Rapper Marteria:Endboss

Die "Bild"-Zeitung kennt ihn als "Begleiter" einer Sportlergattin, doch eigentlich steckt der 28-jährige Marten Laciny gerade mitten in seiner dritten Karriere: Warum der Rostocker Sänger Marteria das Beste ist, was dem deutschen Rap passieren konnte.

Marc Felix Serrao

Ab wann ist einer das, was man prominent nennt? Wenn er in dem, was er in der Öffentlichkeit tut, so gut geworden ist, dass ihm sogar die Konkurrenz Respekt zollen muss? Oder wenn er morgens am Kiosk sein Gesicht auf der Titelseite der Bild-Zeitung sieht? Die erste Erfahrung darf der 28-jährige Rostocker Rapper Marteria schon seit Monaten machen. Die zweite hat ihn an diesem Montag ereilt.

Die Neuen DeutschPoeten

Unter seinem Künstlernamen Marteria mimt der Musiker den Rap-Philosophen: Marten Laciny beim Festival "Die Neuen DeutschPoeten" am Samstag im IFA Sommergarten in Berlin.

(Foto: dpa)

Wer sich nicht für Hip-Hop interessiert, zumal aus Deutschland, dem sagte der Name Marteria - bürgerlich Marten Laciny - bis zu diesem Tag wohl nichts. Die Bild zeigt in ihrem Aufmacher nur einen gut aussehenden und schlecht rasierten Schlacks in einem intimen Moment mit einer Frau, die mit einem bekannten Sportler verheiratet ist. Auf der Titelseite ist Laciny nur ihr "Begleiter". Weiter hinten im Blatt wird er dann mit vollem Namen und einem dünnen Textchen ("Das ist Rap-Star Marteria") vorgestellt. Der Rest ist Voyeurismus und Bild-typische Brachialprosa ("leckt am Öhrchen"). Aber dazu später mehr. Wer wissen will, wer dieser Kerl wirklich ist, muss auf ein Konzert fahren.

Ein brühwarmer Sonntagnachmittag auf einem Acker bei München. Laciny ist gerade mit seinem Tourbus angekommen und schlurft noch leicht verschlafen in den Backstage-Bereich des "Sonnenrot-Festivals" - sechs Stunden vor einem wilden, bunten, lauten, ja, ziemlich perfekten Auftritt. Er hat schon zig Konzerte in dieser Saison hinter und noch viele vor sich. Interviews sowieso. Überall wird er gefeiert. Vor allem für die Stücke aus seinem 2010 veröffentlichten vierten Album "Zum Glück in die Zukunft", das klassischen Rap mit Chanson- und Schlager-Elementen zu einer so witzigen wie wummernden Mischung verrührt und bis heute in den besseren Radio-Playlists des Landes rauf und runter läuft.

Als "Retter des deutschen Hip Hop" bezeichnen ihn nicht nur Freunde wie der Rapper Casper. Wie er solche Elogen findet? "Natürlich merkwürdig", sagt Laciny und grinst, mehr amüsiert als verlegen. Klar sei, dass seine Platte "vielen Künstlern im urbanen Musikbereich Türen geöffnet hat". Die meisten Musiklabels hätten "zugekniffene Eier". Kaum eines habe sich mehr getraut, jemanden aufzubauen, langsam und geduldig. "Wenn, dann musste das erste Ding gleich das große Ding sein. Was für ein Quatsch. Schau mich an."

In Lacinys Fall ist der Erfolg tatsächlich nicht vom Himmel gefallen. Der Rostocker macht seit mehr als zehn Jahren Musik. Und die ist, auch wenn es größenwahnsinnig klingt für einen 28-Jährigen, bereits seine dritte Karriere. Erst wäre er fast Fußballprofi geworden; er gehörte zum U-17-Nationalkader. Dann, mit 18, wurde er Model, ein Jahr lang, in New York. Eine lehrreiche Zeit, sagt er heute. Die Branche habe zwar schnell genervt, "diese ganzen Leute, die zu viel Geld hatten und nur verkokst waren". Sie habe ihm aber auch etwas beigebracht, vor allem, wie man auf dem Teppich bleibe: "Mit 18 in New York, das ist lebenserfahrungstechnisch kaum zu schlagen."

Jetzt also der Rap. Die dritte Karriere. Auch hier ist das, was Laciny macht, bunter und wendungsreicher als die Angebote fast aller Konkurrenten. Unter seinem Künstlernamen Marteria mimt der Musiker den Rap-Philosophen, der melancholisch-verschmust von seinem Sohn ("Louis"), seinem Werdegang ("Endboss"), traurigen Puff-Besuchern ("Amys Weinhaus") oder wilden Frauen ("Kate Moskau") singt.

Sein zweitliebstes Alter Ego ist davon so weit entfernt wie die Bild von dem, was man "Mitte der Gesellschaft" nennt: Marsimoto. Die dauerbekiffte, maskierte Kunstfigur kennt außerhalb der deutschen Rap-Szene kein Mensch. Doch in der Szene erfährt das hochgepitchte Gekrächze eine fast kultische Bewunderung. Im Herbst, sagt Laciny, soll sein nächstes Marsimoto-Album entstehen.

Es ist diese Bandbreite, die den 28-Jährigen auszeichnet. Vor ihm gab es, knapp ausgedrückt, zwei Spielarten im Deutsch-Rap. Hier fluffige Comedy à la Deichkind, dort breitbeiniger (Klein-) Gangster-Rap. Letzterer ist kommerziell besonders erfolgreich, textlich aber mit wenigen Ausnahmen wie Kollegah ("Wir machen Kreuzheben wie Jesus") eher fad.

Laciny, der "natürlich stolz" auf seine rap-mäßig randständige ostdeutsche Herkunft ist, hat das geändert. Er beherrscht die dreckige Battle-Tonlage genauso wie das, was man massentauglich nennt. Und er begeht nicht den Fehler, im Sinne medial verwurstbarer Schubladen, das eine über das andere zu stellen: "Ich werde einen Teufel tun und sagen, dass ich nie so war. Wenn du im Hip-Hop anfängst, geht es am Anfang nur darum: Wer ist besser? Wer hat den dickeren Schwanz?"

Marten Laciny alias Marteria alias Marsimoto sitzt auf dem Acker bei München, rührt in einem mittlerweile lauwarmen Kamillentee und spricht fast liebevoll über seine Anfangszeit im Rap, auch über die "Gangster oder die, die sich dafür halten". Das, was die machten, sei genauso legitim, wie das, was er heute tue. "Ein guter Song hat vor allem eins: Eier. Bisschen Power, bisschen dreckig, bisschen . . ." Es folgt ein Geräusch, halb gerülpst, halb gestöhnt. Und sprachlich? Was geht da gar nicht? "Ich vermeide Wörter wie Herzschmerz oder Seele", sagt er.

Etwas anderes, das man nicht von ihm hören wird, ist ein Kommentar zu der aktuellen Berichterstattung über sein Privatleben. Wozu auch? Der Musiker, der der Bild-Zeitung nun zur Illustration ihrer Neid- und Schwitzmoral dienen durfte und vermutlich noch ein paar Artikel lang dienen darf, ist längst dort angekommen, wo die Regeln der ersten Form von Prominenz gelten - dort also, wo eine Karriere auch ohne die Zusammenarbeit mit diesem Blatt gedeihen kann.

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