnight Special", USA 2016 - Regie, Buch: Jeff Nichols, Mit Adam Driver, Joel Edgerton, Michael Shannon, Sam Shepard und Jaeden Lieberher. Warner Bros., 111 Minuten.

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