Rapper Moses Pelham:Verletzter Gigant

Die deutsche Popmusik hat dem Frankfurter Rapper Moses Pelham manches zu verdanken. Trotzdem erinnern sich die meisten nur daran, wie er Stefan Raab die Nase brach. Eine Begegnung, fünfzehn Jahre später, anlässlich des neuen Albums.

Joachim Hentschel

Themenpaket Rock & Pop: Moses Pelham

Moses Pelham im Juli 2012 bei einer Pressekonferenz für X-Factor.

(Foto: dapd)

Es hilft alles nichts, man muss über die Nase reden. Möglichst bald, um das Thema aus der Welt zu schaffen. Nicht Moses Pelhams Nase, obwohl auch die ein besprechenswertes Exemplar wäre, optisch ins Zentrum gerückt auf dem Cover seiner neuen Platte, um die es hier eigentlich gehen soll. Sondern: die Nase von Stefan Raab.

Im März 1997, am Rand einer Preisgala, hatte der Rapper und Musikproduzent Pelham dem Moderator den besagten Knochen gebrochen, mit einem Kopfstoß ins Gesicht, weil Raab ihn im Fernsehen verspottet hatte. 15 Jahre ist die Geschichte alt, trotzdem fällt sie erstaunlich vielen als erstes ein, wenn sie den Namen des Rappers und Produzenten hören - obwohl der zurzeit sogar in der Jury der VOX-Castingshow X Factor sitzt. "Das spricht natürlich dafür, dass du dich mit meiner Kunst nicht auseinandergesetzt hast", antwortet Moses Pelham, lächelnd. Er lächelt fast immer beim Reden, bei schönen und schlimmen Dingen. "Du hast dir dein Bild über mich aus den Medien gemacht. Mir wär's natürlich lieber, wenn du bei meinem Namen denken würdest: Der hat doch dieses Stück geschrieben, das mein Leben gerettet hat."

Verständlich. Klar will einer, der sich als Künstler sieht, nicht vom Nebenkriegsschauplatz aus beurteilt werden. Erst recht nicht, wenn er den Skandal mit 10.000 Mark Strafe abgebüßt hat. Und wenn er, wie Pelham, mit seiner Anfang der Neunzigerjahre gegründeten Frankfurter Musikfirma 3p über acht Millionen CDs verkauft hat, spätere Stars wie Xavier Naidoo und Sabrina Setlur entdeckt, ein ganzes deutsches Popgenre quasi miterfunden hat, als Hip-Hop-Samurai, Soul-Buddha. Jetzt, nach acht Jahren Pause, hat er wieder ein Album mit eigenen Rapstücken veröffentlicht. Es müsste also genug zu analysieren und lobpreisen geben.

Könnte aber auch sein, dass die Nasenstory gar nicht so banal ist. Dass sich deshalb alle an sie erinnern, weil sie ein so wahrhaftiger, transgressiver Moment war, in einer Öffentlichkeit, in der Prominente sonst nur wie Cartoonfiguren interagieren, höchstens ab und zu die Lebenspartner tauschen, sich aber gegenseitig nie physisch verletzen würden. Und vielleicht war Pelhams Kopfstoß - abstrakt, zeichenhaft - eine Art von Legitimation, wie sie wenige deutsche Rap-Persönlichkeiten vorweisen können. Seit jeher war ja das Paradeargument gegen Hip-Hop aus Stuttgart, Hamburg oder Frankfurt, dass man dort nur Imitate, wenn nicht gar Parodien von Ghetto-Lifestylekunst fabrizieren könne. Pelham löste den Anspruch erst poetisch ein, dann ökonomisch. Und dann eben auch handfest körperlich. Ob mit oder ohne Vorsatz, aber mit allen Konsequenzen.

Heute, mit 41, ist er längst schon mit dem Resümieren beschäftigt. "Geteiltes Leid 3" nennt Pelham sein neues Album, Eckstein einer vor 14 Jahren gestarteten Trilogie der Selbstbespiegelung und Konfession. Stilisiert sich im grandios krachenden Vorab-Song "Hooo" als junggebliebenes Rap-Großväterchen, das seine Verdienste jederzeit aufzählen kann: "Ohne mich würden die im Zweifel noch ,Die da' singen", singt er, gemeint ist der prähistorisch-naive Hit der Fantastischen Vier aus dem Jahr 1992. Seine einstigen schwäbischen Lieblingsfeinde und er leben 2012 natürlich in bester Versöhnung.

