Ramadan und Seifenopern:Fasten und Fernsehen

Mitten im melodramatischen Allerlei des Ramadan-Programms begeht das ägyptische Fernsehen einen Tabubruch. Eine Serie mit dem Thema Vergewaltigung zeigt die fragilen Verhältnisse im Lande - mit großem Erfolg beim Publikum.

Maria Golia

Jeden Tag um 17.30 Uhr herrscht Kairo derzeit ungewöhnliche Stille, denn Millionen Menschen versammeln sich in Erwartung des ersten Bissens, des ersten Schlucks, der ersten Zigarette. Bis vor kurzem noch verstopfte Straßen sind verlassen. Um 17.40 Uhr beginnt das Gebet zum Sonnenuntergang, und Millionen Hände heben Brot oder ein Glass Wasser zu Millionen Mündern. Eine Viertelstunde später greifen dieselben Hände nach der Fernbedienung.

Kairo

Der Ramadan gewährt der ägyptischen Politik meist eine Pause. Doch diesmal sorgt das Fernsehen für Unruhe.

(Foto: Foto: dpa)

Fernsehen im Ramadan besteht meist aus Seifenopern und ist ein ebenso fester Bestandteil des Heiligen Monats wie das Fasten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang oder wie die Familienbesuche zum Fastenbrechen, zum iftar.

Früher konnten die Ägypter nur unter zwei staatlichen Sendern wählen. Aber seit der Ausbreitung der Satellitenfernsehens in den neunziger Jahren hat sich das Angebot vervielfacht. Zwischen ägyptischen, libanesischen Kanälen und den Golf-Sendern herrscht harte Konkurrenz. Nicht alle Ägypter können das gesamte Kabelprogramm empfangen, aber die meisten bekommen genug Programme, um zum iftar-Tee zwischen den Kanälen zu surfen. In diesem Jahr ist das Ramadan-Programm dichter denn je, mit Dutzenden von musalsalat, von Serien, meist Melodramen, die vertraute Plots in täglichen Portionen servieren.

Besonders sehnsüchtig wurde dieses Mal eine Sendung mit dem gebürtigen Ägypter Omar Sharif erwartet, ein halb-autobiographisches Drama über einen ägyptischen Architekten, der die meiste Zeit seines beruflichen Lebens im Ausland verbracht hat und nun, überwältigt von der Liebe zur Heimat, zurückkehrt. Die Enttäuschung war groß, als sich erwies, dass die meisten Ägypter Sharifs Ramadan-Debut gar nicht zur geplanten Zeit sehen konnten. Denn die Soap wurde von Orbit ausgestrahlt, einem Satellitensender in Bahrein, der sie um zwei Uhr morgens zeigte.

Was aber wäre Ramadan TV ohne seine religiösen Dramen? Held der diesjährigen frommen Serie ist Imam is Scheich Abdel-Halim Mahmoud, der an der Sorbonne studiert hatte und von 1972 bis 1978 Scheich an der Al-Ashar war. Zu den Komödien: Eine Serie mit dem Titel "In Wohlstand erzogen" dreht sich um den alternden und moppeligen Jehia Al-Facharani, der in einer bekannten und eigentlich nicht sonderlich witzigen Rolle auftritt. Er spielt den jovialen, aber verantwortungslosen Vater dreier Kinder, der mit einer sehr viel jüngeren Frau verheiratet ist (seiner dritten), die wiederum noch bei seiner Mutter lebt.

Jagd auf Kairos überfüllten Straßen

Trotz der hohen Produktionskosten sind ägyptische Soaps weder technisch brillant noch sonderlich kreativ. Sie spielen meist in Innenräumen, die Kamera klebt Zentimeter vor dem Gesicht eines Protagonisten; dass sich die Schauspielerei von emotionalen Klischees entfernt, passiert selten. Ein musalsal allerdings, mit dem Titel "Ein Fall öffentlicher Meinung", fällt auf durch das Thema: Vergewaltigung - und die bigotte Sitte, die Tat dem Opfer anzulasten.

Der panarabische Megastar Youssra spielt eine wohlhabende Kinderärztin, Ehegattin eines Arztes, Mutter zweier Kinder. Als sie eines Nachts mit zwei Kolleginnen heimkommt, werden die Frauen von drei jungen Männern angegriffen. Die Vergewaltigungsszene bleibt selbstverständlich innerhalb der Grenzen der Schicklichkeit. Doch wurde sexuelle Gewalt noch nie so offen auf dem Bildschirm gezeigt. Zwar gab es auch Bedenken, ob es angemessen ist, ausgerechnet im heiligen Monat Ramadan eine Vergewaltigung im Fernsehen zu zeigen, doch der wahre Grund für die Kontroverse um "Ein Fall öffentlicher Meinung" liegt darin, dass die Serie einen hochaktuellen Konflikt beschreibt.

