Rechtsruck in Rom:Roms Herren und Knechte

Ausgerechnet in der katholischsten aller Städte ist es mit der Nächstenliebe nicht mehr weit her: In Rom sind zunehmend rassistische Tendenzen spürbar.

Navid Kermani

Name? Nureddine Ehmê. Papiere? Nein. Alter? 28. Geburtsort? Hasaka. Nationalität? Syrisch. Ethnie? Kurdisch. Verhaftet? Ja. Wann? 2003 bis 2005. Gefoltert? Ja. Sichtbare Spuren? Ja. Nureddine Ehmê zieht das rechte Hosenbein hoch und hält dem Beamten den Unterschenkel hin.

Rechtsruck in Rom: Rom, strahlende Hochburg der Nächstenliebe?

Rom, strahlende Hochburg der Nächstenliebe?

(Foto: Foto: dpa)

Michael aus dem Kongo wird als nächstes vernommen, danach Aischa aus Palästina, Hussein aus dem Irak, Nirmaleh aus Sri Lanka. Am Ende verliest der Beamte der Reihe nach alle Namen mit Datum und Ort der Geburt sowie dem Bescheid: Antrag abgelehnt nach Paragraph x, Ausreise bis spätestens nach Paragraph y, Gewahrsam nach Paragraph z.

Die meisten stammten aus dem Nahen Osten, sind Muslime, und sie wollen ausgerechnet nach Italien, wo man sie wirklich verachtet, ganz offiziell mit der Unschuldsfrage, warum sie uns nur hassen, aber wenn sie sie so hassen würden, warum suchen sie dann Zuflucht bei ihnen?

Entweder ist die Verachtung nicht so gravierend, wie es mir vorkommt, oder die Verzweiflung besonders groß. Der Hass, den ich auf Reisen tatsächlich angetroffen habe, ist der Hass der Knechte auf ihren Herrn, so wie umgekehrt die Verachtung die ist des Herrn für seine Knechte.

Geballte irdische Macht

Merkwürdig, dass sich die realen Machtverhältnisse der Welt ausgerechnet in Italien so sichtbar in individuellen Affekten widerspiegeln. Niemand hat die Herr-Knecht-Struktur menschlicher Verhältnissen radikaler aufzulösen versucht als Jesus Christus, nicht Moses, nicht Mohammed und schon gar nicht Marx. Zugleich tritt Religion nirgends in der Welt als eine so geballte, überwältigende Demonstration der Macht auf, irdischer Macht auch in ihren gewöhnlichsten Winkelzügen, wie der Katholizismus in Rom.

Alle Schauspieler sind weiß gekleidet, zwanzig, fünfundzwanzig, sitzen auf dem Boden vor dem italienischen Parlament bis auf den einen oder die eine, der oder die vernommen wird, den Beamten und jemanden, der Ney spielt, die orientalische Flöte.

Eine einzige Fernsehkamera ist da, eindeutig zu wenig, und die Reporterin, die gleich ihren Kommentar sprechen wird, arbeitet bestimmt nicht für einen bedeutenden Sender: Der Blazer in Ordnung, aber an den Nähten abgewetzt, das wird im Fernsehen niemand sehen, und unten, wo sie nicht im Bild sein wird, trägt sie eine Jeans und weiße Birkenstock-Sandalen mit knallbunten Zeichnungen darauf. Am Mikrophon, das sie seit mehreren Minuten unters Kinn hält, hängt keine Plakette eines Senders.

Das Publikum besteht aus vielleicht fünfzig Menschen, Angestellte in ihrer Mittagspause, wie mir scheint, die meisten aber Sympathisanten und Helfer. Bis auf einige Alte, die sich auf ihren Stadtplan gesetzt haben, Pilger?, bleiben die Touristen nur kurz stehen.

Kollektives Desinteresse

Jeder Gaukler mit Sammelbüchse bietet mehr Attraktion als dieses Dokudrama. Um ein paar Touristen mehr oder weniger geht es auch nicht. Hier geht es darum, Nachrichten zu produzieren, die hinter die Türen dringen, wo eben jetzt ein Wachwechsel stattfindet, Soldaten im Stechschritt, die auswendig ihre Anweisungen befolgen, darüber große Fahnen Italiens und der Europäischen Union.

