RAF privat:Mein Bekannter, der Terrorist

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Bald werden aus Mietgliedern der Rote-Armee-Fraktion, die einst dem Staat den Krieg erklärten, wieder Nachbarn: über die Individualisierung des deutschen Terrorismus.

Thomas Steinfeld

Ein paar Schritte noch, ein paar Ereignisse wie die Debatte um Schuld und Reue von Christian Klar oder die jüngste Diskussion über die individuelle Täterschaft bei der Ermordung des Generalbundesanwalts Buback, und es gibt eine neue Berufsgruppe in Deutschland: den Terroristen im Ruhestand.

Eine Generation ist es her, dass die Rote-Armee-Fraktion dem Staat - wer immer das auch sein mag - einen Krieg erklärte und ihn nicht nur für einige Monate, sondern für Jahre zu reaktivem Handeln zwang. Von möglicherweise politischen Motiven in diesem Krieg aber wird bald nichts mehr zu erkennen sein. Ein letztes Mal werden sich die Gefängnistore öffnen. Es wird ein älterer Herr heraustreten, dem niemand mehr ansehen wird, dass er und ein, zwei Dutzend Gleichgesinnte vor dreißig Jahren erfolgreich einen ganzen staatlichen Gewaltapparat herausgefordert haben, und dann wird die Geschichte vorbei sein: aufgehoben im Individuellen und Privaten. Dort werden sie bleiben.

Der Mörder als Staatsfeind

In der jüngsten Debatte über den deutschen Terrorismus, im Streit darüber, wer es war, der Siegfried Buback erschossen hat, geht gegenwärtig einiges durcheinander: die Frage nach der persönlichen Schuld dieses oder jenes Terroristen mischt sich mit einer anderen, nämlich der, ob es wirklich entscheidend ist zu wissen, ob Stefan Wisniewski oder Christian Klar oder ein anderer die Waffe trug und schoss.

Dass dieses Problem nicht bis ins Letzte geklärt werden muss, wenn man eine "Mittäterschaft" annehmen kann, fanden bislang auch die Gerichte - mit gutem Grund, denn die Tat setzte ein solches Maß von nur gemeinschaftlich zu leistender Vorbereitung voraus, dass zwischen dem Schützen und dem Fahrer des Fluchtfahrzeugs ein ähnliches Maß an mörderischem Engagement bestanden haben muss: Einer hatte geschossen, das war gewiss, und die Mittäter wurden behandelt, als hätten auch sie es getan. Bislang fand niemand an diesem Verfahren etwas auszusetzen. Andernfalls hätte sich längst ein Sturm der Entrüstung über die Schlampigkeit dieser Gerichtsverfahren erhoben.

Dass die Entrüstung ausbleibt, wenn man sich voller Neugier auf die Suche nach dem tatsächlichen Schützen begibt, zeigt indessen, dass es um etwas anderes geht: nämlich um das Individuelle in dieser Tat. Darin liegt weniger ein juristisches Problem als vielmehr ein moralisches: Die Gruppe verblasst, tritt zurück in die Geschichte, und der Einzelne tritt hervor, als Person und Charakter.

Es ist dieses Streben nach dem Individuellen, in dem sich die Frage nach dem Schützen mit der nach Gnade und Reue verbindet. Denn Gnade kann es nur für einen einzelnen Menschen geben, unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände, und sie ist immer unverdient. Auch bereuen kann nur ein Einzelner: Der bedauert dann das Getane, entschuldigt sich bei den Hinterbliebenen für das ihnen angetane Leid, gesteht einen historischen Irrtum ein.

Die Individualisierung und Privatisierung des deutschen Terrorismus ist dessen letztes Stadium. Was gegenwärtig mit ihm geschieht, ist ein Fall von angewandter Geschichtspolitik: von rückwirkender Verwandlung des Politischen ins Persönliche.

Von vornherein, seit dem Verfahren gegen die Frankfurter Kaufhausbrandstifter, haben Polizei, Gerichte und Politiker in der Öffentlichkeit stets darauf bestanden, es nicht mit einem politischen Gegner, sondern mit Kriminellen aufnehmen zu müssen. Sie haben sich aber anders verhalten, und zwar in der Art und Weise, wie sie auf diesen Gegner reagierten: unter Aufbietung aller Kräfte, bis hin zur Einrichtung von Sondergefängnissen. Gewiss, die Prozesse wurden nicht gegen Verschwörer geführt, sondern gegen Mörder und Bankräuber.