Denn obwohl - oder gerade weil - Kairo mit jedem Jahr religiöser wird, wie die Zahl verschleierter Frauen und öffentlich betender Männer und Frauen zeigt, nimmt die Zahl sexueller Belästigungen zu. Früher gehörten vor allem unverschleierte Frauen zu den Opfern, inzwischen kann es jede Frau treffen. Eine neue Studie des Ägyptischen Zentrums für Frauenrechte belegt, dass dreißig Prozent aller Ägypterinnen täglich Opfer sexueller Belästigung werden. Im vergangenen Jahr kam es im Ramadan zu hässlichen Szenen auf Kairos überfüllten Straßen. Mitten in der Menge rotteten sich ein paar Männer zusammen und eröffneten die Jagd auf Frauen, die sich in Schuh- oder Bekleidungsgeschäften flüchten mussten. Der ägyptische Blogger Wael Abbas hatte den entfesselten Mob gefilmt und die Szenen ins Netz gestellt.

Erwartungsgemäß leugnete der Innenminister die Vorfälle, aber zahlreiche Berichte bestätigten, dass die Polizei nicht einschritt. Die eid-Angriffe lösten eine erhitzte Debatte aus, denn die Frage, wie Frauen behandelt werden, zielt ins Herz des ägyptischen Selbstverständnisses, ja, sie ist geradezu ein Barometer des sozialen Wohlbefindens. Seitdem verzeichnen Frauenrechtsorganisationen einen beispiellosen Zulauf. Denn die Frauen fürchten, dass sie zurück ins Haus gedrängt werden. Und sie werden als Konsumentinnen, Arbeitskräfte und Bürgerinnen dringend gebraucht.

Millionen für die Familienehre

Wie so oft werden auch in Ägypten Vergewaltigungsopfer sozial geächtet, wenn sie das Verbrechen anzeigen. Youssras Heldin nun, Dr. Abla, muss erleben, dass sich ihre Tochter und ihr Mann von ihr abwenden. Aber sie besteht darauf, dass die Angreifer verfolgt werden. Ein zweites Opfer, ebenfalls eine Ärztin, ist verlobt, sie möchte heiraten. Sie vertraut sich ihrer Mittelklasse-Familie an, die allerdings nur drängt, das Hymen operativ wiederherstellen zu lassen, als hätte die Vergewaltigung nie stattgefunden. Einer der Täter ist der Sohn eines Ministers, der reich genug ist, um sich das Schweigen der Frauen zu kaufen, und mächtig genug, um seinen Sohn zu beschützen, sollte der Fall je vor Gericht landen.

So bietet "Ein Fall öffentlicher Meinung" den Durchschnitts-Ägyptern das Vergnügen, einer wohlhabenden Frau bei ihrem Kampf um Gerechtigkeit zuzusehen und zugleich darüber nachzudenken, wie sie selbst in dieser Situation entschieden hätten. Bald schon taucht bei den Opfern ein aalglatter Anwalt auf, der sie erpressen will. Er erinnert sie daran, dass der Ministersohn ohnehin freigesprochen wird. Warum also sollten sie das Geld nicht annehmen? Eine Familie lehnt die stattliche Summe von 1,4 Millionen Euro für ihre Ehre einstimmig ab: "Nicht für 100 Millionen!"

Die Ägypter wissen sehr wohl, dass die Korruption die sozialen und politischen Institutionen zersetzt. Der Druck im alltäglichen Leben hat zugenommen, die Aggressivität steigt. Nach einer Studie des Nationalen Zentrums für Kriminal- und Sozial-Studien werden von den 20 000 Fällen von Vergewaltigung und sexueller Belästigung pro Jahr neunzig Prozent von arbeitslosen Männern verübt.

Der Ramadan gewährt der ägyptischen Politik meist eine Pause: Das Volk ist zu sehr mit dem Fasten beschäftigt, um unruhig sein. Dass die Serie "Ein Fall öffentlicher Meinung" nun mitten im Ramadan gezeigt wird - und großen Erfolg hat -, offenbart hingegen, wie fragil die Verhältnisse tatsächlich sind.

Die amerikanische Publizistin Maria Golia lebt in Ägypten. Zuletzt erschien von ihr das Buch "Cairo - City of Sand" im Londoner Verlag Reaktion Books.

Deutsch von Sonja Zekri.

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