"Rebel Heart" von Madonna:Wenn der Teufel betet

Madonna

Von Teufeln umgeben: Madonna bei den Brit Awards

(Foto: AP)

Jetzt mal Hintern beiseite - was ist denn nun drauf auf dem neuen Album von Madonna? Vor allem Popmusik, über die alle reden, die aber keine Spuren hinterlässt. Guter Trick.

Von Jens-Christian Rabe

Das neue Madonna-Album "Rebel Heart" ist heute endlich auch ganz offiziell und komplett in der Welt. Und insbesondere, weil bei ihren jüngsten Auftritten bei den Grammys und den Brit Awards erst nur von ihrem Hintern die Rede war und dann nur von einem kleinen Sturz während der Performance ihres neuen Songs "Living For Love", erscheint nun nichts, wirklich gar nichts naheliegender, als von der Musik zu reden. Im Refrain von "Living For Love" geht es schließlich genau darum, dass jemand immer weitermacht, auch wenn ihm alle schon dabei zugesehen haben, wie er hingefallen ist, so ein Zufall: "Took me to heaven and let me fall down / Now that it's over / I'm gonna carry on".

Mit anderen Worten: Wenige Popkünstler haben so gut verstanden, was der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen gemeint hat, als er in seinem, während der Madonna-Aufnahmen im vergangenen Jahr erschienenen Opus magnum "Über Pop-Musik" schrieb, dass Popmusik nämlich nicht nur "sehr viel mehr sei als Musik", sondern sogar eine "andere Sorte Gegenstand" - aber gut: Was hören wir, wenn wir das neue Madonna-Album hören?

Tja, los geht's mit eben jenem "Living For Love", so einem soliden, elastischen Dreieinhalb-Minuten-Handclap-Dancefloor-Stampfer mit ein paar gehämmerten Piano-Akkorden. Sie lebt für die Liebe und gibt nicht auf und hört nicht auf und so weiter. Ihr Gesang klingt dabei wie üblich computerunterstützt wie ein glockenhelles Madonna-Massen-Unisono, Kategorie: halb Mäuschen, halb Matrone. Leicht trommelfellzersägend, wenn man sich zu sehr drauf konzentriert. Nicht machen.

Lieber zweiten Song hören: "Devil Pray". Bisschen langsamer, balladesk, Grundlage aber weiter sehr professionell produzierter Handclap-Trotteldiscowumms, mit schön viel Hall. Im Konjunktiv denkt sie darüber nach, Drogen aller Art einzuwerfen, überhaupt so ausschweifend vorzugehen, dass am Ende sogar der Teufel vor Schreck zu beten anfängt. Der arme Kerl. Dann "Ghosttown". Langsame Ballade, sehr flächige Synthies, dazu: dummm, dummm, dummm, patsch.

In Acht nehmen vor der Chef-Schlampe

Bei "Unapologetic Bitch" fällt erst der reggaehaft wiegende Beat auf, kaum satthören kann man sich dann natürlich daran, wie sie das doch recht sperrige Wort "unapologetic" immer wieder irre schnell vorträgt, also fast schon: "kompromisslos". Eigene Versuche da im Takt mitzusprechen scheitern kläglich. Refrain auch sehr schön: Yeah-ii-yeah-ii-yööö! Wirklich: yöö! Bisschen Getto-Haus-Sirenen dazu. Da durfte sich der Produzent Diplo austoben. Cool.

Kurz durchatmen und einen Blick auf die Liste der Songs werfen: Hoppla! Das waren jetzt vier von insgesamt 19 Tracks. Neunzehn!? Okay, weiter mit Nummer fünf: "Illuminati". Sehr elektronisch, der zeitgenössischste Sound bislang. Eine tiefe knarzige Synthie-Spur schiebt an, bisschen eklektisches Drumgeklöppel dazu, doch, doch, das geht - bis zu den Mäuschenmatronen. Argh. Es folgt "Bitch, I'm Madonna". Wir Schlampen sollen uns in Acht nehmen vor der Chef-Schlampe. Logo, machen wir. Ah, und wieder Handclap-Alarm und Tempo, bisschen auf die Zwölf. Das ist jetzt: der Knaller. So klingt im Moment ein Mainstream-Dance-Hit.

Der Gesang wurde offensichtlich noch etwas höher, noch jünger gepitcht, was ihn merkwürdigerweise erträglicher macht, aber den Eindruck zwischen die Ohren schiebt, dass die ganze Debatte, darüber, ob heute der größte Wunsch einer bald 57-jährigen Frau sein darf, wie 20 auszusehen und zu träumen, seltsam verkehrt wirkt. Das Problem ist doch vielmehr, dass das eben schon alles ist: Wieder jung sein und crazy Sachen machen, provokante Kleidung tragen, Sex proben.

Aber was könnte sich die Frau darüber hinaus inzwischen sonst noch erlauben? Da ginge doch mehr, als sich einen Motivationssoundtrack für ihr knallhartes Fitnessprogramm auf den Leib zimmern zu lassen. Aber damit ist man natürlich schon in der elenden Interpretationsfalle. Kommt es wirklich darauf an, was hören wir, wenn wir auf Madonna hören? Nicht wenige Kritiker verneinen das inzwischen augenrollend (FAS). Andere können es nicht lassen, sie nach allen Regeln der Kunst zur "Renaissance-Frau" (Die Zeit) zu krönen in Texten, von denen man sich tatsächlich wünscht, Madonna hätte daraus ihre Album-Lyrics geschöpft. Und was sagen wir?

Wir können nur sagen, dass sie für die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Interview von dem Zauberkünstler David Blaine interviewt wurde. Blaine kann zum Beispiel eine angezündete Zigarette durch einen Geldschein schieben, den ihm auf offener Straße eine Passantin gegeben hat. Dann zieht er die brennende Zigarette wieder heraus und der Geldschein ist vollkommen intakt. Ziemlich genau so verhält es sich womöglich inzwischen mit dem Phänomen Madonna, dem Zeichengewitter, ihrem unvorstellbaren Ruhm, uns und der Musik. Wobei ihre Musik natürlich die Zigarette ist und wir sind der Schein. Beides bleibt hinterher zurück, als sei nichts gewesen.

Übrig ist nur die Erinnerung an den Trick, also der Ruhm. Der ganze Aufwand wiederum, der nötig ist, damit der Trick funktioniert, kann einem ganz egal sein. Oder eben auch nicht. Das ist vollkommen einerlei. Entscheidend ist, dass der Trick funktioniert. Wirklich interessant wäre eigentlich nur, ob die Millionen Madonna-Alben, die sich die Welt über die Jahre gekauft hat, privat wirklich jemals angehört wurden.

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