Aber auch für die staatliche Exekutive war noch genügend Politisches an den Terroristen, dass sie schlechter, härter, unerbittlicher behandelt wurden als die gewöhnlichen Kriminellen, und dieser Umgang beginnt mit den Haftbedingungen in Stammheim und endet noch nicht mit überlangen Haftzeiten.

Die Häftlinge indessen haben am politischen Charakter ihrer Tat - und damit an ihrer gleichsam dienenden Funktion im Auftrag eines "Kommandos", einer "Gruppe" oder einer "Fraktion" - stets festgehalten. Offenbar haben einige von ihnen es sogar hingenommen, für Taten bestraft zu werden, die sie gar nicht begangen hatten, während andere, die diese Taten tatsächlich begangen hatten, es hinnahmen, dass die einen für sie büßten.

Bewusstsein oder Anmaßung?

In Brigitte Mohnhaupts Weigerung, sich zu entschuldigen, in den jüngsten, wirren Äußerungen Christian Klars über die "Niederlage der Pläne des Kapitals", lebt das Bewusstsein oder auch die Anmaßung fort, nicht als Einzelner für seine Tat stehen zu müssen, sondern aufgehoben zu sein in einem höheren, politischen Auftrag. Selbst der Anschein von Versöhnlichkeit scheint sich ihnen als Kapitulation darzustellen. Dieser Anspruch findet seine Entsprechungen in den Äußerungen von Angehörigen der Opfer, denen, auch eingedenk der Parolen von Christian Klar, auch die härteste Strafe als nicht hinreichend erscheint.

Andererseits ist auch der Umstand, dass den Angehörigen in der öffentlichen Debatte um die endliche Bewältigung des deutschen Terrorismus jetzt schon traditionell eine große Rolle zukommt, ein Zeichen für dessen zunehmende Privatisierung - eine vergleichbare Bedeutung haben Hinterbliebene oder Verwandte ja in anderen Strafverfahren kaum.

Wolfgang Kraushaar, der eminente Historiker des deutschen Terrorismus, hat für den Fall von Andreas Baader nachgewiesen, wie groß der Anteil der Privatmythologie an seinen politischen Überzeugungen und damit auch an seinem terroristischen Engagement gewesen sein muss. Und gewiss ließe sich dieses Verfahren auch auf andere Mitglieder der RAF und ihrer Nachfolgeorganisationen ausweiten.

Nur - was einer für sich persönlich darstellt, ist hier nicht das Kriterium. Bei Peter Rühmkorf, im "Tabu II", seinen Aufzeichnungen aus den Jahren 1971 und 1972, lässt sich nachlesen, wie fassungslos er damals darauf reagierte, dass sich in seinen Kreisen, der guten Gesellschaft der Hamburger Publizistik, das Ineinander von Privatleben und gesellschaftlichem Engagement auflöste, indem ein paar gute Bekannte in den terroristischen Untergrund gingen und sich, so brutal vermessen ihre "Allmachtsphantasmagorien" auch gewesen sein mögen, nur noch als politische Organisation, als Racheengel der politischen Unterdrückung definierten.

Auf diese Definition kommt es an, für die Terroristen selber und für den Staat, ihren Feind - wenngleich man hinzufügen möchte, dass sich Peter Rühmkorfs Erfahrung der frühen siebziger Jahre in diesen Tagen gleichsam umzukehren scheint: Aus den überlebenden Terroristen können bald wieder Bekannte werden.

In diesen Tagen, beinahe vierzig Jahre nach dem Kaufhausbrand in Frankfurt, dreißig Jahre nach dem mörderischen Auftritt des "Kommandos Ulrike Meinhof" in Karlsruhe, fast zwanzig Jahre nach dem Attentat gegen Alfred Herrhausen, wird die Periode des deutschen Terrorismus abgeschlossen. Noch einmal darf die Geschichte Revue passieren, noch einmal treten alle Haltungen und Meinungen auf, und bald wird alles, was am Terrorismus politisch war, in einzelne Schicksale zerfallen sein.

Spätestens in zwei Jahren, wahrscheinlich früher, darf auch Christian Klar, der letzte Mohikaner des gewalttätigen Widerstands in Deutschland, das Gefängnis verlassen. Das Praktikum jedenfalls, das ihm Claus Peymann am Berliner Ensemble angeboten hat, wird er nur als Privatmann antreten können. Im Kunst- und Kulturbetrieb wird er dann, welch böse Ironie der Geschichte, auf die letzten ehemaligen Genossen treffen, die sich rechtzeitig aus dem revolutionären Kampf verabschiedet hatten und nun, saturiert und gelassen, ebenfalls allmählich in Rente gehen dürfen.

© SZ vom 24.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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