Ratgeber für explosive Kampagnen:Lernen von den Langhaarigen

Bauanleitung für eine Gedankenbombe: Was die Werbung von Greenpeace und Co. lernen kann. Sind Kapitalismus und Gegenbewegung Brüder im Geiste?

Felix Denk

Wie auch immer man sich einen ausgebufften Medienprofi vorstellen mag, er sieht sicher nicht aus wie Rex Weyler. Als der radikale Umweltschützer 1972 ins Licht der Weltöffentlichkeit trat, hingen seine Haare weit über die Schultern und ein dichter Bart bewaldete sein Gesicht.

Ratgeber für explosive Kampagnen: Lange Haare als Prinzip: Hippies in "Hair", 1979.

Lange Haare als Prinzip: Hippies in "Hair", 1979.

(Foto: Foto: oh)

Weyler gehörte zu einer Gruppe Friedensaktivisten, die mit Schlauchbooten gegen riesige Walfänger vor der Küste Vancouvers ausrückten und diese schwimmenden Tötungsfabriken in ihrem grausamen Tagwerk behinderten. Wichtiger als die spektakuläre Aktion selbst waren allerdings die emotionalen Bilder, die um die ganze Welt gingen. Die Forderung lautete: ""Rettet die Wale". Eine Kampagne war geboren.

Heute ist Greenpeace eine weltweit bekannte Öko-Marke, quasi das Coca-Cola unter den neuen sozialen Bewegungen, wie Martin Ludwig Hofmann schreibt. In "Mindbombs" beschäftigt sich der Soziologe und Werbefachmann mit den Kommunikationsstrategien und Marketingkampagnen von Gegenkulturen.

Ausgerechnet von Marxisten und Atomkraftgegnern, Pazifisten und politischen Befreiungsbewegungen, so seine These, können die Werbung und die PR-Branche effektives Kampagnenmanagement lernen. Greenpeace gelang es immerhin, umweltpolitische Fragen in der Öffentlichkeit zu lancieren. Geld hatten die Öko-Rebellen kaum, aber sie verstanden es, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Und das ist eine ziemlich harte Währung im multimedialen Informationskapitalismus.

Hassliebe

Die "Gedankenbombe" ist ein gegenkulturelles Kommunikationskonzept. Entwickelt wurde sie von Weyler und anderen Gründern von Greenpeace und fußt auf Ideen des Medientheoretikers Marshall McLuhan. Die Grundidee ist einfach: Mit den Techniken moderner Werbung und Markenentwicklung sollen die Ziele der neuen sozialen Bewegung erreicht werden.

Statt komplex mit Fakten zu argumentieren, wird die Öffentlichkeit mit einfachen Bildern emotional aufgerüttelt. Die meisten Menschen hätten ein verklärtes Bild des Walfangs gehabt, erzählt Weyler. Todesmutige Männer in kleinen Booten kämpfen gegen Ungeheuer aus dem Meer. Die Schlauchboot-Aktion zerstörte diese Moby-Dick-Romantik.

Dabei waren diese spektakulären Kampagnen in den eigenen Reihen umstritten. Gegenkultur und Werbung verbindet seit den sechziger Jahren eine innige Hassliebe, wie Hofmann in den besten Passagen seines Buches nachzeichnet. Während die radikale Linke ziemlich schnell mit Adorno fuchtelte, wenn es um Werbung ging, und den Slogan als Vorstufe zur totalitären Parole sah, liebte die Werbung das Individuelle und Unangepasste. Der Protest hat ja eine ungemein markenbildende Kraft.

So gibt es durchaus einen kleinen Grenzverkehr zwischen Gegenkultur und Werbung, auch wenn das eine schwierige ideologische Passage ist. "Langeweile ist immer konterrevolutionär" verkündete die Situationistische Internationale um Guy Debord und forderte eine kreative Kritik am System.

Die Ästhetik der Revolte

Und Theodore Roszak, der Chef-Theoretiker der Gegenkultur, beklagte die felsenfeste Überzeugung vieler Linker, dass Politik kein Spektakel sein dürfe. Gleichzeitig bediente Charles Wilp mit seiner Afri-Cola-Kampagne die Ästhetik der Revolte. In Fernsehspots berauschten sich Szene-Schönheiten im Nonnenkostüm an der dunkelbraunen Brause. Damals reichte das für einen handfesten Skandal.