Weil ich mir Notizen mache, werde ich viermal gefragt, ob ich Journalist sei. Die Vizepräsidentin des europäischen Parlaments, eine Italienerin, hat eine junge Mitarbeiterin geschickt, die auch mir eine Solidaritätsadresse in die Hand drückt.

Von den Politikern, die aus dem Parlament treten - fast alle telefonierend -, schauen nur wenige über den Platz herüber zu der Aufführung, obwohl bestimmt alle Abgeordnete informiert worden sind, so professionell wie die Aktivisten seit Wochen für ihre Aktion werben.

Deshalb machen die kleine Menge und die einzige Fernsehkamera, die ihnen zusehen, so traurig: Es ist ja kein amateurhaftes Happening, das sich einige Enthusiasten ausgedacht haben, sondern eine lang und gut vorbereitete Aktion, die es in die Hauptsendezeit schaffen wollte.

Vielleicht schauen die Abgeordneten, die das Parlament zum Mittagstisch verlassen, eben deshalb nicht herüber, weil sie wissen, welches Stück gespielt wird. Ihr Präsident, Gianfranco Fini, beschimpfte gerade die Roma als eine "Gemeinschaft, die sich nicht in unsere Gesellschaft integrieren lässt", Personen, die "Diebstahl für beinahe erlaubt und nicht verwerflich halten, die das Arbeiten ihren Frauen überlassen, Prostitution wahrscheinlich, und die keine Skrupel haben, Kinder zu vergewaltigen oder Kinder nur zu zeugen, um sie zum Betteln zu schicken."

Kritik an Einwanderungspolitik

Die bisherigen Beschlüsse der neuen Regierung hält der Parlamentspräsident für zu schwach und meint, dass zweihundertfünfzigtausend Personen aus Italien ausgewiesen werden müssten, für den Anfang.

Und der Vorsitzende der regierenden Lega Nord, Umberto Bossi, beschwert sich, dass die Maßnahmen noch nicht - ein paar Wochen ist der Amtsantritt erst her - für alle Migranten gelten: "Jetzt reden alle über die Roma und die Rumänen, die ganze Aufmerksamkeit ist auf sie gerichtet. Und man vergisst, dass es da noch die ganzen anderen Einwanderer gibt, mit all den Problemen, die damit verknüpft sind. Es sind nicht nur die Roma, die dieses Land in Schwierigkeiten bringen."

Das Leben geht immer weiter; wenn ich's nicht aus der Zeitung wüsste, hätte ich nicht gemerkt, dass die Regierung gewechselt hat. Rom begeistert mich wie jedesmal, da ich später - die erste Aufführung ist zu Ende - zwischen seinen Schätzen umherstreife.

Ich vertreibe mir die Zeit bis zur zweiten Aufführung, deren Anfang ich diesmal nicht verpassen will. Dass die Stadt jetzt einen Bürgermeister hat, den seine Anhänger mit dem faschistischen Gruß und "Duce, Duce"-Rufen feiern - wie hätten wir es denn in unserer Villa merken sollen?

Aber auch die Römer, selbst die meisten Oppositionellen scheinen es mit einer Resignation hinzunehmen, die dem Gleichmut nahekommt. Das ist keine Revolution, die alles auf den Kopf stellt, sie hat nichts Totalitäres. Sie gibt nur einigen freie Hand; um sich zu bereichern oder sich zum Beispiel vor der Justiz zu schützen, Herrschaft auszuüben oder Ressentiments auszuleben, von denen weder die eigene Bevölkerung betroffen ist, noch die Touristen, gleich wo sie herkommen, ob aus Saudi-Arabien oder den Vereinigten Staaten.

Beste Freunde

Das ist nicht wie Judenhass, nicht mal im eigentlichen Sinne Rassismus. Von dieser Verachtung ist man qua Stellung befreit oder kann sich mit Geld freikaufen. Jeder in der Regierung wird ausländische Freunde haben, allein schon wegen der Geschäftsbeziehungen.

Die Bediensteten merken es, die in den Bürgerwohnungen als Kindermädchen arbeiten, die Straßenverkäufer, die Küchenhilfen in den Restaurants und natürlich die Flüchtlinge, die per Gesetz zu Kriminellen erklärt werden sollen.

