Regierungskrise in Italien:Wo Cinque Stelle und Lega ganz nah beisammen sind

Regierungskrise in Italien: Der eine Priester, der andere Bürgermeister: Die Filmhelden Don Camillo und Peppone stritten sich oft, tatsächlich aber profitierten sie voneinander, so wie es Kirche und Staat bis heute tun.

Der eine Priester, der andere Bürgermeister: Die Filmhelden Don Camillo und Peppone stritten sich oft, tatsächlich aber profitierten sie voneinander, so wie es Kirche und Staat bis heute tun.

(Foto: imago)

Die Italiener eint nur noch das Gefühl, von der Politik immer weiter betrogen zu werden. Der "Populismus" ist dort vor allem ein Rückzug in die Provinz.

Von Thomas Steinfeld

Nicht weit von Parma, hinter den Dämmen des Po, gibt es einen kleinen Ort, den vor zwei Generationen halb Europa gekannt hatte. Brescello heißt das Dorf. Der rechteckige Platz in seiner Mitte wird von einer Kirche aus dem frühen 19. Jahrhundert beherrscht, schräg gegenüber steht das Rathaus. In den fünf Filmen, die diesen Ort weit über Italien hinaus sichtbar werden ließen, residiert in der Kirche ein Pfarrer namens Don Camillo, während im "Municipio" der kommunistische Bürgermeister Peppone waltet.

Diesen beiden Gestalten, deren literarische Vorbilder der Journalist, Karikaturist und Schriftsteller Giovannino Guareschi 1948 erschaffen hatte, ist in Brescello ein Museum gewidmet. Darin kann man das Motorrad des Bürgermeisters, eine Moto Guzzi mit Beiwagen, und das Barett des Priesters betrachten. Ein Bildnis des Genossen Stalin hängt an der Wand über Peppones Schreibtisch, Fotos zeigen die Gespräche des Pfarrers mit dem gekreuzigten Christus. Doch während die schwarz-weiße Dingwelt der Filme, die in diesem Museum aufbewahrt wird, unwiederbringlich in einer tiefen Vergangenheit verschwunden zu sein scheint, steckt in den Geschichten, die von der Rivalität des Kommunisten und des katholischen Priesters erzählen, eine politische Allegorie von nicht erlöschender Aktualität.

Als die erste italienische Republik in den frühen Neunzigern unterging, in einem Skandal, dessen Grund und Ende nie in Sicht geriet, kam der italienischen Politik auch der Sinn für das Allgemeine abhanden: Fast vierzig Jahre war das Land von den Christdemokraten regiert worden. Ihnen entgegen standen die Anhänger des Partito Comunista (PCI), die nie an die Regierung kamen, aber zumeist fast die Hälfte der Macht innehatten. Jede der beiden Parteien aber verstand sich als Repräsentant des Allgemeinen: eines Nationalstaats auf der einen, einer ihm übergeordneten spirituellen Instanz auf der anderen Seite, wobei es, formell betrachtet, gleichgültig war, ob diese auf Erden die Gestalt des Papstes oder Stalins angenommen hatte.

Don Camillo und Peppone dienten im Hauptberuf als Sachwalter des Großen und Ganzen in Brescello. Sie waren die Vertreter der Kirche, der kommunistischen Partei und der Nation, wobei es durchaus von Belang war, dass beide in der "Resistenza" gegen die Wehrmacht und die SS gekämpft und so zur Selbstbehauptung des Allgemeinen beigetragen hatten.

Die Hoffnung richtet sich auf ein Leben in Gemeinschaften - abseits vom Allgemeinen

Einen Sachwalter des Allgemeinen gibt es in Brescello noch immer, doch ist er keinem höheren Sinn als der Verwaltung verpflichtet: Über das Dorf herrscht ein Kommissar, der vor zwei Jahren den gewählten Bürgermeister ersetzte (der dieses Amt wiederum von seinem Vater, einem der in dieser Gegend üblichen Bürgermeister des PCI, übernommen hatte). Der Bürgermeister hatte angesichts des Einzugs der 'Ndrangheta, der kalabrischen Mafia-Organisation, in die Emilia Romagna aufgegeben. In Viadana, auf der anderen, lombardischen Seite des Po, herrscht derweil ein Bürgermeister der fremdenfeindlichen Lega. In vielen Nachbargemeinden wiederum regiert die Allianz der Mitte-rechts-Parteien, zu der neben der Lega die Forza Italia Silvio Berlusconis sowie die radikalen Nationalisten von den Fratelli d'Italia gehören.

Wer wollte da noch von Allgemeinheiten, gar von spirituellen Instanzen reden, wenn es doch offenbar vor allem darum gehen soll, die engsten Verhältnisse zu verteidigen, was immer das auch sein mag und gegen wen auch immer? Seit dem Ende der ersten Republik wird mit dem Widerwillen Politik gemacht, von allen Parteien. Aber war es nicht schon seit je so gewesen, dass es unterhalb des Italiens der Allgemeinheiten ein Italien der kleinen, vertrauten und der vertraulichen Strukturen geben sollte, so dass Don Camillo und Peppone sich im Stillen einigen konnten? Und dass dieses Italien der Gemeinschaften vor allem auf dem Land zu Hause sein sollte - während der Staat eine stets ferne Instanz war, der man nicht traute, die aber doch für die Verteilung von Privilegien zuständig war?

Der Movimento 5 Stelle (5-Sterne-Bewegung), die Partei, die in den nationalen Wahlen am 4. März mehr als dreißig Prozent der Stimmen erreichte und damit zur größten Fraktion wurde, zählt im europäischen Ausland zu den neuen populistischen Parteien. Dieses Prädikat hat die Bewegung nicht verdient: Die direkte Demokratie, die ihr wichtigstes politisches Ziel darstellt, lässt in der Vorstellung vielmehr ein Italien der Gemeinschaften aufleben, für das Don Camillo und Peppone in den Fünfzigern gestanden hatten - minus die großen Allgemeinheiten, den Stalin an der Wand und das Kruzifix in der Kirche, die nun durch das Internet ersetzt werden sollen. Die digitale Technik soll dafür sorgen, dass jeder mit jedem reden kann, so wie das in einer idealen dörflichen Gemeinschaft vielleicht auch der Fall wäre.

Das Internet soll die spirituellen Energien aufnehmen, die früher durch die Idee des Klassenkampfs oder der Gemeinde gebunden waren, ganz so, als gäbe es weder Fake News noch Facebook. Und ähnlich, wie im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert die Bildungseinrichtungen der Arbeiterklasse geschaffen wurden, so soll es nach dem Willen der 5-Sterne-Bewegung nun eine die ganze Nation umfassende "Rousseau Open Academy" geben, eine neue Volkshochschule, die den Menschen den Weg zu den radikaldemokratischen Tugenden weist, und zwar zuallererst im Umgang mit der digitalen Technik.

Enttäuschter Idealismus und das Gefühl, betrogen worden zu sein

Die meisten Anhänger des Movimento dürften keine Linken und erst recht keine Kommunisten sein. Oder vielleicht waren sie es früher und sind es nicht mehr. Aber es setzt sich in ihnen ein Regionalismus und die Hoffnung auf die Vorteile eines Lebens in Gemeinschaften fort, wie sie einst die italienischen Genossenschaften hervorbrachten und die zahllosen kommunalen Sparkassen, die bis vor zwanzig, dreißig Jahren das Rückgrat der italienischen Wirtschaft bildeten.

Fremdenfeinde oder "5 Sterne" - der Regionalismus antwortet auf eine Geschichte der Enttäuschung

Diese Hoffnung aber ist auch in ihrer Wiederkehr nicht harmlos. Sie speist sich nicht nur aus der Enttäuschung eines Idealismus, der in der Nation, in der EU, in den Volksparteien eine Gewähr für wachsenden Wohlstand und befriedete soziale Verhältnisse erkennen wollte, sondern auch aus dem Bewusstsein, betrogen worden zu sein - und etwas Besseres verdient zu haben, allein aus dem Grund, dass man italienischer Staatsbürger ist. Verantwortlich für den ausbleibenden Erfolg von Volk und Nation aber, so heißt es in der Bewegung, sei die regierende politische Kaste, hinter deren großspurigen Verlautbarungen sich doch nur die gewöhnliche Korruption verberge. Deshalb die Forderung nach absoluter Transparenz in allen politischen Funktionen, deshalb die Abwendung von allem, was an Allgemeinheit und Programm erinnert, deshalb das Ideal einer demokratischen Politik ohne die Inhalte einer demokratischen Politik - ohne Staat und Kapital, ohne den ökonomischen Wettbewerb der Nationen, ohne Gewalt und Militär.

Der Widerstand gegen das Allgemeine hat in Italien also nicht erst seit dem Untergang der ersten Republik System, wurde aber dadurch beflügelt. Sein erster Repräsentant auf dem Posten des Ministerpräsidenten war Silvio Berlusconi, der Mann, der versprach, das Land wie seinen Konzern zu führen. Er war dabei so konsequent, in den Schwierigkeiten, die ihm die italienischen Gerichte bereiteten, nichts als persönliche Ranküne zu erkennen. Seine Forza Italia ist indessen immer noch eine programmatisch nationale Partei. Wenn sie, anders als erwartet, in den jüngsten Wahlen nur schlecht bestehen konnte, dann liegt das vor allem an den Fortschritten in der Regionalisierung wie im Widerstand gegen alles, was nach Programm und Allgemeinem aussehen könnte.

Und so treffen sich die 5-Sterne-Bewegung und die Fremdenfeinde von der Lega womöglich weniger im Großen (was ihnen ja sowieso nicht liegt), aber durchaus im Kleinen, zum Beispiel, wenn es um die Einrichtung von Fahrradwegen geht - nicht zufällig gehörte die Lega vor einigen Jahren zu den Sponsoren eines Radrennens, das den Namen "Giro di Padania" trug. Und zu all diesen Parteien gehört ein gehöriges Maß an Aversion gegen Theorie. Denn es geht nicht anders: Denken lässt es sich nur in Allgemeinheiten, weshalb es nur konsequent ist, wenn die Intellektuellen, die es in Italien noch gibt, in ihrer Mehrheit aus der alten Linken kommen.