Heute gehört Kampagnen-Management, wie es Greenpeace betrieben hat, zum Inventar der neuen sozialen Bewegungen. Otpor etwa, jene Gruppe demokratischer Befreiungsaktivisten, die maßgeblich zum Sturz Slobodan Milosevics in Serbien beitrug, bedient sich fleißig im Werkzeugkasten der modernen Markenentwicklung. Ihr Slogan bedeutet übersetzt "Widerstand", ihr Logo zeigt eine geballte Faust und ihre strategisches Ziel ist genau definiert: freie Wahlen. Dank der klar umrissenen Corporate Identity ist Otpor mittlerweile in vielen osteuropäischen Staaten aktiv und erhält Unterstützung von NGOs, die der US-Regierung nahe stehen.

Im Kampf um Aufmerksamkeit verschwimmen nicht nur die Grenzen zwischen der politischen Kampagne und Werbung, auch die Bündnisse werden pragmatischer.

Doch gibt es das überhaupt noch, eine Gegenkultur? Hofmann jedenfalls hält an dem Konzept fest. Er erklärt sie nicht zum Mythos, wie es die kanadischen Philosophen Joseph Heath und Andrew Potter in ihrem Buch "Konsumrebellen" taten. Sie sahen in der nonkonformen, individualistischen Gegenkultur nichts anderes als den Geist des Kapitalismus. Wie sonst sei es zu erklären, dass trotz so vieler Menschen, die das Konsumdenken ablehnen, der Kapitalismus fester denn je in der westlichen Welt verankert ist?

Kritik als Konsum

Kritik am System ist für Heath und Potter vor allem: eine konsumierbare Haltung. Hofmann geht diese Kritik zu weit. Die Gegenkultur spielt eine tragende Rolle in seinem Argument: Werbung ist dann am effektivsten, wenn sie eine gegenkulturelle Kraft entwickelt. Schließlich appelliert die Gegenkultur an irrationale Sehnsüchte statt an skeptisch-säkulare Intellektualität. Sie weiß zu begeistern.

So endet das Buch mit einer Bauanleitung für eine Gedankenbombe und flacht leider etwas ab. Nach den Ikonen der linken Protestkultur und ihren Ideen für eine neue Gesellschaft erscheint der Kurs für Kampagnenmacher in der Ideenkrise schnöde.

Zugegeben: Dieser Berufsstand hat es schwer. Angesichts der bis zu 7500 Werbe-Botschaften, die tagtäglich auf den Menschen einprasseln, muss man wohl alle bemitleiden, die die Aufmerksamkeit der anderen gewinnen wollen. Doch gerade hier, in der Gegenwart der Werbung und Gegenkultur, bleibt Hofmann knapp. Weder Guerilla- noch virales Marketing bespricht er, beides Strategien, die der Jugendkultur entlehnt sind. Auch wie Mindbombs mit der Long Tail-Theorie des Wired-Chefredakteurs Chris Anderson zusammenhängen, die Nischenprodukte als Markt der Zukunft beschreibt, wüsste man gern. Dasselbe gilt für neuere Tendenzen in der Protest-Kultur, seien es Flashmobs oder die Clownarmeen, die mit Pappnase und Spritzblume auf globalisierungskritischen Demonstrationen auftauchen.

Ob Kampagnenmachern, Werbetextern und PR-Strategen mit dem abschließenden Schnellkurs konkret geholfen ist, scheint fraglich. Nach McLuhan mag das Medium zwar die Botschaft sein. Trotzdem errangen Greenpeace und Otpor ja nicht nur dank ihrer cleveren Kommunikationsstrategien weltweite Aufmerksamkeit. Sie hatten auch etwas Wichtiges zu sagen.

MARTIN LUDWIG HOFMANN: Mindbombs. Was Werbung und PR von Greenpeace & Co lernen können. Wilhelm Fink Verlag, München 2008, 159 Seiten, 19,90 Euro.

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