Welches Leid muss er teilen?

1993 startete er sein Duo Rödelheim Hartreim Projekt. Das latent Gewalttätige, Obszöne, Konfrontative in den Stücken wirkt zwar zahm, wenn man es mit dem Duktus aktueller, tätowierter Kampfhund-Darsteller vergleicht. Damals klang es nach Bedrohung, zumindest kurzzeitig. Wie die Typen, die einen auf ungesichertem Terrain von der Seite aus anhecheln, Stimmen aus dem Frankfurter Arbeiterviertel, die schwer einzuordnen waren für den Rest der Welt. Die drohten und fluchten und im nächsten Augenblick Liebeslieder reimten. Für den viel eindeutigeren Gewalt-und-Drogen-Rap aus Berlin, der später Gestalten wie Bushido und Sido zu reichen Männern machte, hat Pelham wenig übrig: "Mich hat das überhaupt nicht interessiert. Gar nicht."

Bushido bekam 2011 den Bambi für Integration. Aber dass einer wie Xavier Naidoo, Sohn eines Inders aus Sri-Lanka und einer arabischstämmigen Südafrikanerin, heute ein völlig selbstverständlicher Charakter im deutschen Showbusiness ist, dürfte eher Pelhams Verdienst sein.

Welche Rechnung hat der Mann denn jetzt noch zu begleichen? Welches Leid muss er teilen, mit dem Schlussteil seiner Plattentrilogie, auf dem er "steiniges Tal" auf "heiliger Gral" reimt? Pelhams Grunddilemma bleibt die Frage nach Respekt. Danach, wie gerecht es ist, dass die Leute ihn eben immer noch am Knick in Stefan Raabs Nase messen, am später vor Gericht annullierten Knebelvertrag, mit dem er den Goldboy Naidoo an sich kettete, an der von Pelham mitgegründeten Firma DigiProtect, die mit Abmahnungen gegen Downloader viel Geld macht. Eine prophylaktische Grundachtung vor dem alten Mogul, wie sie in Amerika üblich ist, die gibt es in Deutschland nicht. In dieser Hinsicht ist Moses Pelham der Helmut Kohl des deutschen Hip-Hop.

Gerade diese Schwermut, die Verletzter-Gigant-Attitüde, das Selbstzerfleischende, konsequent Pathetische macht "Geteiltes Leid 3" übrigens zu einer bemerkenswerten Platte. Schwer zu schlucken, weit abseits der Lufthoheitskämpfe junger Rapper. Der Abgrund zwischen lyrischer Pose und dem echten Schmerz des Verfassers ist Pelham durchaus bewusst: "Das is' witzig, so in Vers, in Fabeln und Prosa, doch wenn es dich trifft, wird es ernst wie Gabeln in Toastern", rappt er in "Für die Ewigkeit". Für das er ausgerechnet einen Refrain der Böhsen Onkelz gesampelt hat.

Die Nähe zu der Band hat biografische Gründe, gemeinsame Frankfurter Zeiten. Dass Pelham sich aber nun derart deutlich auf sie bezieht, ist kein Zufall: ein Schulterschluss zwischen den Verfemten, zwischen den Böhsen Onkelz, der ehemals Skinhead-nahen Gruppe, die sich als unfair verurteilte Outlaw-Bande inszenierte - und Moses Pelham, der ebenso große Missverstandene. Der nach außen hin sanft und friedlich geworden ist, bei der Casting-Show "X Factor" als milder Juror glänzt. Und in seiner Kunst eben nur noch zu den Eingeweihten spricht, zum kleinen Kreis - weil der Rest der Welt, wie er findet, sich eh keine Mühe gibt.

"Die Wahrheit ist ja da, die kann sich jeder nehmen, der die entsprechenden Fähigkeiten, das Interesse, die Zeit hat", sagt Pelham zum Ende des Gesprächs, jetzt noch buddhistischer. "Aber die meisten werden sich die Zeit niemals nehmen. Die wollen halt einfach nur schwätzen."

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