Dem Rückzug in die Provinz, im geografischen, politischen und kulturellen Sinn, geht eine lange Geschichte der Enttäuschung voraus: In den knapp zwanzig Jahren seit Einführung des Euro als Recheneinheit wuchs die Wirtschaft Italiens kaum noch (die deutsche legte im Durchschnitt pro Jahr 1,25 Prozent zu), die Industrieproduktion schrumpfte von 2008 bis 2014 um nahezu ein Viertel und steigt seitdem nur langsam wieder an. Die Erkenntnis aber, dass die ungeheuren Anstrengungen des Landes, im Wettbewerb mithalten zu können, gescheitert sind, fällt schwer.

Den Wählern im Süden kommt Rom, zusammen mit der EU, wieder wie eine Kolonialmacht vor

Die Mittel, die vor allem die Lega gegen diesen Niedergang beschwört, stellen im Politischen dar, was die Bewegung "Slow Food" und die daraus hervorgegangene Einzelhandelskette "Eataly" im Kulinarischen bewirken will: eine Besinnung auf Region, einen Kult der (nord-)italienischen Arbeit und des (nord-)italienischen Arbeiters, eine enge Bindung an das Handwerk und seine Traditionen. Vor allem die Lega fügt eine Feindschaft gegenüber dem Fremden hinzu, und damit sind zwar zuerst die Immigranten aus Nordafrika gemeint, im weiteren Sinne aber auch die EU und darin vor allem Deutschland. In ihnen scheinen die fremden Mächte wiederzukehren oder gar fortzubestehen, die große Teile Italiens bis zur Mitte des 19. Jahrhundert beherrschten, die Österreicher im Nordosten, aber auch, mit Einschränkungen, der Vatikanstaat.

Überhaupt gleicht die politische Landkarte Italiens nun immer mehr den Zuständen vor der Einigung des Landes um die Mitte des 19. Jahrhunderts: Der Partito Democratico, die Sammelpartei aller ehemaligen Kommunisten, Sozialisten und Sozialdemokraten, konnte fast nur noch in der Toskana gewinnen, in den Grenzen des 1861 untergegangenen Großherzogtums.

So, wie die Lega eine Bewegung vor allem der ländlichen Gegenden im Norden, der kleinen Städte und der urbanen Peripherien ist, so ist der Movimento 5 Stelle eine Bewegung des Südens geworden. Den Wählern dort muss Rom, im Verbund mit der EU, wieder wie eine Kolonialmacht vorkommen, so wie ihnen einst, als Giuseppe Garibaldi dem König den Süden zu Füßen gelegt hatte, die Einigung als Machtübernahme durch eine fremde Herrschaft erschienen war. Tatsächlich ist die Arbeitslosigkeit im Süden dreimal so hoch wie im Norden (sie liegt bei 20 Prozent), doch während im Norden allmählich wieder ein Wachstum entsteht, geschieht im Süden nichts. Wer will, kann daher das Spiel mit den historischen Modellen weitertreiben - bis zu den Bourbonen, die bis 1861 ihr Königreich im Süden verelenden ließen.

Der im Norden Europas geläufige Vorwurf an Italien, es an Verantwortung für das Große und Ganze fehlen zu lassen, sieht sich nun, da die 5-Sterne-Bewegung und die Lega zusammen über die Hälfte der Stimmen verfügen (was noch keineswegs heißt, dass sie eine Allianz bilden werden), bitter bestätigt, zumal Silvio Berlusconis Forza Italia und die Faschisten von den Fratelli d'Italia noch gar nicht mitgezählt sind. Doch geht der Vorwurf in die Irre, und zwar nicht nur, weil er vom Standpunkt des Gewinners gedacht ist - schließlich werden die Kühlschänke, die Zanussi nicht mehr produziert, heute von AEG und Miele verkauft. Außerdem ist es ja keinesfalls gewiss, dass eine Weltmacht Europa unter deutscher Führung die Zukunft Italiens darstellen muss.

Fatal hingegen ist, dass es in Italien über das Gefühl hinaus, immer weiter betrogen zu werden, kaum Bewusstsein und kein Wissen mehr zu geben scheint, das es theoretisch mit den neuen Verhältnissen aufnehmen könnte: Wie sich eine Regierung, die sich aus Vertretern des Movimento 5 Stelle und der Lega zusammensetzt, nicht nur zu Europa, sondern auch zu den Antagonismen im eigenen Land verhalten könnte, wagt man sich nicht einmal vorzustellen, denn so verloren, wie Italien in der EU dasteht, so borniert und grausam ist das offensive Bekenntnis zur Provinz - und das gilt auch für ein Dorf namens Brescello, das einmal idyllisch gewesen sein soll und es gewiss nie war.

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