Dass es wirklich Einheimische träfe, wie manche träumen, die Schwulen etwa, die der Bürgermeister des norditalienischen Treviso "ethnisch säubern" will, die Juden und für die eigentlichen Faschisten ja auch die Amerikaner, davor ist Europa. Realistischer ist der zweite Vorschlag des Provinz-Bürgermeisters, nämlich Asylsuchende abzuschießen. Auf offener See schaut nicht mal eine einzige Fernsehkamera hin.

Als ich vors Parlament zurückkehre, ist das Publikum nicht größer geworden, doch um vier Herren reicher, die Politiker sein könnten, Abgeordnete der linken Opposition, nehme ich an. Einer ist wohl mit seinem Dienstwagen vorgefahren, einer blauen Limousine von Alfa-Romeo mit abnehmbaren Blaulicht. Der Fahrer im Nadelstreifen schaut der Aufführung ebenfalls zu.

Gesang der Zauberwörter

Jemand aus Halabdscha erzählt seine Geschichte. Er war zwölf. Sein Cousin sagte ihm, dass sie bombardiert würden. Das verstand er nicht. Halabdscha war keine strategische Stadt. Sie versteckten sich im Haus, der Vater hatte Nahrungsmittel besorgt, viele Tomaten.

Dann kann ich ihm nicht mehr folgen, weil mein Italienisch noch nicht ausreicht, erst wieder hier: Hinterher hörte er, dass Halabdscha eine Stadt der Peschmerga sei. Das hörte er zum ersten Mal. Das Ensemble stellt die Flucht über die Berge nach. Die Alten und Lahmen werden Huckepack getragen, viele humpeln. Ich verstehe noch Kermanschah, Iran, ospedale, ein, zwei Monate, Inghilterra.

In einer der nächsten Szenen treten zwei aus der Gruppe hervor, um die Fluchthelfer zu spielen. Ihr müsst Sprachen lernen, rufen sie, Englisch, Italienisch oder Deutsch, wenigstens ein paar Brocken. Wasser heißt water. Alle rufen im Chor "water". Hilfe heißt help. Alle rufen im Chor "help".

Aus drei Zauberwörtern ergibt sich ein Gesang, der richtig komisch ist: Asilo politico, dollar, no passaporto. Die Flucht verläuft über Wasser, wie die nächste Szene zeigt. Auch der Sprung vom Boot will pantomimisch gelernt sein, genauso das Schwimmen. Später verwandeln sich die Fluchthelfer in Grenzbeamte, Schreie, Befehle, die Halstücher werden zu Augenbinden, hinsetzen, wird's bald, die Beamten helfen nach.

Mut in Nadelstreifen

Die Verhöre beginnen, bis wieder Nureddine Ehmê an der Reihe ist, keine Papiere, Alter 28, Geburtsort Hasaka, syrisch die Nationalität, kurdisch die Ethnie, von 2003 bis 2005 verhaftet, sichtbare Spuren der Folter, nach ihm Aischa aus Palästina, Bahar aus dem Irak, Nirmaleh aus Sri Lanka.

Nach dem Schlussapplaus holt das Ensemble die vier Politiker nach vorn. Ob sie etwas ins Mikrophon sagen möchten? Nein, winken die Politiker ab, die die Aufführung abseits der Mikrophone rühmen.

Dann bittet die Spielleiterin sie um einen Gefallen: Ob sie zusammen mit dem Ensemble ins Parlament gehen würden, symbolisch sozusagen, also nur bis hinter den Eingang, um die Petition zu überreichen, auf die sie mit der Aktion hinweisen wollten?

Die Politiker sind etwas verwirrt, besprechen sich kurz und sagen dann ja. So marschieren vier Herren in guten Anzügen zusammen mit zwanzig, fünfundzwanzig weiß gekleideten Schauspielern, einer Fernsehkamera und mehreren Photographen über den Platz zum Parlament, das sie nicht telefonierend wie ihre Kollegen, die vom Mittagessen zurückkehren, betreten.

Navid Kermani ist Schriftsteller und Orientalist aus Köln und veröffentlichte zuletzt den Roman "Kurzmitteilung" (Ammann Verlag). Zur Zeit lebt er als Stipendiat der Villa Massimo in Rom.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: